Für die Schauspielhäuser Graz und Wien schrieb Thomas Köck ab dem Sommer 2023 im Journal-Format mit, was in Österreich und der Welt vor der richtungsweisenden Nationalratswahl im September passiert ist. Foto: Max Zerrahn
Bald wurde klar, dass die »Chronik der laufenden Entgleisungen« genug Material für ein Buch bot. Ein Gespräch mit Thomas Köck, geführt im August 2024, über offene Browser-Tabs, tote Praktikanten und darüber, was passiert, wenn ein Text plötzlich zum Buch wird.
Buchkultur: Thomas Köck, wenn dieses Interview erscheint, ist die Nationalratswahl in Österreich am 29. September 2024, um die sich Ihr Buch dreht, bald geschlagen. Wie geht es Ihnen damit, dass das Buch, ebenso wie die Theaterfassung, die am 22. September Premiere hat, schon so kurz nach seinem Erscheinen Geschichte ist?
Thomas Köck: Es ist interessant zu überlegen, wie sich das, was dasteht, durch die Wahl nochmal überschreibt. Aber das ist ja Teil der Wette, die man eingeht: Wäre der Text »richtiger«, wenn er die Ereignisse im Herbst reinnähme, oder sind die Ereignisse im Herbst nicht eh auf eine bestimmte Art schon angelegt in dem, was der Text bereits beschreibt?
Zum Beispiel?
Im Sommer vor einem Jahr wurde von den Anschlagsplänen auf die Pride in Wien berichtet. Schon damals dachte ich: Na, wer hat denn den Verfassungsschutz in Österreich desolat gemacht? Als jetzt die Taylor-Swift-Konzerte abgesagt werden mussten, fühlte ich mich in diese Zeit und in mein Buch zurückversetzt.
Wie fiktiv oder echt sind denn die datierten Einträge?
So fiktiv und echt, wie Schrift halt ist. Ich habe keine Einträge gefälscht, aber in dem Moment, in dem man schreibt, passiert von alleine eine Fiktionalisierung. Wenn dasteht: »Ich gehe da- und dahin«, kann ich in dem Moment schlecht gehen. Das ist jetzt nur ein kleines Beispiel, aber so einen Kampf hat man bei so einem Format immer: Wie fängst du Zeit ein? Wie fängst du so eine Entgleisung, einen politischen Zustand in so einem Land ein? Ich will es nicht analysieren oder erklären, ich will den Alltag abbilden. Wie schreibt sich der in die Psyche von Leuten ein? Dadurch findet automatisch eine Verschiebung, eine Übertragung statt.
Ich musste immer wieder an das Projekt »Heilige Schrift I« von Wolfram Lotz denken.
Es gibt auch von Terézia Mora ein über fünf Jahre laufendes Tagebuch und eine Auseinandersetzung mit Zeit und Medien von Rainald Goetz. Und Max Frisch hat natürlich auch die Tagebuchform geprägt. Ich fand das Format interessant, weil heutzutage ja alle auf gewisse Weise Tagebuch auf Social Media führen. Dieser Kollektivtext im Web hat einen gewissen Sound, eine Sprache, einen Gestus, die man bei dieser Form automatisch aufnimmt. So ein Battle-Rap. Da ist ja so ein lesbares Journal fast schon wieder anachronistisch von der Form her.
Für Sie ist das eine ganz neue Form, oder?
Es war schon was Eigenes. Nicht Tagebuch an sich, aber zu beobachten, wie der Text ein Buch wird. Ann Cotten hat das einmal schön beschrieben: Es ist eigenartig, wenn ein Prozess, in dem man sich befindet, plötzlich in »etwas«, in ein Produkt, verwandelt wird.
»Chronik der laufenden Entgleisungen« ist ein gemeinsames Auftragswerk der Schauspielhäuser Wien und Graz. Sie sind ja für Postdramatik bekannt. Dieses neue Werk liest sich nun aber so gar nicht wie ein Theaterstück.
Es entstand so laufend. Der Plan war ja ursprünglich, diese Chronik ein Jahr lang bis September 2024 durchgehend zu führen. Schon Ende des letzten Sommers war das Material aber so, dass ich sagte: Wenn ich jetzt neun Monate so weitermache, wird das nicht nur viel, sondern was ganz anderes. Dann habe ich mit dem Suhrkamp Verlag gesprochen, der überraschenderweise und dankenswerterweise an einer Buchpublikation Interesse hatte. Es ist ja keine klassische Prosaform. Diese Überfülle hat mit dem Versuch zu tun, Sachen in ihrer Totalität fassen zu wollen. Mit der Frage: Was ist jetzt eigentlich dieses Dasein, spätmodern, on the brink of Rechtsruck, demokratische Werte, was ist das für ein Zustand? Ist das apokalyptisch oder ein Effekt von Medien – dass die Überfülle an Material, mit dem wir zugeschüttet werden, eigentlich nicht prozessierbar ist und daher notwendigerweise immer nur signalisiert: Es ist zu viel, es ist zu viel? Ist dieses apokalyptische Grundgefühl also eine Reaktion auf die Unmöglichkeit, alles zu verarbeiten? Auf den ersten Blick sieht der Text jetzt nicht so dramatisch aus wie die anderen Texte, auch weil er eine andere Schriftart hat, aber vom konzeptionellen Herangehen war es nicht anders. Ich habe gefragt: Was interessiert mich? Habe einen Plan gemacht und nach einer Weile geschaut, was da ist, das aber auch immer wieder mit der Regisseurin Marie Bues und mit dem Verlag lose gegengecheckt. Und die Dramatik entfaltet sich in dem Text ja eigentlich in der Zeit und der vermeintlichen Unausweichlichkeit.
Wie geht es Ihnen damit, ein Jahr lang Chronist gewesen zu sein?
Menschen, die in Österreich leben, sagen zu mir, sie können darüber nicht mehr lachen. Am Anfang des Projekts war Sommerloch. Da wurden irgendwelche Debatten aus dem Hut gezaubert, mit einer irren Tollpatschigkeit, wie es nur die österreichische Spitzenpolitik schafft. Nach einer kurzen Zeit dachte ich, da passiert jetzt nichts mehr, interessant wird’s erst im September 2024, ich muss jetzt allerlei erfinden, damit’s nicht langweilig wird. Aber dann startete munter ein Jahr, das eigenartig in seiner Surrealität war. Auch traurig, überfordernd bisweilen, wenn man internationale Ereignisse mitdenkt. Ich weiß nicht, ob das nur meine Wahrnehmung war, weil ich mich schon reingearbeitet hatte, aber ich kam gar nicht hinterher und musste mich konzentrieren, den Überblick zu bewahren, was da alles passiert und welche Zusammenhänge im Raum sind. Heute wechselt es von Erschöpfung zu Zweifel zum Gefühl, dass es Tage gibt, die sehr im Argen liegen, was Demokratie angeht, sodass man sich fragt: Warum wird da nicht gegengesteuert, wartet man, bis es einmal total crasht? Wahrscheinlich bin ich im Oktober viel präziser in meiner Einschätzung.
Sie nutzen die Chronik auch zu großen Überlegungen über Klasse, zitieren die Poetin Cynthia Cruz und schreiben erstmals über Ihre eigene Kindheit im oberösterreichischen Arbeitermilieu, was gerade ja sehr in ist. Wie kam es dazu?
In all meinen Texten sind Nuclei von Erinnerung enthalten, weil ich beim Arbeiten immer eine Verankerung in eigener Erfahrung brauche. Bei dramatischen Texten schützt mich, dass andere Menschen sprechen, wenn ich da »Ich« reinschreibe, dann verwandelt sich das sowieso nochmal – es gibt die Verwandlung in diverse Formen wie chorisches Sprechen. In diesem Fall habe ich für mich anfangs einfach überlegt, woher seit Jahren meine Aversion kommt, mich mit Österreich zu beschäftigen. Normalweise suche ich immer den weitest möglichen Abstand von mir selbst. Was mich an Literatur interessiert, ist ja gerade die Möglichkeit, dorthin zu gehen, wo eine Vorstellung ist, eine Abstraktion, eine ganz andere Sprache. Dann habe ich gemerkt: Es hilft eh nix, ich muss mich mit ein paar Sachen sowieso beschäftigen. Zum Beispiel mit meinem Imposter, also dass ich ständig denke, es reicht nicht, es reicht nie, ich muss noch was und noch was machen und die ganze Zeit liefern, um mich zu behaupten. Und letztlich ist es keine Aversion, es hat einfach etwas mit Klasse zu tun, dieses Gefühl, dass ich in Österreich keine Heimat gefunden hätte. Und das ist mir erst beim Schreiben nach und nach klar geworden. Und diese Fragen waren sowieso da, ich konnte sie hier also auch gleich bearbeiten. Zudem ist das natürlich eine schöne Überleitung zu einer Analyse, wenn die an persönliche Erfahrungen anknüpft, denn diese Erfahrungen sind auch anschlussfähig. Am Anfang des Buches schreibe ich zum Beispiel über Rammstein, Jugendkultur und so weiter: also junge, provozierende Männer, die sagen: »Wir spielen nur.« Und das ist auch der Späte-80er-Sound der FPÖ. Parallel las ich die großartige Cynthia Cruz und Natalie Olah, die über Großbritannien und das Klassensystem, über Fragen des Geschmacks und des Lebensgefühls millennialer Versprechen wie Bildung und Aufstieg schreibt. Das wollte ich mal an meine Erfahrungen knüpfen und schauen, was das macht.
Sie kommen aus Oberösterreich, leben aber derzeit in Berlin. Die Auftraggeber sind wiederum zwei österreichische Theater. Wie gingen Sie damit um?
Ha! In Österreich sitzend hätte ich das nicht machen können, es wäre zu nah gewesen. Und Österreich hat sich auf eine bestimmte Art schon daran gewöhnt, dass eine Partei wie die FPÖ dort regieren könnte und es ja auch tat und tut, dass der Verfassungsschutz zerlegt wurde, dass ehemalige Politiker:innen regelmäßig vor Gericht erscheinen nach ihrer Karriere, scheint dort einfach niemanden mehr zu überraschen, man nimmt die Ereignisse in Österreich anders wahr – die »Heute« liegt aus, die blättert man durch und liest das so nebenbei schulterzuckend, dass rechtsextremes Vokabular halt im Parlament verwendet wird, liberale Tageszeitungen wollen zumindest mal über rechte Narrative diskutieren, und so weiter. Ich wollte diesen seltsamen Ausnahmezustand dieses Landes schon zumindest einmal in seiner Groteske versuchen zu erfassen. Und von außen durch die Linse von Erinnerung und Zeit draufguckend, war es möglich, aber eben nur mithilfe dieser Distanz.
An einigen Stellen im Buch erklären Sie politische Ereignisse und Ihre Hintergründe wie ein Journalist. Gleichzeitig habe ich eine zunehmende Unwilligkeit herausgelesen, politischer Kommentator zu sein. Ist da was dran?
Fein beobachtet. Ich wollte den Text zugänglich machen. Österreich muss zugänglich bleiben! Das führt dazu, dass man Dinge nochmal versucht zu erklären. Und es war zwar interessant, Hintergründe zu recherchieren, weil man dann plötzlich versteht, wie systemisch manches angelegt ist (ohne jetzt gleich Verschwörungstheorien auszupacken). Aber die Unwilligkeit nahm trotzdem zu, weil dieses Erklärende allem, was passiert, ein bisschen den Stecker zieht. Die Absurdität der Ereignisse liegt darin begraben, dass sie genau so stattfinden, dass sie Pointenlänge haben. Du brauchst aber manchmal den Kontext, um die Pointe zu kriegen. Es gab auch Momente, da wäre ich gerne auf halber Strecke stehengeblieben und in die Fiktion gegangen. Aber dann war ich doch einfach zu neugierig, wie’s weitergeht – also nicht mit meinem Text, in dem ich ja die Regeln vorgebe, sondern mit den Ereignissen.
Werden deshalb die zeitlichen Lücken nach hinten raus immer größer?
Ab April oder Mai ist vieles Fiktion. Das hat damit zu tun, dass das Buch in den Druck musste.
Etwas beschäftigt mich besonders: Sie schreiben von offenen Browser-Tabs aus dem Jahr 2018, die Sie anlässlich dieses Projekts wieder anschauen und teilweise schließen. Haben Sie wirklich so viele Tabs offen?
Ich habe hier grad einen Artikel vom 24. Juni 2022 über die Corona-Wellen, die laut Abwasserdaten viel größer als die bestätigten Fallzahlen sind. Insgesamt habe ich sicher zehn Browserfenster offen, und in allen sind ganz viele winzigste Tabs, die ich nur noch mit einer Tastenkombination durchklicke, weil die nach hinten raus so eine lange Kette bilden, dass ich die gar nicht mehr völlig überblicke. Letztens wollte ich auf meinem Handy einen Tab öffnen, aber der Browser hat mich nicht gelassen, weil ich schon 500 Tabs offen hatte. Da ich in Eile war, habe ich sie irrtümlich alle gelöscht. Ich war panisch!
Weil Ihnen potenzielles Arbeitsmaterial verlorenging?
Mich haben schon mehrere Leute darauf angesprochen, dass sie diese Vorstellung wahnsinnig macht. Ich weiß nicht, vielleicht hat es mit Zeit-Einfangen zu tun, mit Nicht-vergessen-Wollen. Obwohl ja laut Aleida Assmann Vergessen gut ist für die Erinnerung. Ich vergesse also, den Speicher zu löschen. Das Einzige, was ich wirklich loslassen kann, sind eigene Texte. Wenn ich die geschrieben habe, gibt es dazu nichts mehr zu sagen. Dann habe ich für mich einmal etwas durchgearbeitet, worüber ich mir Gedanken mache.
So direkt politisch wie die »Chronik« war bisher in Ihrem Werk eigentlich nur der Blog »Nazis & Goldmund« zusammen mit vier anderen Autor:innen. Was wurde denn daraus?
Ursprünglich haben wir das Projekt aus einer gemeinschaftlichen Lust heraus gestartet. Es war uns wichtig, das ehrenamtlich zu machen und nicht von irgendwelchen Förderungen oder sonstigen Geldern abhängig sind. Es musste von uns kommen, nicht politisch angebunden und so, eine Plattform, ein Hub, wo sich Menschen äußern können. Dafür, dass wir es unentgeltlich gemacht haben, war es relativ aufwändig. Wir haben unter dem Label auch größere Festivals in Berlin veranstaltet. Und dann, wie das bei einer Band halt so ist, … Aber wir haben vor kurzem wieder gestartet, sind wieder da, es entstehen auch schon wieder Formate, und ja, ich finde auch, dass es Zusammenhänge zum aktuellen Text gibt. Aber Nazis & Goldmund war viel spitzer, hier wollte ich von Anfang an den Ton nüchterner halten, step by step nur beobachten, weil sonst immer eine gewisse Überhöhung eine Rolle spielt. Ich wollte auch mal eine andere Versenkung, immerhin mache ich das mit dem Theater professionell jetzt schon seit einem Jahrzehnt.
Wie gefällt es Ihnen, nach zehn Jahren Theater plötzlich ein gedrucktes Buch vor sich zu haben?
Ich mag, dass man mit einer anderen Ruhe an so einen Text rangehen kann. Meine Stücke ufern ja oft aus. Diese Überlänge ist nicht absichtlich, sondern es gefällt mir, wo einzutauchen und was aufzumachen. Dafür ist die Prosaform sicherlich dankbarer, weil du nicht darauf achten musst, die Leute nach siebzig Minuten gut unterhalten nach Hause zu schicken. Betrieblich finde ich es ganz lustig, dass es diese Unterscheidung gibt. Weil auf dem Format Buch nochmal ein anderer Fokus liegt. Ich sage ja immer, ich schreibe Texte. Für mich ist also der Prozess relevant.
In der Rezeption liegt aber nun einmal ein großer Unterschied.
Ja, leider! Schon Softcover und Hardcover macht einen Unterschied, wie ich gehört habe. Das ist ja nur ein Rest einer bürgerlichen Distinktion, das Objekt, das man sich in den Kasten stellt, um Klasse und Habitus zu markieren, sonst nichts. Für mich kommen Texte vom Sprechen, vom Singen, und es sind ja auch letztlich Werkzeuge, die man angreifen muss, mit denen man dann eben arbeiten und die man anlegen muss, und das beschäftigt mich. Ich darf nicht überlegen, was die Leute erwarten.
Sie haben auch schon selbst Regie bei eigenen Texten geführt. Spätestens dann muss man ja an die Erwartung der Leute denken. Wie entscheiden Sie, ob Sie selbst (ko-)inszenieren wollen?
Angefangen hat es mit der Lust, mit Leuten zusammenzuarbeiten. Das liegt auch daran, dass Schreiben ein total schöner Job ist, aber eine Riesenproblematik mit sich bringt, nämlich: Man ist einfach allein. Das hat mir zugesetzt, aber ich hatte auch Lust, andere Arbeitsweisen auszuprobieren. Wenn also heute eine Regie auf mich zukommt und vorschlägt, sich zusammenzutun, mache ich das total gern. Und wenn Text und Regie zusammengehen, gefällt mir, dass der Text nicht für sich stehen muss, sondern ich ihn bei der Probe noch umarbeiten und neu erarbeiten kann. So entsteht eine gewisse Offenheit und ein ganz eigener Text. Viele Fragen, die ich sonst vor Probenbeginn für mich ausmachen müsste, kläre ich dann lieber vor Ort und das macht auch was mit allen, die daran beteiligt sind – was aber auch nicht automatisch gut ist! Man macht sich damit mehr Arbeit.
Hatten Sie mit der Bühnenfassung der »Chronik« Arbeit?
Die haben eine ziemlich coole Fassung rausgebastelt, ich habe mir die einmal angeschaut und besprochen, und that’s it. Mehr will ich mich gar nicht einmischen.
Konzentriert sich diese Fassung auf das ursprüngliche Thema Österreich vor der Wahl, oder kommt Thomas Köck auch noch drin vor?
Wahrscheinlich sieht man mich da drin. Das war immer meine größte Angst. Anfangs habe ich gesagt: Am besten nehmt ihr nur zwei Sätze aus dem Text und macht ansonsten musikalisches Arrangement und Tanz. Ich komme auf jeder Seite vor, ich hab ein Jahr damit verbracht, aber ich will mich auf der Bühne nicht sehen, weg, weg, weg, mir reicht’s. Die haben gesagt »Jaja, ist gut« und haben dann angefangen, Themenblöcke herauszuarbeiten, teils sogar gegen die Chronologie.
Ihr Instagram- und X-Handle ist @toterpraktikant. Warum?
Weiß ich gar nicht mehr auswendig. Es gab doch mal diesen toten Praktikanten, oder? Als ich in Berlin aufgeschlagen bin, war das so ein inneres »Nein, danke«, ein Abschließen mit einem Lebensabschnitt. Ich habe mich in Wien und Berlin auf Praktika beworben, und dann hatte ich keinen Bock mehr drauf.
Haben Sie eines dieser Praktika auch gemacht?
Ich war beim Diaphanes-Verlag in Berlin, bei der Austria Presse-Agentur in Wien. Aber, wie Natalie Olah es auch beschreibt, heute verstehen wir die Zeit, die uns dadurch gestohlen wurde, besser: Die Generation Praktikum ist ein Zeitfenster. Ich glaube nicht, dass die GenZ Fahnen schwenkend in die Praktika reinläuft.
Angeblich beschwert sich die GenZ jetzt schon über die nächstjüngere Generation Alpha.
Das wird lustig, wenn sich da gezankt wird, wer die kritischeren sind! War das nicht mal eine Soziologie, die nach hinten guckt? Jetzt weiß man wahrscheinlich schon, was nach Alpha kommt und wie die Geburtenraten sein werden. Das ist eine sehr westliche Herangehensweise. Ich weiß nicht, wie viel man darauf geben kann. Da spielen so viele soziokulturelle Fragen rein. Man müsste das nicht nur generationen-, sondern auch klassenübergreifend aufgreifen. Ein Millennial, der in der oberösterreichischen Provinz aufwächst, ist ja noch einmal was anderes als einer in Paris. Da fallen so viele Nuancen weg. Ich habe kürzlich einen italienischen Bauern kennengelernt und sofort Anschluss gefunden, indem wir über ökologische Verschiebungen gequatscht haben, über »grain« und »weed« und »Machst du Brot oder Pasta«? Da kann ich schneller andocken als an eine Person, die in einem gutbürgerlichen Haushalt in Niederösterreich aufgewachsen ist.
Sie haben Szenisches Schreiben an der Universität der Künste studiert. Sind Sie nach Berlin gegangen, weil man das vor zehn, fünfzehn Jahren eben so gemacht hat?
Nein, die UdK kam erst später. Mir war dieses »Nach-Berlin-Gehen« nicht geläufig. Ich habe mich einfach nach dem Bachelor an Unis beworben, auch in Frankfurt, Barcelona und Hamburg. Ich wollte auf jeden Fall aus Österreich raus. An der FU Berlin wurde ich dann genommen und habe einen Master in Philosophie und Literatur begonnen. Da muss ich jetzt endlich die letzte Arbeit abgeben.
Und haben Sie das demnächst vor?
… Ja? Mal gucken. Erst einmal mache ich weiter so Theater. Ich bin immer noch am Suchen, was der beste Rhythmus fürs Arbeiten ist. Proben kann recht anstrengend sein, weil man in eine andere Stadt fahren muss und nebenbei auch noch Text schreiben. Aber ich habe halt Ideen. Mein Problem ist nur: Struktur. Das ist wie mit den zehntausend Tabs.
Thomas Köck, geboren 1986 in Wolfern (OÖ), studierte Philosophie und Literaturtheorie in Wien und an der FU Berlin sowie Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin und am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Bislang hat er 26 Theaterstücke geschrieben – aufgeführt u. a. am Schauspielhaus Wien, am Hamburger Thalia Theater und am Berliner Ensemble. Mit dem Musiker Andreas Spechtl (von der Band Ja, Panik!) entwickelt er unter dem Namen »ghostdance« Performances, die u. a. bei ImPulsTanz in Wien oder am Theater Basel zu sehen sind. Seit 2017 inszeniert Köck auch selbst – meist eigene Stücke.
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Thomas Köck
Chronik der laufenden Entgleisungen
Suhrkamp, 268 S.