Reflexionen nach einem Gespräch mit dem Gendarmerie-Inspektor Simon Polt
Foto: Polt-Erfinder Alfred Komarek (l.) und Erwin Steinhauer, der den Simon Polt im TV verkörperte. Aus Buchkultur 67, August-September 2000
Es ist strahlend schöner Frühsommer im Weinviertel, als ich am mittleren Nachmittag vor einem alten Presshaus vom Motorrad steige. Burgheim. Nie gehört und trotz einer recht ordentlichen Niederösterreich-Straßenkarte, die man als motorradfahrender Mensch in der warmen Jahreszeit dringend braucht, um die idyllischsten Straßen in erträglicher Entfernung von Wien auszukundschaften, war es gar nicht so einfach herzukommen, so versteckt liegt dieser Winkel inmitten jeder Menge Gegend.
Das Tor zum Keller steht sperrangelweit offen, die Sonne scheint aufs Hausbankerl, und als ich mich endlich aus einem Teil der Ledermontur geschält habe, steht mein Interviewpartner am Eingang zu seinem, wie ich bald darauf erfahre, Heiligtum.
Wir staunen uns ein bisserl gegenseitig an, bevor wir uns vorsichtig die Hand geben.
Er wirkt älter auf mich, als er ist, noch massiger als erwartet – und er ist tatsächlich schüchtern! Wenn ich das gewusst hätte, dann hätt‘ ich ihm meinen Auftritt als Amazone erspart, denn im Laufe des Gesprächs, das zuerst nur ganz behutsam in Gang zu bringen ist, erfahre ich von seiner Abneigung gegen alles, was laut und schnell ist, von seinen anfänglichen Schwierigkeiten im Gendarmeriedienst, weil er – nach eigenen Angaben – ein erbärmlich schlechter Autofahrer ist und von seiner hemmungslosen Erleichterung, wenn die Kollegen sich schnittig hinters Steuer des Dienst-PKWs klemmen.
Ich finde diesen schweren Mann mit den freundlichen Augen und den bedächtigen Bewegungen unglaublich sympathisch – und ein bisschen out of time.
So etwas wie den Gendarmerie-Inspektor Polt gibt es also tatsächlich noch, hier am Land, wo die Uhren wirklich nicht mit Harmlosigkeit des Dorflebens oder mit falscher Postkartenidylle verwechselt werden darf.
Polt und ich, wir reden uns erst einmal warm, indem wir uns über seinen letzten Fall austauschen, und er kann es immer noch nicht verstehen, warum gerade er interviewt werden soll. Was für eine erfrischende Absenz von Arroganz und narzisstischem Größenwahn.
Nachdem er sich ein bisschen vom Schock meiner Ankunft erholt hat und auch nicht mehr misstrauisch vom Sonnenbankerl auf meine rote Rennrübe schielt, scheint er beschlossen zu haben, dass man mit mir schon reden kann, und ich beeile mich meinerseits, ihm zu versichern, dass es keineswegs um einen reißerischen Artikel geht, in dem er als Dorf-Rambo gezeichnet wird, sondern dass meine Redaktion das Porträt eines anderen Polizeimannes will – den Polt eben.
Er nimmt es achselzuckend in, lässt sich versprechen, dass ich eh im Dorf nächtige (strenger Blick aufs bike) und holt draufhin einen Blauen Portugieser.
»Grad recht für so einen schönen Tag«, meint er, »was Bodenständiges und eigentlich unterschätzt.“«Er spricht über den Wein, ich muss schmunzeln. Nach dem zweiten Glas darf ich aber nicht mit dem Frage-Antwort-Spiel anfangen, denn plötzlich drängt es ihn, mir sein Presshaus zu zeigen. Ungeschminkter Stolz brandet auf, aber keiner von der großkotzigen Sorte, sondern die ehrliche Freude über dieses unbenommen hübsche Stück Skurrilität: alt, liebevoll hergerichtet, mit einer Presse ausgestattet – und mit einem alten Grabkreuz und einem Kristall-Luster!
Ich fühle mich sehr geehrt, dass ich diese Privatführung kriege, beschließe, meine vorbereiteten Fragen völlig zu vergessen und lasse mich von der Fähigkeit des Simon Polt, einfach und ungeteilt genießen zu können, anstecken.
Wir treiben in ein sanftes Gespräch, in dem ich mehr erfahre, als in jedem Frontalinterview.
Ohne mein Zutun formiert sich hier das Bild eines Mannes, den ich schlicht als guten Menschen wahrnehme. Der von sich selbst – ohne Anflug von Understatement – sagt: »Ich bin ein Weltmeister im Übersehenwerden. Wenn ich ins Wirtshaus komm, ändert sich nix, die Leut hören nicht zu reden auf, das ist manchmal recht praktisch.« Da ist einer Landgendarm, weil er eigentlich gerne Lehrer geworden wär, aber dazu hat das Geld nicht gereicht, jetzt tut er eben auf einer anderen Ebene was für die Menschen – und er sieht das, abseits von Schulmeisterei, auch als pädagogische Aufgabe an.
Was ihm fraglos hilft, ist die Tatsache dass er die Menschen eigentlich mag, sie als Teil seiner Umwelt, quasi als Inventar begreift, zu der er eine große Zuneigung hegt. Und auch die Bösewichte, die ihm sein Job beschert, sieht er als komplexe Wesen – welche, die nicht genuin böse sind, aber halt irgendwann den niedrigeren Zaun, den unter der Legalität gewählt haben.
»Ich bin froh, dass ich keine zwanzig mehr bin.«
Simon Polt beim Weinverkosten im Buchkultur-Gespräch
Die Welt wird er nicht verbessern, lächelt er, aber seine Arbeit möchte er gut machen.
Dazu braucht er seine innere Ausgewogenheit und seine Zufriedenheit. Die stellt sich ein, wenn er aus seinem Wohndomizil ins Grüne hinausschaut, mit einem Vogel Zwiesprache hält, seinen Kater (»ein arroganter Feigling«, Polt O-Ton) streichelt, den er herzlich liebt – und wohl auch, wenn er mit der Lehrerin, die er respektvoll verehrt, seine Freizeit verbringt, obwohl ich den Eindruck gewinnen muss, dass da mehr im Spiel ist, aber es wäre wohl indiskret, mehr als das Aufleuchten seiner Augen zu schildern, wenn er von der klugen Karin berichtet, die ihm für manche Ermittlung Wege gewiesen hat, die er vielleicht übersehen hätte.
Simon Polt schwört auf das, was er sein persönliches Trägheitsmoment nennt, denn das ermöglicht ihm auch die Fähigkeit zum hartnäckigen Beharren, wenn es nötig ist.
Stress ist für ihn ein Fremdwort, rennen mag er nur, wenn Lebensgefahr im Verzug ist, er besitzt keinen Fernseher, er liest nicht viel (und schon gar keine Krimis, wenn schon, dann eher altmodische Detektivgeschichten à la Sherlock Holmes) und so richtig in Zorn gerät er eher selten. Dann aber ordentlich, denn nur, weil einer gemütlich ist, muss er noch lange kein Feigling sein – im Gegensatz zum Czernohorsky, dem Kater, offenbar eine Art von gegengleichem Alter Ego. (Siehe Polts letzten Fall, wo es eine veritable Prügelei gab, die er Herr Inspektor grinsend als eine »klassischen Kellergassenkonfliktlösung unter Ehrenmännern mit diplomatischem Ausgang« tituliert).
Für »nachtragend wie ein Elefant« hält sich Simon Polt, wenn man ihm zu sehr an die Nieren geht, und in Wien würde er sich vorkommen wie »Maigret in Texas«.
Ich habe selten einen ausgeglicheneren Menschen getroffen als diesen knapp 40-jährigen Gendarmen, der in unserer auftechnologisierten Welt etwas lebt, das sich eigentlich nur mit »beschaulich« umreißen lässt. Ein wenig anachronistisch ist er schon (er selber sagt: »hoffnungslos altmodisch«), aber bei weitem nicht weltfremd. Mit dem hässlichen Image der Polizei, das in Zeiten wie diesen besonders offen an bestimmten »Vorkommnissen« zutage tritt, hat er Probleme, die ihn ehrlich bekümmern und ratlos machen. Und sonst, Herr Polt? »Ja«, sagt er nachdenklich und zeichnet mit den kräftigen Fingern selbstvergessen die feuchten Ränder unserer Weingläser auf dem Tisch nach, »also, die neue Polizeiuniform, die find ich ganz furchtbar, und damit tät ich mich im Leben nicht fotografieren lassen. Ich bin froh, dass ich keine 20 mehr bin und dass mir deswegen ein paar Sachen erspart bleiben.«
Sprach’s, nickte ernsthaft und schenkte Rotwein nach.
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Simon Polt, geboren am 27.11.1963 in Brunndorf als Sohn eines Nebenerwerbsbauern; Hauptschulabschluss in Burgheim, Gendarmerieschule und Ausbildung im Weinviertel; lebt in Brunndorf; Natur und Katzenfan, begeisterter Radfahrer, aber keinerlei Ambitionen zum Mountainbiken. Neuerdings auch im TV: Zur Zeit (im Jahr 2000, Anm. d. Red.) wird mit dem Schauspieler Erwin Steinhauer in der Rolle des Polt der erste Krimi, »Polt muss weinen« (jetzt auch als Taschenbuch bei Diogenes), gedreht, Polts zweiter Streich, »Blumen für Polt« (Haymon Verlag) erschien soeben.