Thomas Meinecke skizziert Spaziergänge durch die Sphären des Odenwalds und das dort liegende Städtchen Amorbach – Adornos Kindheitslandschaften. Foto: Michaela Melián
WER spaziert durch den Odenwald? Oder besser gefragt, wer nicht: Judith Butler, Tristan und Isolde, Feenwesen, eine Vielzahl an Meinecke rezipierende Universitätsprofessor/innen, der »Autor selbst«, Figuren aus Meineckes Romanen und Mitglieder der in Amorbach ansässigen Fürstenfamilie Von Leiningen begegnen einem und einander in Meineckes Roman.
Auf über 400 Seiten platziert Meinecke vorsichtig wie unnachgiebig Teilstückchen aus unterschiedlichen Quellen und formiert ein zerstreut-geordnetes Mosaikbild. Ausgehend vom Vorhaben der Recherche zu Adornos Kindheits- und Sehnsuchtsort Amorbach spinnen sich Fäden über theoretische, literarische, epistolarische und journalistische Texte und schaffen so Netze, die zeitliche Vorstellungen überschreiben. Besonders interessant: Intermediale Einflechtungen finden stets in Textform statt. Dass auch Schönberg und Mann ihre Auftritte haben, ist durch das Kreisen um Adorno nur selbstverständlich. Was den Roman, wie viele von Meineckes Werken, auszeichnet, ist das Einschreiben des Autors in den Text selbst und die Reflexion über das eigene Œuvre.
Ohne frühere Werke wie »Tomboy« (Suhrkamp, 2000) oder »Hellblau« (Suhrkamp, 2003) gelesen zu haben, läuft man eventuell Gefahr, vor lauter Bäumen den Odenwald nicht mehr zu sehen, die dekonstruktive und ironische Form des »Samplens« aber ermöglicht von Leser/innenseite die absolute Hingabe an den Text. Ein Remix aus Dialogen, Überlegungen, Popkultur und posthumanistischen Zugängen, in dem die Trennlinien zwischen fiktiven und realen Personen aufgelöst und die Möglichkeiten der schriftlichen Dokumentation voll ausgelotet werden.
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Thomas Meinecke
Odenwald
Suhrkamp, 440 S.