Neun Jahre nach ihrem gefeierten Debüt »Verlangen nach Drachen« bringt Verena Roßbacher ihren dritten Roman heraus. Über eine Autorin, die sich nicht um erzählerische Konventionen schert und ihre Fabulierlust und ihren Sinn für Komik auslebt. Foto: Joachim Gern.
Aus: Buchkultur 179, August 2018.
Verena Roßbacher mag’s gerne ausufernd. Anhand von zahlreichen Details und mit vielen Nebensträngen breitet die in Vorarlberg geborene Schriftstellerin ihre Geschichten aus. Der Titel ihres zweiten Romans »Schwätzen und Schlachten« (2014) sei durchaus programmatisch zu verstehen, wie einige Rezensenten nach Erscheinen bemerkten. Einen Auszug daraus hat Roßbacher 2010 bei den »Tagen der deutschsprachigen Literatur« in Klagenfurt vorgelesen – gewonnen hat sie damals keinen der begehrten Preise, die Juroren zeigten sich eher nicht begeistert von dem experimentellen Text. Doch Verena Roßbacher hat auch viele Anhänger unter den Literaturkritikern und Lesern, die gespannt auf ihren neuen Roman »Ich war Diener im Hause Hobbs« warten.
Dass die 1979 in Bludenz geborene Autorin selbst eine begeisterte und leidenschaftliche Leserin ist, ist in allen ihren bisher erschienenen Büchern unschwer zu erkennen. Von Doderer über Torberg bis Zweig ist die vor allem deutschsprachige Literaturlandschaft allgegenwärtig. Daneben ist Verena Roßbacher zweifelsohne sehr sprachverliebt. Auch hier gibt sie einem gewissen Hang zum Überbordenden nach, doch sie beherrscht den Umgang mit der Sprache, wie sie immer wieder aufs Neue beweist. Und sie ist, was auch der Erzähler ihres neuen Romans »Ich war Diener im Hause Hobbs« von sich selbst behauptet, »ein genauer Beobachter«. Dieser hat vielleicht ein bisschen Probleme mit seiner Erinnerung, aber entgehen tut ihm nichts. Was davon Verena Roßbacher im Literaturinstitut Leipzig gelernt hat, ist gar nicht so wichtig, dass sie dort studiert hat, aber in jedem Fall. Immerhin ist aus ihrer Abschlussarbeit ihr Romandebüt hervorgegangen. 2009 hat Roßbacher mit ihrem knapp 450 Seiten umfassenden Erstling für Furore gesorgt. Für »Verlangen nach Drachen« hat sie auf der Uni ein »Sehr gut« bekommen, bald die Veröffentlichung in einem renommierten Verlag und einen Platz im Feuilleton mit vielen lobenden Besprechungen, die vor allem Roßbachers Humor und Fantasie hervorhoben.
Die Geschichte um den Alltag im Kaffeehaus Neugröschl, das von seinem Besitzer gerne auch mal zur »Autowerkstatt« erklärt wird und in dem die vornehmlich männlichen Romanfiguren mit ihren Problemen und Sorgen ein- und ausgehen, versprüht bei aller Ausgiebigkeit einen unterhaltsamen und amüsanten Charme. Die Männer des Romans – generell sind es die Männer, die die Autorin als Figuren in den Vordergrund rückt –, vom exzentrischen Vater, der ständig seine Namen wechselt und von einer absurden Geschäftsidee zur nächsten hechtet, bis hin zu diversen, sich rasch abwechselnden Liebhabern, kreisen um die geheimnisvolle Klara, die es in ihrer unaufgeregten Art versteht, alle in ihren Bann zu ziehen. Dabei ist Klara selbst sehr unentschlossen, studiert, lebt mal in einer Gartenhütte oder arbeitet als Kellnerin im Neugröschl – dort, wo auch am Ende alle zusammenfinden, fast alle jedenfalls. Bereits in diesem ersten Roman zeigt Verena Roßbacher ihre Vorliebe fürs Außergewöhnliche und Abseitige. Neben ihrer Fabulierlust, die sie gerne auf die Spitze treibt und dann und wann auch darüber hinausschießen lässt, zählen vor allem ihr ausgesprochener Sinn für Komik, ihre skurrilen Ideen und schrägen Figuren zu den Stärken der Schriftstellerin.
Doch Verena Roßbacher möchte viel mehr – sie möchte einfach alles unterbringen in ihren Büchern. So auch in ihrem aktuellen Roman »Ich war Diener im Hause Hobbs«. Darin lässt sie den Erzähler Christian »Krischi« Kauffmann vor allem von seiner Kindheit und Jugend im Vorarlbergischen Feldkirch und seiner etwa zehn Jahre andauernden Zeit unter der Familie Hobbs, deren Diener er war und die ihn kurzerhand in Robert umbenannt hat, berichten. Dazwischen gibt er eine Anleitung, wie man sich bei einem Lawinenabgang am besten verhält, und spricht immer wieder über die Oper, Museen, Maler und Autoren – der amerikanisch-österreichische Autor John Wray, der 2017 am Bachmannpreis teilgenommen hat, erhält sogar eine Nebenrolle in dem Werk, Kauffmann lernt ihn bei einer Ausstellung kennen. Den Menschen, die seinen Lebensweg gekreuzt haben, versucht er in der Höflichkeit eines Butlers die ihnen entsprechende Wichtigkeit zukommen zu lassen. Auch wenn das mitunter heißt, deren ganze Geschichte gleich mitzuerzählen.
Es ist also auch ein wenig Selbstironie – wiewohl überhaupt vieles ironisch ist in Verena Roßbachers Literatur –, wenn die Autorin ihren zweiten, über 600 Seiten umfassenden, Roman erstens »Schwätzen und Schlachten« nennt und zweitens recht häufig den Lektor Olaf zu Wort kommen lässt, der sich über ihre umfangreichen Texte und zahlreichen Nebenstränge beschwert. »Dass du das nicht hinkriegst, sagte er, eine Geschichte schön auf knackigen 100 Seiten abzuwickeln.« Meint er an einer Stelle der recht vergnüglich zu lesenden Diskussionen, und dann schließen sie eine Wette ab. Auch der Erzähler im neuen Roman thematisiert seinen Hang zum Abschweifen: »Kaum fange ich an, etwas zu erzählen, einen sauberen, schlichten Sachverhalt darzulegen, verzettle ich mich heillos in diesem ganzen unsortierten Wust an Gedanken und Erinnerungen, Fetzen und einzelnen Sätzen.« Es spricht eigentlich auch überhaupt nichts gegen das »Schwätzen« in Verena Roßbachers Büchern – denn sie tut das sehr souverän und gekonnt. Über das vielleicht manchmal aufkommende Gefühl der Langeweile kann man sich hinweglesen, und irgendwann schließlich hat man das Gefühl, es ist schon alles richtig so, wie sie es schreibt, es muss schon alles so besprochen und erwähnt werden. Dann lässt man sich auf die Roßbacher’sche Literatur ein und wird auf ruhige und sympathische Weise mitgenommen.
Bücher zu schreiben war jedoch nicht Plan A von Verena Roßbacher, die inzwischen mit ihrer Familie in Berlin lebt. In Zürich arbeitete sie einige Zeit als Hausmädchen bei einer vermögenden Familie – ihre Erfahrungen, die sie dort sammelte, konnte sie in »Ich war Diener im Hause Hobbs« verarbeiten. Auf diese Weise finanzierte sie ihr Studium (Philosophie, Theologie und Germanistik), das sie jedoch nach einigen Semestern abbrach. Ihr weiterer Weg führte sie in den Osten Deutschlands, nach Leipzig, wo sie unter Landsmann Josef Haslinger am Literaturinstitut zu studieren begann. Eine sicherlich prägende Zeit – wann hat man als junge Autorin sonst die Gelegenheit, sich in der Diskussion mit Professoren und Gleichgesinnten über die eigene Literatur zu unterhalten und sich weiterzuentwickeln. Der Ruf der »Schreibschulen« ist ja nicht der allerbeste, aber es kommt doch auch darauf an, was die Studierenden daraus machen, wie sehr sie es schaffen, einen eigenen Stil zu finden, eigene Ideen zu entwerfen. Und das gelingt Verena Roßbacher von »Verlangen nach Drachen« bis hin zu »Ich war Diener im Haus Hobbs«.
Verena Roßbacher, geboren 1979 in Bludenz/Vorarlberg, aufgewachsen in Österreich und der Schweiz, studierte einige Semester Philosophie, Germanistik und Theologie in Zürich, dann am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. »Ich war Diener im Hause Hobbs« ist nach ihrem Debüt »Verlangen nach Drachen« (2009) und »Schwätzen und Schlachten« (2014) ihr dritter Roman bei Kiepenheuer & Witsch.
Schwätzen und Schlachten
Kiepenheuer & Witsch, 640 S.
Ich war Diener im Hause Hobbs
Kiepenheuer & Witsch, 384 S.