Die Buchkultur-Jury 2025 für die zehn besten Krimis für den Sommer:
Grit Burkhardt | Buchhandlung totsicher, Berlin
Monika Dobler | Buchhandlung Glatteis, München
Cornelia Hüppe | Buchhandlung Miss Marple, Berlin
Christian Koch und Robert Schekulin | Buchhandlung Hammett, Berlin
Maria Leitner | Redaktion Buchkultur
Thomas Przybilka | Krimiarchiv Bonn
Elisabeth Schippel | Buchhandlung Krimisalon, Wien
Anna Spicker | Thalia Wien Mitte
Thomas Wörtche | Kritiker und Herausgeber (enthält sich der Stimmen für Suhrkamp)
Blut für Blut
Eli Cranor
Ozark Dogs
Ü: Cornelius Hartz
Atrium, 288 S.

»Ozark Dogs«: Eli Cranors beeindruckender Rural Noir spielt mit dem Auge um Auge-Prinzip.
Das Ozark-Plateau, die Ozark Mountains, sind inzwischen medial mehr als gut erforscht. In diesem Gebirge, das fast genau in der Mitte der USA liegt, eine Hälfte gehört zum Bundesstaat Missouri, ein großer Teil zu Arkansas, den Rest teilen sich Oklahoma und Kansas, siedelten etwa Bill Dubuque und Mark Williams ihre 44-teilige Netflix-Krimiserie »Ozark« (2017-2022) an. Lange vorher, 2006, spielte dort Daniel Woodrells großartiger rural noir »Winters Knochen«, zuvor, 1998, sein Roman »Tomatenrot«. Auch Eli Cranors »Ozark Dogs« spielt dort, der dem Sub-Genre aber einen neuen Twist zu geben versteht.
Der Titel spielt an auf die bissigen Hunde, die Jeremiah Fitzjurls Schrottplatz bewachen. Er meint aber auch den Kampf zweier Familien in den Ozarks, der Fitzjurls und der Ledfords. Jeremiah, Einzelgänger und Vietnamveteran, bewacht seine Enkelin Joanna, die kurz vor dem Highschool-Abschluss steht. Ihr Vater Tommy erschoss einst Rudnick Ledford – und die Outlaw-Familie mit Ku Klux Klan-Affinität und Verbindungen zu einer mexikanischen Gang, die Crystal Meth ins Land schmuggeln will und Mädchenhandel betreibt, schwor Blutrache. Nun hat sich Joanna in einen jungen Mann verliebt, der mit den Ledfords liiert ist … was sie nicht weiß. Belladonna Ledford auf der anderen Seite kann Rache nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren.
Cranor schildert das Atavistische, die Armut und die reaktive Gewaltkette, die unvermeidlicherweise noch mehr, immer mehr Gewalt hinter sich herzieht, atmosphärisch atemnehmend. (Alexander Kluy)
Kansas kann tödlich sein
Sara Paretsky
Wunder Punkt
Ü: Else Laudan
Argument, 492 S.

»Wunder Punkt« zeigt Sara Paretsky auf dem Höhepunkt ihres Schreibens.
Durchatmen, nein, überhaupt atmen – und wieder zu Kräften kommen, zu seelischen wie zu intellektuellen. Das wünscht sich Vic Warshawski nach einer wahrlich schauerlichen, ja traumatischen Episode. Sie wollte einer jungen Transfrau helfen – und vor ihren Augen schoss dessen Vater ihr den Kopf weg, weil er damit nicht zurande kam.
Nur weg also. Aber ist Lawrence, US-Bundesstaat Kansas, weit genug von Chicago? Dorthin lädt sie Bernie Fouchard ein, wie Vic gern sagt, »sowas wie meine Patentochter«. Gemeinsam gehen sie zum Basketballspiel des Frauenteams der lokalen Jayhawks gegen die Wildcats … und dann ist eine Spielerin abgängig. Vic findet sie, im selben Crack-Haus am folgenden Tag dort auch die Leiche einer lokal verhassten Aktivistin. Verdächtige Nr. 1 für die Polizei: Warshawski. Was tun? Bleiben. Ihre Unschuld beweisen. Und den oder die Schuldigen finden.
»Wunder Punkt« ist der 24. Vic Warshawski-Fall um die Privatdetektivin aus Chicago mit dem schnoddrig losen Mundwerk. Der erste Roman der Serie erschien 1982 – hätte Paretsky gedacht, die Reihe würde so lange laufen? Neuerlich gelingt es ihr leichthändig ins Schwarze treffende bös politische Gesellschaftskritik an einem sich rapid durch Hetze separierenden Land zu verquicken. Und dabei nicht auf Spannung zu vergessen. Noir war ja bei Paretsky, die seit sieben Büchern in Else Laudan eine kongeniale Übersetzerin hat, schon immer unterhaltsam mit rasanten Dialogen verknüpft. Aber dass jemand mit dem Alter immer besser wird – Chapeau, Mrs. Paretsky. (Alexander Kluy)
In der nordargentinischen Pampa
Nicolás Ferraro
Ámbar
Ü: Kirsten Brandt
Pendragon, 280 S.

»Ámbar« von Nicolás Ferraro ist großartiges Hybrid aus mehreren Genres.
Jahrzehntelang haftete der argentinischen Kriminalliteratur der Ruf an, nur zwei Varianten zu kennen: Die hochartifizielle, im Gefolge des Übervaters Jorge Luis Borges, und die politische, die sich an der Militärdiktatur bis heute abarbeitet. Claudia Piñeiro hat mit ihren Mittelstandsvivisektionen bewiesen, dass es auch anders geht. Und mit Nicolás Ferraro tritt seit einiger Zeit ein Autor hervor, der eine andere Schattierung der novela negra präferiert. »Ámbar« (Pendragon, Ü: Kirsten Brandt) ist ein großartiger Hybrid aus Road Movie, Gangster- und Coming of Age-Roman, der trotz seiner angelsächsischen Referenzen ein genuin argentinischer Roman bleibt. Die Geschichte ist einfach: Die 15-jährige Ámbar ist mit ihrem Gangstervater Víctor Mondragón immer irgendwie auf der Flucht, irgendwo in der nordargentinischen Pampa, in schmierigen Absteigen hausend, immer misstrauisch, nie entspannt. Sie kann keine Wurzeln schlagen, sie hat keine Freunde, dafür aber perfekte Skills im Lügen, Betrügen und Wunden vernähen. Als Mondragóns bester Kumpel ermordet wird, beginnt er eine gnadenlose Jagd auf die Täter. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als Ámbar sich zum ersten Mal ernsthaft verliebt. Jetzt will sie kein fremdbestimmtes Anhängsel mehr sein – und trifft eigene Entscheidungen, ganz tough girl. Der Roman ist schnell, clever, actionreich, spannend und sehr, sehr menschlich. Ein Vater-Tochter-Drama in einer gewalttätigen, genau abgebildeten Welt. Mit dem Silberschein von Hoffnung am Ende. Großartig! (Thomas Wörtche)