Auf der Suche nach weiblichen Ermittlerinnen: Ein Spaziergang durch die Krimigeschichte.


Krimi ist ein eher junges Genre. Julian Symons bezeichnet »The Notting Hill Mystery«, die 1862 veröffentlichte Geschichte des Giftmords an einer Baronesse, als ersten. Appetit auf Schaudern plus Unterhaltung war bereits früher durch die Memoiren des Ermittlungsbeamten und früheren Berufsverbrechers Vidocq (1828) geweckt worden, literarisch wird es mit Emile Gaboriau (Die Affäre Leroy) und Wilkie Collins (Monddiamant). Um den unstandesgemäßen Nervenkitzel gesellschaftsfähig zu machen, steht den Detektiven/Polizisten bald eine Frau aus den besseren Kreisen zur Seite, etwa die wohlhabende, altjüngferliche Miss Butterworth, erdacht 1878 von der Amerikanerin Anna Katharine Rohlfs. Agatha Christie’s Jane Marple ist natürlich ebenfalls Angehörige des Gentry, des Landadels.

Schriftstellerinnen mischen in der neuen Gattung kräftig mit. Stellt sich die Frage, ob oder ab wann es Unterschiede, themenmäßig wie stilistisch, zu den männlichen Kollegen gibt. Anfangs, bedingt durch den gesellschaftlich eingeschränkten Spielraum von Frauen (armchair-detectives) und die Verankerung im Stil der viktorianischen Sensationsliteratur, wohl nicht. Frühe Ausnahme: die Giftmordgeschichten der Krankenschwester und Kriegsberichterstatterin Mary Roberts Rinehart. Erst Jahrzehnte später erweitern Anwältinnen, Forensikerinnen, Buchhändlerinnen als Ermittelnde den weiblichen Aktionsradius. Für P.D. James’ Cordelia Gray war Privatdetektivin 1972 noch »an unsuitable job for a woman«.

Langsam formt sich ein breitgefächerter Handlungsunterbau, soziale Verhältnisse, sexuelle Orientierung, Psychologie, wissenschaftliche Erkenntnisse fließen in die von Frauen verfasste Kriminalliteratur ein. Wie aktuell Forschung verarbeitet wird, zeigt ein Beispiel aus der Schweiz. Seraina Kobler, Linguistin und Kulturwissenschaftlerin, stellt in »Tiefes, dunkles Blau« die Frage, was es bedeutet, wenn medizinischer Fortschritt auf menschliche Schwäche trifft: Seepolizistin Rosa, gerade Single, hatte die Kinderwunschpraxis von Dr. Jansen aufgesucht, nun wird der smarte Arzt ertrunken, mit Alkohol und Ketamin im Blut aus dem Zürichsee gefischt. Die Spur scheint ins horizontale Gewerbe zu führen … Kobler fängt die beschauliche Atmosphäre der Stadt ein und unterhält mit perfekter Balance zwischen Krimihandlung und Privatleben.

Eine Familie wünscht sich im Innersten auch Isabella Archans »Mördermitzi«. Maria Konstanze Schlager, genannt Mitzi, träumt immer wieder vom Tod, fährt nach Wien zur Therapiesitzung, ihre beste Freundin, Inspektorin Agnes Kirschnagel aus Tirol, erwartet Nachwuchs. Es geht ihr nicht gut, die geliebte Oma, bei der sie aufgewachsen ist, ist gestorben. Zwischen die Abwicklung der Verlassenschaft schiebt sich der Fund einer Mädchenleiche in Kufstein, Parallele zu einer verschwundenen Ausreißerin in Niederösterreich. Man soll sich vom harmlosen Gugelhupfrezept im Anhang nicht täuschen lassen: In der literarischen Provinz wird durchaus spannend ermittelt, und das in klug nur leicht angedeutetem Dialekt.

Andrew Forrester (James Redding Ware, 1832-1909): The Female Detective, 1864

Zurück zur Frage nach etwaigen Stilunterschieden, stellvertretend dazu ein Zitat der wunderbaren Helene Tursten (»Der Novembermörder«): »Ich wollte nicht über einen Whisky trinkenden Einzelgänger schreiben. Ich mag es nicht, wenn sich weibliche Helden in Krimis aufführen wie ihre männlichen Vorgänger – saufend, fluchend.« Der ehemalige Strafverteidiger David Baldacci hält davon wenig. »Wir sind Frauen, die wissen, wo der Hammer hängt!« In »Abgerechnet« lässt er die einzelgängerische FBI-Agentin mit traumatischer Vergangenheit Atlee Pine endlich eine Spur zu ihrer verschwundenen Zwillingsschwester finden. Baldacci zählt zu den beliebtesten Autoren weltweit, seine Bücher sind Pageturner, die Leser/innen Formulierungen wie »rasiermesserscharfe Haken ins Zwerchfell« gewohnt. Ähnlich tough ist Commissaire Christine Steiner, Protagonistin des deutsch-französischen Schreibprojekts »Terminus Leipzig« von Jérôme Leroy und Max Annas: Sie schießt einem Angreifer auch mal ohne lang zu fackeln genau zwischen die Augen. Das von der Buchkultur-Krimijury auf Platz 2 gewählte, vierhändig verfasste Buch wurde von Thomas Wörtche (auf Seite 9) schon ausführlich gelobt – und verdient eine Fortsetzung!

Eine schöne Synthese von brutal mit weiblicher Handschrift (Pessare als Indizien!) schafft Louisa Luna mit ihrer am Rande der Legalität agierenden Privatermittlerin Alice Vega. Der 2. Band erscheint nun als erster auf Deutsch. Zwei Mädchenleichen, Mexikanerinnen, ein winziger Zettel mit Vegas Namen in der verkrampften Faust der einen. Die Polizei in San Diego zieht sie hinzu, Vega interpretiert das als Freibrief für unkonventionelle Nachforschungen. Menschenhandel, Prostitution in Mexiko ist höchst aktuell, ebenso das unüberschaubare Netz staatlicher Behörden in den USA, die oft gegeneinander arbeiten. Die harten Details entschärft Luna mit fein beobachteten, wie die melancholische Fassade eines desolaten China-Buffets.

Cornelia Hüppe von der Buchhandlung Miss Marple in Berlin kommentiert: »Krimis mit weiblichen Ermittlern werden deutlich öfter von Frauen gekauft, ob Autor oder Autorin, ist dagegen nicht zu pauschalieren.« Also: Chacun à son gôut, Hauptsache Buch!
Zum Ende noch rasch News aus der Schwedenecke: Asa Larssons »Wer ohne Sünde ist« beendet die Reihe um Rebecka Martinsson, Camilla Läckberg hat den Mentalisten Lexeus dazugeholt, die Reihe startet mit »Schwarzlicht«.


Seraina Kobler
Tiefes, dunkles Blau
Diogenes, 272 S.

Isabella Archan
Die Mörder­mitzi und der Sensenmann
Emons, 336 S.

David Baldacci
Abgerechnet
Ü: Norbert Jakober
Heyne, 480 S.

Louisa Luna, Thomas Wörtche (Hg.)
Tote ohne Namen
Ü: Andrea O’Brien
Suhrkamp, 444 S.

Asa Larsson
Wer ohne Sünde ist
Ü: Lotta Rüegger, Holger Wolandt
C. Bertelsmann, 592 S.

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