Es kommt uns zwar wie gestern vor, aber dass Elfriede Jelinek auf dem Cover der Buchkultur prangte, ist dreißig Jahre her. Damals schrieb Georg Pichler über die skandalisierte Autorin, von ihren »Spielen mit Trivialmythen«, ihrem Yves Saint Laurent-Kostüm, das sie sich für ihr erstes Hörspiel-Honorar gekauft hatte und von ihrem Schreiben über die österreichische Mentalität. Sylvia Treudl ordnet nun, viele Jahre später, anlässlich des neuen Buches »Angabe der Person« und des Films »Elfriede Jelinek. Die Sprache von der Leine lassen«, Pichlers Text neu ein. Foto: Martin Vukovits.
Egal, wie die Rezeption von Werk und Wirkung einer Autorin/eines Autors ausfällt – bis zu einem gewissen Grad steht auch die private Person der/des Schreibenden stets mit auf dem Prüfstand. Ob das nun korrekt oder unzulässig ist, kann kaum beantwortet werden, da es offenbar schwierig ist, diese Felder zu trennen.
Wenn es in den »Notizen zu Elfriede Jelinek« von Georg Pichler aus dem Jahr 1992 (Buchkultur Ausgabe 17) neben einer bis heute lesenswerten Einschätzung der Romane und Stücke der Autorin geht, unterbleibt beim Aufgreifen des Terminus »Trivialmythen«, mit denen die Romanciere und Dramatikerin so ausgezeichnet zu spielen versteht, auch das Wort von den »Privatmythen« nicht – die uns neben den Aufregern, die Jelineks Werk allemal zu provozieren imstande sind, so sehr interessieren.
Und die Leser/innen blicken stumm (= streng) auf dem ganzen Tisch herum?
Eine Autorin wie die Jelinek kann es sowieso nicht allen recht machen – und das dürfte wohl auch kaum je ihr Schreibansatz gewesen sein. Tatsache ist, dass sie sich nie verbogen hat, ihrer Haltung treu geblieben ist – und sich damit auch extrem jeder nur möglichen Kritik ausgesetzt hat.
Und dann trägt sie auch noch Yves Saint Laurent-Klamotten. Ja – und wo ist das Problem?
Eventuell im Kanonisieren – nicht nur des Werks – sondern auch in den Zuschreibungen, die an eine Autorin dieses Rangs herangetragen werden: so und so sieht der Verhaltenskodex aus, den man von ihr erwartet. Den sie aber nicht einhält. Und spätestens mit der Auszeichnung Literaturnobelpreis 2004 legt sie nochmal nach. Indem sie sich als Person quasi völlig unsichtbar für die Öffentlichkeit macht. Ja darf sie denn das? Und wie. Darüber hinaus zieht sie ihr Werk nicht ab von der öffentlichen Wahrnehmung, ganz im Gegenteil, aber was kaum Gegenstand der Überlegungen zu Elfriede Jelinek stand und steht: Wie schwierig es für das Schaffen ist, nach dieser unüberbietbaren Ehrung überhaupt weiterzumachen, einem Erfolgsanspruch standzuhalten und nicht sozusagen zu Tode ausgezeichnet worden sein.
Dass Jelinek über Jelinek aber bereit ist, Auskunft zu geben – und nicht nur in »Angabe der Person«, lässt sich im großartigen Film »Die Sprache von der Leine lassen« der Regisseurin Claudia Müller bestaunen – Archivmaterial mit Überraschungen, keine Schlüssellochperspektiven, keine Indiskretionen. Ein würdiges Porträt einer Autorin, die sich – und auch das soll einmal deutlich gesagt werden, weder in ihren literarischen Frühjahren, als sie bereits ein beeindruckender Name in der Schreiblandschaft war, noch als höchst etablierte Grande Dame der Gegenwartsliteratur zu gut war, um auf Bitte hin auch kleineren, weniger bekannten Publikationsorten Texte zur Verfügung zu stellen – wie beispielsweise dem in den 1980 gegründeten Wiener Frauenverlag, der 1981 die Anthologie »Aufschreiben« herausbrachte.
Wir sind uns selbst kein Rätsel
Notizen zu Elfriede Jelinek von Georg Pichler (aus Buchkultur 17, Oktober 1992)
Nach dem Tod von Thomas Bernhard gibt es, so scheint’s, im österreichischen Literaturbetrieb beim momentanen Stand der Literaturaktion (berechnet im Wesentlichen nach Häufung des Vorkommens auf den Gerüchtebörsen und in Zeitgeist- und anderen Magazinen – auf jeden Fall: Hochglanz!) wahrscheinlich nur mehr zwei Großschriftsteller: Peter Handke und Elfriede Jelinek. Diese Ordnungszugehörigkeit hat eigentlich nicht viel (oder: nicht nur) mit den spezifisch literarischen Fähigkeiten und Möglichkeiten der Autoren zu tun, sondern scheint sich, wie alle Mythen, aus einem Konglomerat von wahrscheinlichen Eigenschaften, eben aus Dichtung und Wahrheit und Werbung, zusammengesetzt zu haben beziehungsweise zusammengesetzt worden zu sein.
Aber: vielleicht ist das Skandalon doch ein zumindest relativer Richtmesser der Wirkung und Intensität (von Verstörung und Aufruhr etc.), die ein Künstler mit seinem Werk sozusagen entfacht oder zu entfachen fähig ist.
Elfriede Jelineks Romane und Stücke sind spätestens seit »Die Klavierspielerin« (1983) und »Burgtheater« (Uraufführung 1985) und vor allem seit dem spektakulären Bestseller-Erfolg des Romans »Lust« (1989) stets verlässliche Provokationsobjekte sowohl für den kanonisierenden guten Feuilleton-Geschmack als auch für das gesunde Volksempfinden, das wachsam an den rechten wie linken Rändern der Zeitungsseiten glossiert.
Eine Metapher für die Energie und Aggression, mit der Jelinek dem scheinbar »Normalen« begegnet und für die Häresie, mit der sie eine anscheinend unbewegliche Realität angeht, ist: »Das Böse« – als Absage an jede Versöhnung im Gegenwärtigen (so Barbara Alms). Und Emily (Krankenschwester und Vampir, Wiedergängerin) im Stück »Krankheit oder Moderne Frauen« (Uraufführung 1987) spricht es so aus: Wenn ein Wesen wie ich gut wäre, was für Ströme könnten von ihm ausgehen!
Und: Elfriede Jelinek ist eine der (wenigen) Autorinnen, die verschiedenste Impulse aus den jeweiligen Modeströmungen (Pop, Postmoderne etc.) in ihr Werk transformierte, ohne jemals bloß modisch damit zu agieren, obwohl sie immer top war.
All diese Spiele mit den Trivialmythen, die die jeweiligen Mode-Strömungen heranschwemmen, um damit unsere Langeweile zu überstülpen.
Und all diese Privatmythen, dass sie sich zum Beispiel für ihr erstes Hörspiel-Honorar ein Kostüm von Yves Saint Laurent kaufte oder die erste Lederkollektion von Claude Montana getragen hat.
Die meisten Texte von Elfriede Jelinek sind »grausam-monströse Kasperle- Theater, in dem die äußerste Künstlichkeit umschlägt in die Darstellung des rohen Naturzustands, der Barbarei … in denen die gängigen kulturellen Stereotypen, Ideologien, Mythen und Images des Weiblichen und der Frau in einem grotesken Bildertaumel Revue passieren« (wie Marlies Janz schrieb).
Es sind Studien über das herrschende Bewusstsein, über die Rituale patriarchalischer Herrschaftserhaltung, mit einer vielstimmigen Brillanz vorgetragen von einer Dichterin, die ihr Handwerk als »phallisch bestimmt« erklärt.
Analysierend hierbei die sogenannt objektivierenden (berechnenden, verfügenden, vergewaltigenden) Sprech- und Denkweisen mitsamt den harmonisierenden Alltagslügen, mit denen Leben simuliert wird.
Allesamt fulminante Montagen wider allerlei mythisch-ideologisch überhöhte Sehnsuchtsbilder: Klar und scharf wird die selbstzufriedene Identität des Österreichers und auch das diesen immerhin imprägnierende Deutschtum beschrieben; die Anfälligkeit der Menschen für den Faschismus als einer Verführung zum Reichtum, zum Wohlstand, zum Geld, der Scheiße der Toten.
Im Stakkato grausiger Rede schreibt sie an gegen diese Mentalität des Heimeligen Terrors: Wir meinen, es wäre sonst nirgend besser zu wohnen. Drum, ihr Gütigen, umgebet uns leicht! Mit uns! Damit kein Fremdes uns stört!« Die Zusammengehörigkeit als das bloße Wohnen auf diesem Heimatboden, weil »es also jetzt genügt, dass wir einfach da sind, um die Anderen zu vertreiben.
Weil der Schrecken sich in der Verständnislosigkeit erhöht, lautet die paradoxe Selbsterkenntnis der gesamten totalen Deutschheit wohl so: Wir sind uns selbst kein Rätsel (…) und gehn so sehr in die Tiefe, wir können uns nicht fassen.
Schon früh warnte Elfriede Jelinek vor den endlos Unschuldigen, die einer rechtsradikalen Partei und ihrem grinsenden Bürschchen namens Jörg Haider ihre Schrei-Stimme geben: Und vielleicht wird bald das ganze Land mit dieser Stimme, die man uns allen endgültig abgewonnen hat, sprechen.
So erschafft sie auch mit ihrem neuen Stück »Totenauberg« eine unheimliche, zumeist metaphysisch rauschende Identitätsbeschwörung (Burkhardt Lindner), in der sie aus Klassikertexten zitierend und anhand von Martin Heidegger und Hannah Arendt eine bizarre Gestik eines vaterländischen Pathos‘ entwickelt.
Bildungsschrott und Trivialmythen etwa werden mit kruden Kunstmitteln zu komplexen Textlandschaften konstruiert, welche eine Natürlichkeit simulieren, die auch Wirklichkeit wird: Wer daran nicht glaubt, muß dran glauben.
Weil: Wir sind nichts, wir sind nur, was wir scheinen.