Die besten Krimis für den Sommer 2023:
Riku Onda
Fische, die in Sonnensprenkeln schwimmen
Ü: Nora Bartels
Atrium, 256 S.
Riku Onda inszeniert das letzte Kräftemessen eines Paares als psychologisches Kammerspiel. Foto: Yuji Hongo.
Eine leergeräumte Zweizimmerwohnung in Tokio, die weggeschafften Möbel haben geisterhafte Spuren wie Schatten an den Wänden hinterlassen. Aki und Hiro, die einander seit Studienzeiten kennen, verbringen einen letzten gemeinsamen Abend mit einem schnell geholten Essen aus dem Supermarkt, als Tisch dient Akis gepackter Koffer. Er hat eine neue Freundin, sie möchte am nächsten Tag nach Vietnam verreisen: »Es gibt Dinge, die keinen Sinn mehr haben, wenn man eine Hälfte irgendwo verloren hat.« Die greifbare Spannung wird mit belanglosen Gesprächen über einen verlorenen Perlenohrring, ein Lied, einen Film verlängert. Das Taschenmesser, der Korkenzieher – ihr Anblick stößt vorsichtig tastende Fragen an, bis Aki nicht mehr weiter kann: »Wer in aller Welt hat ihn umgebracht?« Hiros überraschende Antwort: »Aber warst du es nicht, Aki?« Es gibt also eine ungeklärte Geschichte zwischen ihnen, die bevorstehende Trennung zwingt sie, reinen Tisch zu machen. Bei einer Bergwanderung im Frühsommer war der dafür gebuchte Führer ums Leben gekommen, abgestürzt. Ein Unfall, Selbstmord? Und wenn doch Mord: Wie können sie nicht wissen, wer ihn getötet hat? Sie waren nur zu zweit mit ihm unterwegs … 2022 belegte Riku Onda mit ihren großartigen »Aosawa-Morden« Platz 1 im Krimi-Spezial der Buchkultur und nahm sich für den komplexen Hintergrund und die mäandernde Aufklärung des innerhalb einer Familie begangenen Verbrechens ganze 360 Seiten lang Zeit. Nun, im verglichen damit kammerspielartigen »Fische, die in Sonnensprenkeln schwimmen« mit zeitlich und örtlich übersichtlichem Rahmen scheint sie rasch auf den Punkt zu kommen. Aber Vorsicht: Alles, wirklich alles ist Täuschung! Die Autorin, eine Meisterin der Verschleierung, legt von Anfang an winzige Spuren und Hinweise aus, die sich zunächst leicht überlesen lassen. Warum buchten die jungen Leute ausgerechnet einen Tag mitten in der Woche für ihre Wanderung, und nutzten nicht wie üblich dafür das Weekend? Weshalb gaben sie falsche Vornamen bei der Reservierung an? Der Ausflug war bar bezahlt worden – etwa um keine Spuren zu hinterlassen? Was haben die beiden sonst noch zu verbergen, vor dem Leser/der Leserin und voreinander? Riku Onda enthüllt (scheinbare) Details, wirft damit aber nur weitere Fragen auf. Es geht im Grunde ums Zurückschauen, wie das Foto auf einem Buchcover andeuten könnte: Drei junge Bauern, die nicht auf ihren Pfad nach vorne achten, sondern sich nach dem unbekannten Fotografen und dem Betrachter des Bildes umdrehen. Kleinste Geräusche wie das Schwirren von Insektenflügeln, das Brummen der Dunstabzugshaube, lösen Flashbacks aus: »Mach die Augen auf! Erinnere dich!« Denn schließlich hat jedes Ereignis Spuren hinterlassen, genau wie die Möbel an den Wänden, und die lassen sich nicht einfach abwischen. Es ist erstaunlich, was Riku Onda in einer einzigen Nacht, auf lediglich 240 Seiten, mit lediglich drei Akteuren, zwei lebenden und einem toten, anstellt. Was wie ein offensichtlicher Showdown beginnt – Er: »Ob ich es schaffe? Sie dazu zu bringen, zuzugeben, dass sie den Mann ermordet hat?« Sie: »Er hat diesen Mann in den Tod geschickt, und heute Nacht wird er mich töten.« – geht in ein faszinierendes Verwirrspiel über und endet, man möchte sagen, typisch japanisch, soziale Tabus inklusive: Fische, die wie Gedanken spielerisch auf-, unter- und wegtauchen, kann man eben nicht mit bloßen Händen fangen, und das auf dem Wasser flirrende Sonnenlicht täuscht den Blick, an der Oberfläche und darunter.
Die besten Krimis für den Sommer 2023:
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