Ein neuer Buchpreis in Gedenken an die früh verstorbene österreichische Autorin Helene Adler möchte zukünftig das Potential von rebellischer Literatur in Zeiten von erodierender gesellschaftlicher Konsensbereitschaft ausloten. Initiator Tomas Friedmann wünscht sich mehr Mut bei Verlagen, in der Produktion und auch Vermittlung. Foto: Lisa Alessandra Kutzelnig
2025 wird zum ersten Mal der Helena-Adler-Preis für rebellische Literatur verliehen. Dann ist ein Viertel des 21. Jahrhunderts geschafft. KI, Krisen und Kriege dominieren Medien. Im Netz wird geschimpft und getreten, meist anonym im Gegensatz zu treibenden Polit-Rabauken. So bewegt die Zeiten sind, der Kultur wird mitunter biedermeierliche Mentalität attestiert: brav und zurückgezogen sei sie, dystopisch und selbstgenügsam. Das darf bezweifelt werden, denn zeitgenössische Kunst und neue Bücher beweisen das Gegenteil. Viele präsentieren sich in ihren Werken als kritische Zeitgenossen: antikapitalistisch, feministisch, kämpferisch.
Sind bedeutende Schriftsteller nicht immer rebellisch? Spontan fallen Namen wie Georg Büchner und Heinrich Heine. Der junge Goethe und der idealistische Schiller. Der umstrittene Marquis de Sade und der verlotterte Charles Bukowski. Baudelaire und die Dichter der Beat Generation. Aus der Ukraine Jurij Andruchowytsch und Serhij Zhadan. Und aus Österreich etwa Wolfgang Bauer, Werner Schwab, Ingeborg Bachmann, Thomas Bernhard, Peter Turrini, Brigitte Schwaiger, Marlen Haushofer und Elfriede Jelinek. Bei allen Unterschieden brechen sie mit Tabus durch sprachkünstlerische Bearbeitungen von gesellschaftlichen, sozialen, sexuellen u.a. Themen. Ihre Dramen, Romane, Gedichte sind herausfordernd, provozieren, stören – manchmal auch unbeabsichtigt. Gute Literatur ist immer politisch; in den aufregendsten Texten steckt häufig eine Portion Rebellion. Man denke an Henry David Thoreau und seinen Essay über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat. An Ilse Aichinger und ihren Aufruf zum Mißtrauen. An die kulturkritischen Visionen der schwarzen Autorin bell hooks. An Franz Kafka und seinen brieflichen Aufstand gegen den Vater. An Gedichte von Erich Fried und Songs von Joan Baez, Bob Dylan und Patti Smith. Ihre rebellischen Geschichten sind nicht Geschichte, sie leben. Wie zum Beispiel der »Tschick«.
In seinem gleichnamigen, radikal-sensiblen Jugendroman erzählt Wolfgang Herrndorf, der zugunsten der Literatur seine Liebe zur Bildenden Kunst hintanstellte, von der ungewöhnlichen Freundschaft eines 14-jährigen Außenseiters aus bürgerlichen Verhältnissen zu einem gleichaltrigen, rebellischen Spätaussiedler aus Russland. Mit einem gestohlenen Lada brechen sie zu einer Odyssee auf. Am Ende des Roadmovies reflektiert der Ich-Erzähler Maik darüber, dass alle – Eltern, TV-News, Zeitungen – immer sagen, die Welt sei schlecht. Sein Resümee: »Und vielleicht stimmte das ja auch, und der Mensch war zu 99 Prozent schlecht. Aber das Seltsame war, dass Tschick und ich auf unserer Reise fast ausschließlich dem einen Prozent begegneten, das nicht schlecht war.«
Wie Herrndorf, der mit 45 an einem Gehirntumor erkrankte und sich das Leben nahm, hatte die österreichische Autorin und Künstlerin Helena Adler (1983-2024) eine fast rauschhafte Zuneigung zum Leben. Die Rebellin malte und schrieb sich mit zwei Romanen in die deutschsprachige Gegenwartsliteratur ein. Auch nach der Krebsdiagnose kämpfte die 40-Jährige weiter, notierte und zeichnete bis zuletzt. Nun soll der neue Helena-Adler-Preis für rebellische Literatur nicht nur an die Schriftstellerin erinnern, sondern österreichische Autorinnen und Autoren fördern. Initiiert vom Literaturhaus Salzburg – ermöglicht durch Kulturministerium, Land und Stadt Salzburg, Gemeinde Oberndorf und private Spenden – wird eine unabhängige Jury jährlich ein besonderes, aufmüpfig-humanistisch-widerständiges Prosa-Werk prämieren. Ausgezeichnet werden soll ein Text für seine kreativ-kritische, sprachbewusst-sinnliche, literarische Auseinandersetzung mit Leben und Tod, mit eigenen und gesellschaftlichen Umbrüchen und Veränderungen. Am 5. Jänner, Helena Adlers Todestag, wird eine Gewinnerin bzw. ein Gewinner bekanntgeben – auch wenn es letztlich kein »Sieg« ist, denn wie heißt es bei Anatole France: »Rebell ist man, wenn man unterliegt. Die Sieger sind nie Rebellen.« Trotzdem: Bewegte Zeiten brauchen bewegende Bücher.