Die besten Krimis der Saison 2021:

Giancarlo De Cataldo, „Alba Nera“ (Folio)
Ü: Karin Fleischanderl, 256 S.

Platz 2

Als Richter am Schwurgericht ist Giancarlo De Cataldo vom Fach. In seinem hochgelobten Krimi »Alba Nera« führt er durch ein düsteres Rom. Es geht um Geld, wie eigentlich immer. Und Sex. Foto: Nicola Calocero.


Alba Doria war »… hochgewachsen. Ihre schwarzen Haare hatten einen brünetten Schimmer, die schräg geschnittenen Augen changierten zwischen Grün und Aquamarin, nur die hohen nahezu slawischen Backenknochen störten die Perfektion des zarten Gesichts. Schwanenhals.« Die inneren Werte passen auch: manipulative Soziopathin mit einer ausgewachsenen Persönlichkeitsstörung, die Dunkle Triade also – Lisbeth Salander lässt grüßen. So schlimm bleibt es nicht, versprochen: Wenn die eigentliche Handlung – Komplotte, Undercoververräter, Korruption, Schattenbankiers und rumänische Zuhälter – Fahrt aufnimmt und die Figuren an Kontur gewinnen, wird es richtig spannend.

Der athletische Gianni Romani, genannt Biondo, und der schmächtige Giannaldo Grassi – als guter Musiker für seine Freunde Dr. Sax – sind die Besten ihres Polizeischuljahrgangs. Zu ihnen gesellt sich die oben eingeführte Alba Doria, jetzt Hauptkommissarin der Staatspolizei und offiziell in Behandlung wegen eines posttraumatischen Stresssyndroms. »In Wahrheit steckt in ihr Wahnsinn«, meint der behandelnde Psychiater bei sich. Sax hat die gebildete, hässliche Tochter eines einflussreichen Politikers geheiratet, zieht Fäden und wird gezogen; Biondo hat sich nach der Trennung von Alba in die Arbeit geflüchtet. Bereits ihr erster gemeinsamer Mordfall hatte das Trio auseinandergebracht: Arielle, so genannt nach dem Disney-Tattoo auf dem Arm, war mit einer japanischen Bondage-Methode verschnürt, mit Messerstichen gequält und getötet worden. Recherchen in der Sadomaso-Szene blieben zunächst ergebnislos. Nach einem anonymen Hinweis hatten die Ermittler das Versteck des (vermeintlichen) Killers gestürmt: Biondo schoss ohne Vorwarnung, der kühl kalkulierende Sax lieferte eine Schein-Tatwaffe, Alba manipulierte den Tatort. Jetzt, 10 Jahre später, gibt es wieder ein Mädchen mit oberflächlichen Messerstichen, gefesselt nach derselben Shibari-Technik, die speziell präparierte mehrfarbige Schnur, in der Tradition Merkmal des Fesslers, scheint die gleiche zu sein. Einziger Unterschied: Das Mädchen lebt, wenn auch (noch) sprachlos im Schock. Ein Nachahmer? Oder hatte der Killer von damals einen Partner?

Alba hat inzwischen Erfahrung in Quantico gesammelt, sich auch mit dem Darknet beschäftigt, was die Möglichkeiten der Nachforschungen sehr erweitert. Ausgefallene sexuelle Praktiken sind für ihren kühlen Verstand kein Problem. Sie glaubt, sich in den gesuchten Sadisten ohne Gefahr für ihr Innenleben hineindenken zu können und ihm als Alba Nera im Innersten der an alle Grenzen gehenden, ja sie überschreitenden Sadomaso-Szene auf die Spur zu kommen. Aber vielleicht schätzt sie ihre früheren Partner nicht mehr richtig ein. Oder ihre manipulativen Fähigkeiten haben nachgelassen. Denn es wird nicht nur für sie gefährlich …

Giancarlo De Cataldo, Richter in Rom, schreibt seit den 1990ern, ist Übersetzer, verfasst Theaterstücke und Drehbücher. Mit »Romanzo Criminale«  landete er 2002 einen internationalen Bestseller, saß in der Wettbewerbsjury der Filmfestspiele von Venedig. »Alba Nera« ist sein erster »Giallo« – die Bezeichnung der (ursprünglichen) Spannungsliteratur im gelben Umschlag ist quasi zum Synonym für »Reißer« geworden –, seinen Themen, den Verstrickungen von Politik und (mehr oder weniger) organisiertem Verbrechen, bleibt er auch hier treu. »Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts Gerades werden. «  Aber ein verstörender Krimi. Hätte sich Kant – De Cataldo verkürzt das Zitat in seinem Buch – eher nicht vorgestellt.


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