Ein gewaltiger Roman im doppelten Sinne: James Hynes lässt das spätrömische Reich wiederauferstehen.
Es ist eine überschaubare Welt, in der sich der junge Pusus (was nicht mehr als »Junge« bedeutet) zurechtfinden muss. Im Glauben, eine zierliche Sklavin zu kaufen, hat ihn sein Dominus versehentlich am Markt erstanden und so fristet der Junge mit den vielen Namen, der sich selbst als »Sperling« bezeichnet, sein Leben in einem Bordell versteckt, von fünf nach Musen benannten Sexarbeiterinnen mehr schlecht als recht vor dem äußeren Unbill beschützt. Was innerhalb dieser von dicken Hausmauern begrenzten Welt im Karthago Nova der Spätantike alles vor sich geht, das entfaltet sich vor ihm und der Leserin nach und nach. Bildung ist rar, die Zeiten harsch und unnachgiebig und die detailgenauen aneinandergereihten Szenen lassen eine kalte, ekelhafte Welt erahnen, in der ein Sperling nie fliegen lernen wird.
Die einzelnen Vorblenden, die den Roman anstelle von Kapiteln zäsieren, sind düster und rauben schon von Beginn an die Hoffnung auf eine positive Wendung oder gar ein glückliches Ende des namenlosen Jungens mit den vielen Namen. Sperling stolpert über Sklavinnen mit herausgeschnittenen Zungen, beobachtet zum Verkauf feilgebotene, begaffte Sklavinnen, und wird später, als er in die Zimmer des oberen Stockwerkes vordringt, Zeuge rauer sexueller Handlungen und blutiger Gewalttaten. In dem Moment, als er selbst zur Sexarbeit verpflichtet wird und Ekel und Widerwärtigkeit kaum größer werden können, wird er schließlich wirklich zum Sperling und betrachtet sich von außen – der Vogel wird zu seinem Symbol für Befreiung.
In seiner Anmerkung am Ende des Romans betont der Texaner James Hynes, kein historisches, sondern ein fiktionales Werk geschrieben zu haben. Dennoch: »Ich, Sperling« liest sich wie ein mächtiger Historienroman, für den viel recherchiert wurde, die Liste der Referenztitel ist lang. Viele starke Szenen reihen sich aneinander – etwa wenn Sperling sich zum ersten Mal in einem Spiegel erblickt –, Hynes hatte ein spürbares Vergnügen daran, diese Welt des »letzten Römers« zum Leben zu erwecken. Ein schmutziges, zum Teil schwer verdauliches Stück Literatur, das, während es die Fantasie in höchste Höhen treibt, mit großer Lust die menschlichen Abgründe abbildet.
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James Hynes
Ich, Sperling
Ü: Ute Leibmann
dtv, 592 S.