Drei Tage im Leben der kleinen Goliarda Sapienza – »Ich, Jean Gabin« ist Teil der »Autobiografie der Widersprüche«. Foto: Angelo Maria Pellegrino


Nur der Exzentrikerin der italienischen Nachkriegsliteratur Goliarda Sapienza kann ein origineller Geniestreich gelingen wie der posthum veröffentlichte, nun ins Deutsche übertragene Entwicklungsroman »Ich, Jean Gabin«. Drei Jahrzehnte nach dem Sturz des italienischen Faschismus wirft die Autorin Schlaglichter auf die Anfänge ihres nonkonformistischen Lebens im bunten Treiben einer Großfamilienschar aus wunderlichen Charakteren in einem sozialistisch-anarchistischen Intellektuellenhaushalt, eine standhafte Bastion voller Bücher und kämpferischer Leidenschaft gegen die aufkeimende Rechte, die Herrschenden und Besitzenden. Mittendrin die jüngste Goliarda, die sich nach ihrer Entdeckung der französischen Kinolegende Jean Gabin mit diesem identifiziert, fortan im schicken Sakko und mit verwegenem Blick durch ihr Viertel streunert, straßenschlau, antipatriarchal und festentschlossen sie selbst wird. Die Parole, besser tot als angepasst zu sein, trägt nicht nur die junge Protagonistin, sondern auch das Schreiben der erwachsenen Autorin zur Schau: Aus der ungekünstelt wiedergegebenen Perspektive eines arglosen, aber blitzgescheiten Kindes und raffiniert eingeflochtenen Zeitsprüngen zur Jugend als Partisanin der Resistenza zieht Sapienza ihre Leser/innenschaft unmittelbar in das turbulent-gefährliche, immer aber fidele Catania des 20. Jahrhunderts. Eine vor Leben sprühende Streitschrift gegen die Konvention, eine Liebeserklärung an die Familie und das Kino, die Freiheit des Denkens und Wortes.

Goliarda Sapienza
Ich, Jean Gabin
Ü: Klaudia Ruschkowski
marix, 168 S.