Es ist eine reine Freude, wenn eine Autorin mit einem kompromisslos feministischen Anspruch nicht nur konsequent ihr Thema in unterschiedlichen Ausprägungen, zu denen auch der schon wunderbar hinterhältig zu nennende Humor zählt, fortführt – es ist eine doppelte Freude, wenn diese Autorin auch konsequent und zurecht ausgezeichnet wird. Foto: Paul Landl.


Outstanding Artist Award für Literatur 2020, Ernst Toller-Preis 2021 – und das sind nur die jüngsten Anerkennungen, die Gertraud Klemm erhalten hat. Wer den zuletzt erschienenen Roman „Hippocampus“ noch nicht gelesen hat, sollte das unbedingt nachholen, die Begründung der Jury des Ernst Toller-Preises stellt u.a. fest: „In ihrem ‚rebellischen Gesellschaftsroman‘ (Mia Eidlhuber, Der Standard) Hippocampus aus dem Jahr 2019 zeigt Gertraud Klemm anhand des Kunst- und Literaturbetriebs die patriarchalen Strukturen und zermürbenden Mechanismen auf, die unsere Gesellschaft bestimmen und fordert damit auch zur Reflexion der Erinnerungskultur auf. Dieser Einladung kommt die Ernst-Toller-Gesellschaft gerade im 25. Jahr ihres Bestehens gerne nach.“

Nach wie vor gilt für die Literatur der Gertraud Klemm dasselbe wie 2015: Da gibt es kein Tändeln und Liebäugeln mit Moden oder fragwürdigem Salonfeminismus, der nicht mehr als Beleidigtsein zu bieten hat, da halten die Strukturen einer überzeugten und überzeugenden inhaltlichen Arbeit genauso wie das literarische Handwerk. Das lässt sich nicht wegdiskutieren und/oder übersehen. Und das ist gut so.

Zuletzt erschienen:
Gertraud Klemm, Hippocampus (2019), Kremayr & Scheriau, 384 S.


Foto: Dirk Skiba

Long way down?

Wo sind wir angekommen? Sind wir irgendwo anders angekommen als unsere Mütter? Gertraud Klemm lässt kein „ja, aber“ gelten in ihrer Literatur. Und macht weder Heilsversprechen, noch offeriert sie Wunder.

Von Sylvia Treudl, aus: Buchkultur 159, April/Mai 2015.


Sie ist radikal in ihrer Literatur und sie macht keinen Hehl daraus. Lange, respektive nur sehr vereinzelt, war es nicht mehr Thema in der Literatur (von Frauen) – dieses schonungslose Hinterfragen weiblicher Lebenszusammenhänge. Die ausgebildete Biologin Klemm lässt in ihrem zweiten Roman „Aberland“ eine Spezialistin für Zebrafische am Riff des angeblichen Familienglücks auflaufen, denn der Selbstbetrug mit dem Fertigstellen der Dissertation neben der Kinderbetreuung wird nicht klappen. Eine der Protagonistinnen im Debütroman „herzmilch“ (Droschl, 2014) hat ihr Klavierspieltalent an den Nagel gehängt – und die Formulierungen der Autorin mit dem sezierenden Blick zum Thema „Abzweigungen im weiblichen Leben“ sind schmerzhaft genau. Gertraud Klemm entlässt die Frauen – bei aller grundsätzlichen Zuneigung, bei allem Verständnis, mit dem sie ihre Figuren zeichnet – nicht aus der Verantwortung, vor allem nicht aus jener für ungelebtes Leben, aufgeschobene Entscheidungen.

Und die Autorin beweist einen selten gewordenen (literarischen) Kampfgeist, eine Bereitschaft, sich auszusetzen, indem sie sich den Klassikern weiblicher Lebensrealitäten stellt: Mutterschaft kontra Karriere, selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben mit familiären/partnerbezogenen Rahmenbedingungen zusammenzubringen. Sie scheut nicht davor zurück, die alten Fallen in den behübschten neuen Verpackungen bloßzulegen. Und sie arbeitet mit nahezu schon brachialer Ironie.

Es ist eine veritable Leistung, dass Gertraud Klemm sich im Rahmen des Bachmann-Wettbewerbs 2014 so überzeugend durchgesetzt hat (Zuerkennung des Publikumspreises für ein Kapitel aus „Aberland“) – mit einem so ungeschminkt feministischen Text, der keinen Zweifel an der Absicht wie auch an der literarischen Kompetenz der Autorin lässt. Diese formale und inhaltliche Überzeugungsarbeit gelingt ihr bereits mit „herzmilch“ – ein Titel, für den sie ebenfalls mehrfach ausgezeichnet wurde (u. a. Anerkennungspreis für Literatur durch das Land Niederösterreich 2012, AutorInnenprämie des BKA für das besonders gelungene Debüt).

Aberland, das ist eine Metapher, das ist das Zwischenreich, in dem die Frauen, so es ihnen mit dem feministischen Anspruch je ernst gewesen sein sollte, nie ankommen sollten. Wenn die Frauen im System nach wie vor perfekt mitspielen, ihr Potential – auch jenes als ernstzunehmende Geldverdienerin – nicht wahrnehmen, bleibt es bei den alten Mustern.


„Aberland“ ist ein so ungeschminkt feministischer Text, der keinen Zweifel an der Absicht wie auch an der literarischen Kompetenz der Autorin lässt.


Wie schwierig es allerdings ist, diesen ausgetretenen und gesellschaftlich mehrheitlich willkommenen Pfaden eben nicht zu folgen, weiß die Autorin aus eigener Erfahrung – Gertraud Klemm, Mutter von zwei Adoptivsöhnen, weiß um die Mühen der Ebene, die Anstrengung des Versorgens, Kümmerns etc. Mit dem Totschlagargument, sie wisse ja nur theoretisch Bescheid, braucht man ihr also nicht zu kommen. Und gerade aus der Erfahrung heraus gestattet sie sich Sätze wie „Mutter Natur hat ihre Denkorgane in Kindertröstungsorgane umgewandelt. Verzaubert. Ob das reversibel ist? […] Muttertier gegen Karrieresau. Oder: Muttertier mit Karriereoption gegen Karrieresau mit Kinderwunsch.“ (aus: herzmilch)

Wieder und wieder stellt sich Gertraud Klemm der Frage nach dem Reproduktionsauftrag sowie dem generationenübergreifenden Wiederholungszwang, den weiblichen Körper zurechtzuhungern/zu trimmen, in ewiger Jugend erstarren zu lassen.

Gertraud Klemm ist eine Kämpferin, von der noch viel zu erwarten ist. Und: kein Zufall, dass sie sich in „Aberland“ bei Marlene Streeruwitz für deren Ermunterung bedankt.


Gertraud Klemm, geboren in Wien, aufgewachsen in Baden, studierte Biologie. Seit 2006 arbeitet sie als Autorin und Schreibpädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Pfaffstätten, Niederösterreich. Ausgezeichnet mit Stipendien und Preisen, u. a. dem Harder Literaturpreis 2012 und dem Publikumspreis im Rahmen des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs 2014.

Gertraud Klemm
Aberland (2015)
Droschl, 184 S.