Was wir von den Bäumen lernen können: Eduard Hochbichler und Werner Meisinger führen durch die geheimnisvolle Welt des »Alpenwaldes«.


Hänsel und Gretel verirren sich im Wald, Rotkäppchen begegnet dort dem Wolf. Adam und Eva kosten vom Baum der Erkenntnis und die Nymphe Daphne verwandelt sich in einen Lorbeerbaum, um den Nachstellungen Apollos zu entgehen. Wälder und Bäume nehmen seit Menschengedenken in Mythos und Märchen, Religion und Literatur (von Heine bis »Harry Potter«) eine mächtige Rolle ein. Welche Geheimnisse und Geschichte(n) »Der Alpenwald« birgt und welche Aufgaben in Zeiten des Klimawandels auf ihn (und uns!) zukommen, erzählt Eduard Hochbichlers und Werner Meisingers prächtiges Buch.

Die Alpen erstrecken sich über acht Staaten und sind mehr als doppelt so groß wie Österreich. Bald wird mehr als die Hälfte davon mit Wäldern bedeckt sein. Denn es weidet immer weniger Vieh auf den Almen. 66 Prozent der Bäume tragen Nadeln. Spitzenreiterin ist die Fichte, die bevorzugt neben Tannen und Buchen steht (in den nördlichen und südlichen Alpen): Bäume sind gesellig. Gemischte Laub-Nadelbaumbestände und Laubbaumbestände machen ein Viertel der Bergwälder aus.

Der Bär ist los: Die Alpen beherbergen 13.000 Pflanzenarten und 30.000 Tierarten, u. a. Rotwild, Auerhahn, Siebenschläfer, Bär und den kleinsten Vogel Europas, das Wintergoldhähnchen. Aus dem Holz der Haselfichte (die auf über 1000 Metern wächst) fertigten schon Stradivari und der Tiroler Jakob Stainer ihre Geigen.

Im Wald werden Glückshormone ausgeschüttet und das »Grübelzentrum« wird in der frontalen Gehirnrinde ausgeschaltet. Er ist nicht nur Therapieplatz, sondern auch Wirtschafts- und Tourismusfaktor (Holzproduktion, Skifahren). Traurig: Pest und Dreißigjähriger Krieg ließen die Baumbestände infolge der geringeren Schlägerungen gesunden.

Und ohne sie ginge uns im Wortsinn die Puste aus: Die Bäume speichern das Kohlendioxid, das wir beim Atmen abgeben, und produzieren bei der Photosynthese Sauerstoff, den wir zum Leben brauchen. Mit den 716.800 Tonnen Sauerstoff, die der Wienerwald im Jahr erzeugt, kommen zwei Millionen Wiener/innen aus. Alpine Wälder speichern Wasser, filtern Staub und verhindern Murenabgänge, Lawinen und Bodenerosionen. Doch der Klimawandel macht auch vor dem Wald nicht Halt. Die immer heißeren Sommer führen zum Fichtensterben. Damit er uns weiter Schutz und Schirm sein kann, müssen wir den Wald »klimafit« machen.

Bei der Durchforstung geben einander Tradition und Moderne die Zügel in die Hand: Wo die großen Maschinen nicht durchkommen, zieht Hermann, das Rückepferd, die gefällten Baumstämme zum nächsten Polterplatz. Der Berufspecher Robert Rendl erntet das Scherpech zum Räuchern nur bei Vollmond (weil dann das meiste Harz fließt).

Am Ende nimmt uns Michael Köhlmeiers Erzählung »Meine Tanne« mit in die wundersam-unheimliche Geschichtenwelt seiner Großmutter – magisch!

Eduard Hochbichler, Werner Meisinger
Der Alpenwald. Eine Natur- und Kulturbeschreibung aus 20 Perspektiven
Benevento, 408 S.