In Neapel soll ein Team aus Künstlern und Köchinnen ein barockes Schau-Essen reinszenieren. Fotos: Christian Werner.


Zugegeben – ich wollte mir dieses Buch erstmal nur aus einem Grund ansehen. Mich hat der wunderbare, lange Titel verlockt, der folgendermaßen lautet: »Kulturtechnik kochen. Oder: ausführliche Geschichte eines barocken Schau-Essens bei Neapel, seiner Entstehung und Hintergründe sowie der Reise nach Italien in vier Etappen nebst delikaten Rezepten zum Nachkochen und imposanten Bildern der Gerichte«. Erst nach Lektüre des Textes erschließt sich mir, dass man schon beim Titel mit barocken Formen spielen wollte, und das wäre im gleichen spielerischen Sinn zu verstehen wie die kulinarischen und erzählerischen Ausschweifungen darin. Dazu gab es im Barock noch keine Klappentexte oder kurze Zusammenfassungen, die den Inhalt eines Buches erklärten. Die Bücher wurden zudem ungeschnitten direkt aus der Druckerei mit zu Druckbögen zusammengefalteten Seiten verkauft, sodass man sie nicht einfach durchblättern konnte, um den Inhalt schnell zu erfassen. Lange Titel dienten daher als eine Art Zusammenfassung des Buches.

Ein Schau-Essen war im Barock eine aufwendige, essbare Kunstinstallation, wie dieses Beispiel zeigt: Nach dem Sieg über die Türken 1717 läßt Kaiser Karl Vl ein prunkvolles Fest ausrichten. Gericht Nr. II (siehe im Bild rechts) zeigt Prinz Eugen, den Helden der Schlacht um Belgrad, zu Pferde beim Einzug durch die Ehrenpforte in die befreite Stadt. Ill: Stich von Johannes-Matthias-Steudlin (Schau-Essen 1717)


»Es soll ein Schau-Essen werden – wie an einem Hof im Barock.« Mit diesen Worten beginnt ein Auftrag, den man sich wahrlich auf der Zunge zergehen lassen muss: Ein Künstler, fest entschlossen ein barockes Bankett unweit von Neapel zu inszenieren, beauftragt den Kulturhistoriker Markus Krajewski, begleitet von einer Spitzenköchin und einem Fotografen, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Doch was genau ist eigentlich unter einem barocken Schau-Essen zu verstehen? Welche kulinarischen Geheimnisse, welche historischen Techniken und Rezepte verbergen sich dahinter? Darauf geht Markus Krajewski, der Kulturhistoriker, in seinem Buch ausführlich ein.

Wenn wir auf die Suche nach historischen Vorbildern für barocke Schau-Essen gehen merken wir, dass die Quellen oft sehr spärlich sind und wenig über die Herstellung der Speisen verraten. Sie bestanden jedenfalls aus kunstvollen, essbaren Skulpturen, die bei feierlichen Anlässen zwischen den Hauptgängen als süße Abwechslung aufgetragen wurden. Hergestellt aus Materialien wie Zucker, Marzipan oder Butter dienten sie nicht nur der visuellen Freude, sondern auch dem Verzehr. Die Gäste genoßen und zerstörten diese kunstvollen Arrangements, was gleichzeitig die Vergänglichkeit symbolisierte und für Gesprächsstoff sorgen sollte. Diese essbaren Kunstwerke konnten nämlich auch politische oder symbolische Botschaften übermitteln. Krajewski schließt hier einen Diskurs übers Kochen als Kulturtechnik an und bis hin zu seinen ausführlichen Kommentaren über die Rezepte orientiert er sich an barocken Stilmitteln mit detaillierten Texten samt üppigen Fußnoten und erklärt: »Dieses Buch ist (k)ein Reisebericht, (k)eine Kochanleitung, (k)eine wissenschaftliche Abhandlung, (k)ein Fotoessay, sondern eine fein abgestimmte Mischung aus all diesen Ingredienzen.«

»Wofür steht dieser furchtbare Berg von Kopf? Er bleibt ein Problem. Steht er für einen fahlen Triumph des Menschen über das Tier, für eine Möglichkeit von Ernährung, die auf Kosten aller anderen etwas verdrängt?«


Nachdem für das geplante Vorhaben also keine originalen Rezepte vorlagen, mussten diese neu entwickelt und geschaffen werden. Der Aufwand dafür war beträchtlich: Die Schweizer Köchin Margaretha Jüngling, sie hat schon für Neil Young gekocht, hat eigens für dieses Bankett 22 Gerichte kreiert, dazu wurde eine Brigade von Köchinnen engagiert und der preisgekrönte Fotograf Christian Werner kam extra von Berlin nach Neapel angereist. Schließlich sind auch schon alle Gäste geladen – bis es dann zu einer großen Überraschung kommt … Aber darüber lesen Sie am besten selbst auf der letzten Seite dieses außergewöhnlichen Buches.

Langfassung des Artikels in Buchkultur 216, Oktober 2024.

Markus Krajewski
Kulturtechnik kochen. Oder: ausführliche Geschichte eines barocken Schau-Essens bei Neapel, seiner Entstehung und Hintergründe sowie der Reise nach Italien in vier Etappen nebst delikaten Rezepten zum Nachkochen und imposanten Bildern der Gerichte. Mit Rezepten von Margaretha Jüngling und Fotografien von Christian Werner
Schwabe Verlag, 176 S.
ET 14.10.