Auch in Italien hat der Kriminalroman, der romanzo giallo, Hochkonjunktur. Vier mehr oder weniger spannende Neuerscheinungen laden dazu ein, in unterschiedliche Gegenden des Landes zu reisen, um dort Verbrechen auf die Spur zu kommen. Abbildungen: Erzsébet Dunavölgyi auf Pixabay, gemeinfrei

Davide Longo
Ländliches Requiem
Ü: Barbara Kleiner, Felix Mayer
Rowohlt, 528 S.
Nach einem auf ihn abgefeuerten Kopfschuss schwebt Eric Delarue, Geschäftsführer eines Turiner Stahlwerkes, in akuter Lebensgefahr. Warum der allseits beliebte Vorgesetzte und Familienmensch einem Attentat zum Opfer gefallen ist, scheint niemandem in seiner Umgebung einzuleuchten. Zwar deuten einige Indizien auf eine politisch motivierte Tat hin, doch damit wollen sich Bramard und Arcadipane, die beiden Ermittler, nicht zufriedengeben. Als sie immer weiter in Delarues Vergangenheit zurückgehen, stoßen sie auf ein zweites Verbrechen, das niemals aufgeklärt werden konnte und in dem neben Delarue auch ein berühmtes Balthus-Gemälde eine zentrale Rolle spielt. Davide Longo bietet mit »Ländliches Requiem« nicht nur einen brillant gebauten, unglaublich spannenden und auf keiner Seite vorhersehbaren Krimi, sondern es gelingt ihm auch ein atmosphärisch dichter Roman, der das Publikum in das Turin der Achtziger Jahre – Fiat floriert, Francesco Cossiga ist Staatspräsident, Primo Levi begeht Selbstmord – eintauchen lässt. Die Figuren, die darin auftreten, werden pointiert (»Sie wirkt wie die Sprecherin einer konservativen skandinavischen Partei, die im Fernsehen eine Gaspreiserhöhung ankündigt.«) und ungewöhnlich (»Sie ist angezogen wie die Kinder von Müttern, die irgendein Problem haben.«) gezeichnet. Die Attraktion dieses Romans sind aber, wie schon in den vier bisherigen Bänden der Reihe, die beiden Ermittler, der vom Schicksal hart getroffene Bramard, dem immer wieder seine ermordete Ex-Frau erscheint, und der zynische, oft von Neurosen getriebene Arcadipane, die auch abseits des Krimiplots als literarische Figuren überzeugen.

Rosa Teruzzi
Niemand tötet aus Liebe
Ü: Renée Legrand
Thiele, 224 S.
Originell und facettenreich, allerdings deutlich näher am Cosy Crime, sind die drei Ermittlerinnen, die Rosa Teruzzi in ihrer Krimireihe in Mailand ermitteln lässt. In Italien sind bereits zehn Bände erschienen, auf Deutsch liegt nun mit »Niemand tötet aus Liebe« der dritte Band der Reihe vor. Im Zentrum steht die Blumenhändlerin Libera, die nach der niemals aufgeklärten Ermordung ihres Ehemanns, des Polizisten Saverio vor zwanzig Jahren, versucht, ihr Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Da ihre gemeinsame Tochter Vittoria inzwischen auch Polizistin geworden ist, lebt sie in ständiger Sorge, wird aber auch von ihrer Mutter Iole auf Trab gehalten, die bei ihr wohnt, als Yogalehrerin arbeitet und nicht einsieht, warum sie sich mit einem einzigen Liebhaber begnügen sollte. Als Libera eines Tages eine vergilbte Notiz in die Hände fällt, grübelt sie abermals über Saverios Ermordung und beschließt, die Ermittlungen auf eigene Faust wieder aufzunehmen. Dabei kommt Libera einem Geheimnis auf die Spur, das ihr Bild von Saverio zu verändern droht. Dieser immer wieder auch unterhaltsame Roman besticht vor allem durch die liebevolle Zeichnung der Protagonistinnen, durch die ansprechende italienische Kulisse und durch die vielen literarischen Anspielungen, mit denen Teruzzi Libera charakterisiert, die die Menschen, die ihr begegnen, gerne mit literarischen Werken assoziiert. Der kitschige Titel des Romans, die nicht minder blumigen Kapitelüberschriften (z. B. »Wo die Wurzeln ihren Boden haben«) oder die an wenigen Stellen Teruzzis Italianità demolierende Übersetzung (z. B. »Kommt nicht in die Tüte«) sollten nicht davon abhalten, diese Krimis kennen zu lernen.

Enzo Maldini
Der Tote am Tiber
Oktopus, 272 S.
Auch in Enzo Maldinis Roman »Der Tote am Tiber«, dem ersten Band einer im römischen Stadtviertel Trastevere angesiedelten Reihe, spielt ein mysteriöses Schriftstück eine zentrale Rolle. Der junge Luca Crivelli bekommt von seinem Onkel Gianfranco einen Brief, in dem ihn dieser um ein Treffen bittet. Bemerkenswert daran ist, dass Lucas Vater Paolo den Kontakt zu seinem Bruder seit Jahren abgebrochen hat, da dieser politisch weit links steht und er, ein reicher Industrieller, in Gianfranco das schwarze Schaf der Familie sieht. In dem Brief wird Luca um ein Treffen gebeten, doch dazu kommt es nicht mehr: Gianfranco wird ermordet aufgefunden. Da er zuletzt in der kleinen Pension von Giulia Malfante gewohnt hat, wird diese von der Polizei befragt und entdeckt dabei, dass sie sich zur Ermittlerin berufen fühlt. Der Krimiplot, der sich in den folgenden Kapiteln entspinnt, ist ein wenig zu sonnig-oberflächlich und zu vorsehbar. Maldini gelingt es nicht, auch nur im Ansatz Spannung aufzubauen und eine sinnvolle Handlung in Gang zu bringen. Als Luca in eine Falle gelockt und entführt wird, rutscht alles unrettbar ins unfreiwillig Komische ab. Die Entführer agieren dabei wie Bud Spencer und Terence Hill, werden ganz flott mit den Mitteln des Slapsticks überwältigt wie dingfest gemacht und Luca wird mit ein paar Blessuren gerettet, »wobei man sich nicht sicher sein konnte, was Blut und was Tomatensoße war«. Im Falle dieses Krimidebüts ist die Lage klarer, darin findet sich eindeutig mehr Tomatensoße als Blut. Daran ändert auch das Finale nichts, in dem eine Lösung für den Mord umständlich herbeikonstruiert wird. Hoffentlich beginnt diese Rom-Krimireihe mit Band 2 der Serie nochmal von vorn.

Luca Ventura
Grünes Gold
Diogenes, 320 S.
Längst zu einer überzeugenden Serie entwickelt haben sich die von Anfang an lesenswerten Capri-Krimis von Luca Ventura. »Grünes Gold« ist der sechste Band der Reihe, in dem das Ermittlerduo Enrico Rizzi, ein gebürtiger Capreser, und Antonia Cirillo, die aus dem Norden auf die Insel gekommen ist, einen Mordfall aufzuklären versuchen, der die scheinbar perfekte Idylle Capris trübt. Eines Morgens wird im Sessellift auf den Monte Solaro die Leiche eines Mannes gefunden, den niemand auf der Insel zu kennen scheint. Rizzi und Cirillo finden aber rasch heraus, dass es sich bei dem Opfer um Alessandro Nardi handelt, einen geheimnisvollen Einzelgänger, der in Geschäfte rund um eine seltene Olivensorte involviert gewesen ist, die nur auf Capri gedeiht und mit deren Öl lukrative Geschäfte gemacht werden. Einmal mehr gelingt es Luca Ventura, einen fast meditativen Krimi im mediterranen Ambiente vorzulegen, der nicht auf schnelle Effekte setzt, sondern seinem Publikum einen soliden Fall bietet, um den herum nicht weniger stimmig die Schönheit der Insel Capri beschrieben wird. Ventura versteht es gekonnt, diesen Sehnsuchtsort so detailgetreu zu beschreiben, dass Capri als zusätzliche Mitspielerin auf jeder Seite zu spüren ist. Darüber hinaus hat er mit Rizzi und Cirillo zwei Figuren erfunden, aus deren Vergangenheit immer mehr Details gelüftet werden, sodass die beiden von Band zu Band an Kontur gewinnen und man gut beraten ist, wenn man alle sechs Romane der Reihe nach liest. Für kurzweilige, kluge und Fernweh auslösende Lesestunden sorgen sie alle.