Für unsere Redakteurin Barbara Kadletz war der erste Roman von Milena Busquets eines dieser »seltenen, beglückenden Leseerlebnisse, aus denen man verändert und bereichert hervorgeht«.

Übersetzt in viele Sprachen hat »Auch das wird vergehen« Menschen rund um den Globus begeistert und ist schnell zu einem internationalen Bestseller avanciert. Nun erschien am 19. Juni bei Suhrkamp ihr zweiter Roman auf Deutsch. Im Interview erzählt die in Barcelona lebende Autorin von den Themen ihrer Texte, von der Balance zwischen Privatem und Öffentlichem und von ihrem immerwährenden Versuch, Erinnerungen durch das Schreiben zu konservieren. Foto: Gregori Civera.


Buchkultur: »Gema«, auf Deutsch »Meine verlorene Freundin« ist nach »Tambien esto pasara« (»Auch das wird vergehen«) erneut ein Buch darüber, einen Menschen zu verlieren, und über Trauer. Ist das Schreiben für Sie ein »Werkzeug«, um Tod und Verluste in Ihrem Leben zu verarbeiten?

Milena Busquets: Naja, ich würde sagen, dass das Schreiben ein ziemlich gutes Mittel ist, um Fragen zu beantworten – und der Tod ist eine dieser großen Fragen. Andererseits glaube ich, dass wir den Tod nie vollkommen verarbeiten. Er ist immer da, er schwebt über uns, definiert uns, bringt uns in Bewegung und ja, vielleicht bringt er uns auch zum Schreiben.

Würden Sie auch ein Buch über ein anderes Thema schreiben? Sind der Tod bzw. die Trauer das eine große Thema, das Sie verfolgt und das für Sie wert ist, das Sie für so nötig, aber auch für so spannend halten, darüber ein Buch zu schreiben? Ich weiß, dass Sie auch Themen wie Liebe, Beziehungen, Mutterschaft, Freundschaft usw. in Ihren Büchern thematisieren, aber wären diese Themen »stark« genug für Sie, um einen Roman darüber zu schreiben? Würden Sie einen inneren Drang verspüren, über sie zu schreiben?

Ich bin dabei ein neues Buch zu veröffentlichen, »Las palabras justas«, das im Juni erscheint und das nicht vom Tod handelt, sondern sehr lebendig ist – da geht es viel mehr um Liebe und Jugend als um den Tod, auch wenn der Tod natürlich auch ein bisschen vorkommt.

Ist der Antrieb hinter Ihrem Schreiben auch ein wenig die Angst davor, zu vergessen? Ich denke hier vor allem an diese interessante Stelle über das Erinnern: Ihre Heldin fühlt sich wie das genaue Gegenteil der Proustschen Erinnerung: Sie kann sich nicht in die Geschichte zurückbeamen, um eine bestimmte Situation wiederzuerleben, sondern sie hat das Gefühl, dass ihr die Erinnerung an bestimmte Situationen immer mehr entgleitet.

Ja, natürlich. Wir schreiben, um uns zu erinnern, um Dinge festzuhalten. Es ist natürlich ein albernes Bestreben, weil am Ende ja doch alles verschwindet, aber wir versuchen es.

Wenn ich richtig verstanden habe, sind beide Bücher autofiktionale Romane. Interessiert Sie dieses Genre am meisten? Lesen Sie gerne andere autofiktionale Autor/innen wie Annie Ernaux, Tove Ditlevsen oder Karl Ove Knausgård? Für welche Sorte Literatur interessieren Sie sich als Leserin und für welche als Autorin?

Mein nächstes Buch ist eine Art Tagebuch, also würde ich schon sagen, dass meine Art, die Welt zu begreifen, immer durch mich selbst ist, anstatt durch andere Charaktere. Das Ziel bleibt ja aber immer dasselbe: Ein Stückchen Wahrheit zu erhaschen, wenn auch nur mit den Fingerspitzen.

Ich habe gelesen, dass Sie zuerst Archäologie studiert haben. Kann man sagen, dass Sie jetzt durch ihr Schreiben eine Art Archäologie in Ihrer eigenen Biografie betreiben? Ist Ihr Schreiben eine Archäologie, mit der Sie sich durch die Schichten Ihres eigenen Lebens graben?

Das ist eine gute Idee. Vielleicht ist das Schreiben immer irgendwie auch Archäologie – man geht immer tiefer und versucht zu sehen und verstehen, was da ist.

Sie kommen aus einer berühmten spanischen Verlegerfamilie. War das Archäologiestudium in einem anderen Land ein Fluchtversuch vor der Literaturbranche? Wie kommt es, dass Sie zurück nach Spanien gegangen sind und sich schließlich dazu entschieden haben, als professionelle Übersetzerin, Journalistin und Herausgeberin doch ein Teil des Literaturszene zu werden?

Ich habe es immer schon geliebt, zu schreiben und zu lesen. Ich glaube, es war nur eine Frage der Zeit. Teil einer Verlegerfamilie zu sein hat es aber irgendwie schwieriger gemacht: Meine Mutter war nicht nur die Verlegerin, sie war auch die Schriftstellerin. Da schien kein Platz für mich zu sein, daher hat es also eine Weile gedauert.

Waren Sie nervös, als Sie Ihren ersten Roman veröffentlicht haben, weil Sie aus der Branche kommen?

Ich war nicht nervöser als alle anderen Schriftsteller/innen, würde ich sagen. Es ist immer berauschend, unheimlich und wahnsinnig aufregend ein Buch zu veröffentlichen.

Wie läuft Ihr Schreibprozess ab? Sind Sie eine 9-to-5 Autorin? Oder tragen Sie immer ein Notizbuch mit sich herum und schreiben, wo auch immer Sie gerade sind?

Ich versuche, morgens zu schreiben (wenn ich genauer und cleverer bin), solange ich kann. Dann mache ich andere Sachen, die mit dem Schreiben zu tun haben, zum Beispiel lesen. Und ja, ich mache mir manchmal auch Notizen auf meinem Handy – Ideen oder Sätze.

In Ihrem neuen Buch geht es nicht nur um ihre Kindheitsfreundin Gema, die Sie an den Krebs verloren haben, sondern auch um Ihre Kinder, Familie und Freunde – Ihr richtiges Leben. Wie finden Sie die Balance zwischen dem Preisgeben und dem Verschleiern von privaten Informationen? Oder ist alles bloß ausgedacht und nur eine Masche beim Schreiben, sodass die Leute denken, was sie lesen ist autobiografisch?

(lacht) Nein! Ganz im Gegenteil: Alles ist wahr! Naja, 96 Prozent. Es gibt keine Tricks beim Schreiben – Authentizität und Wahrheit sind der einzige Weg!


Milena Busquets, 1972 geboren, hat in London Archäologie studiert und lebt und arbeitet seither in Barcelona – sie war in Verlagen, in der Modebranche, als Journalistin und Übersetzerin tätig. »Auch das wird vergehen« (Suhrkamp 2016) war ein internationaler Bestseller, der auch verfilmt wurde. »Meine verlorene Freundin« (Suhrkamp) ist ihr zweiter Roman.

Milena Busquets
Meine verlorene Freundin
Ü: Svenja Becker
Suhrkamp, 136 S.