Milena Busquets begibt sich auch in ihrem zweiten Roman auf die Suche nach den Toten in ihrem Leben.
Es gibt Bücher, die bleiben. Die schreiben sich ein in die eigene Lese-DNA und begleiten eine/n von da an. Milena Busquets Debütroman »Auch das wird vergehen« war eines dieser seltenen, beglückenden Leseerlebnisse, aus denen man verändert und bereichert hervorgeht. Übersetzt in viele Sprachen hat es Menschen rund um den Globus begeistert und ist schnell zu einem internationalen Bestseller avanciert. Erfrischend unprätentiös und gleichzeitig tief berührend erzählte Busquets darin die Geschichte einer Frau, die die Trauer um die verstorbene Mutter in ihr Leben zwischen Familie, Affären und Alltag zu integrieren versucht. Dabei gelang es ihr, eine ganz eigene Stimmung der Ambivalenz zu erzeugen, die zwischen euphorischer Lebenslust und den tiefen Abgründen der Trauerarbeit immer den richtigen Ton traf.
Auch Busquets neuer Roman, wieder in der Übersetzung von Svenja Becker, hat den Schmerz und die Fassungslosigkeit über den Verlust eines nahestehenden Menschen zum Thema. Diesmal ist es die plötzliche Erinnerung an den lange zurückliegenden Tod der Kindheitsfreundin Gema, der die Hauptprotagonistin des Buches, die auch den Namen der Autorin trägt, urplötzlich wieder einholt. Was folgt, ist eine autofiktional erzählte Spurensuche nach der titelgebenden, vor Jahrzehnten an Leukämie verstorbenen, »verlorenen Freundin«. Busquets spürt frühere Weggefährt/innen auf, examiniert ihre eigenen Erinnerungen, findet sich wieder auf alten Wegen und verliert sich in Recherchen, während sie ihre eigentliche Übersetzungsarbeit, ihren Freund und ihre Familie zunehmend vernachlässigt. Wunderschön die Passage, in der die Erzählerin von ihrem Neid auf Proust erzählt, dem nur ein einziger Bissen von seiner Madeleine eine konkrete Erinnerung eröffnet, die ihr nur zwischen den Fingern zerrinnt, je mehr sie sich um sie bemüht. Auch ihre alten Freundinnen sind keine Hilfe, an mancher Stelle des Buches scheint es, als wäre die Autorin mit ihrem Andenken an die Gema ganz allein.
Trotz des intensiven Themas bleibt Busquets’ neuer Roman im Gegensatz zu ihrem Debüt insgesamt etwas kühl und distanziert, der literarische Funke springt nur in einigen Passagen wirklich über. Vielleicht ist dies ja einem unbewussten Schutzmechanismus gegenüber einer voyeuristischen Leser/innenschaft geschuldet, schließlich würde das Buch, so die Autorin im Interview, zu fast einhundert Prozent von tatsächlich Erlebtem erzählen. Für sie als Schriftstellerin sei dies der einzige Weg, ihrem Ziel näherzukommen, durch ihre literarische Arbeit ein wenig Wahrheit berühren zu können – und sei es auch nur »mit den Fingerspitzen«.
Geduldiges Schicht-für-Schicht-Abtragen von Material ist für Milena Busquets jedenfalls vertrautes Terrain, hat sie doch vor ihrer Schreibkarriere Archäologie studiert. Denn die Literatur, erzählt sie, das sei immer die Domäne ihrer Mutter Esther Tusquets, einer erfolgreichen spanischen Verlegerin und Autorin, gewesen. Erst spät, nach Übersetzungen der Bücher anderer ins Spanische und diverser journalistischen Arbeiten, habe sie ihren eigenen Platz als Schriftstellerin gefunden.
Umso betrüblicher ist es da, zu sehen, dass Suhrkamp dem neuen Werk seiner Autorin so wenig zu vertrauen scheint, dass er bei Titel- und Covergestaltung zu einem Elena-Ferrante-Mimikry gegriffen hat. Ein Schelm, wer hier denkt, dass eher die pawlowschen Instinkte als das literarische Interesse der geneigten Leser/innenschaft angesprochen werden soll. Nun, wir wollen’s mal nicht persönlich nehmen.
—
Milena Busquets
Meine verlorene Freundin
Ü: Svenja Becker
Suhrkamp, 136 S.