Krimis, die auf Inseln spielen, sind ausgerechnet in diesem Jahr im Trend. Sie umkreisen Mord und Totschlag in landschaftlich reizvollen Szenarien auf engem Raum, bis hin zum tödlichen Ende. Foto: Nick Dunn/Unsplash.com


Inseln, Eilande, meeresumflossen, windumtost, einsam. Vor 80 Jahren erschien Agatha Christies bis heute beliebtester Kriminalroman „And then there was none“, lange Zeit auf Deutsch lieferbar als „Zehn kleine Negerlein“, seit der Neuübersetzung 2015 „Und dann gab’s keines mehr“ betitelt. So hochklassig dieser Roman, so erstklassig überschaubar der geografische Raum. Solche insulare Enge hat es in jüngster Zeit wieder Autorinnen und Autoren angetan, ob nun Inseln im Norden, im Mittelmeer, in der Ägäis oder im Indischen Ozean. Neueste Welle: mörderisches island hopping.

Zu Beginn von Susan Hills „Phantomschmerzen“ halluziniert Chief Super Intendant Simon Serrailler. Nach einer schweren Attacke liegt er drei Wochen im Koma, dann bildet sich eine Sepsis in seinem gebrochenen linken Arm. Monate später, nach physiotherapeutischer Rehabilitation, reist er auf die nordwestschottische Insel Taransay, die zu den Äußeren Hebriden gehört, darauf „ein Haufen niedriger Häuser aus grauem Stein“. Vor sechs Jahren war er zuletzt hier, ein befreundetes Paar lebt dort. Er sucht Erholung und will sich klarwerden, ob er sich innerlich noch gewappnet fühlt für den Polizeidienst. Dann wird eine Frau tot am Strand gefunden, anscheinend ertrunken. Ein Unfall. Wirklich? Auf Grund von lokaler Personalknappheit wird die Polizeiarbeit in Serraillers Hände gelegt. Bei der Autopsie findet sich eine Schusswunde – also Mord. Wer der Täter ist, stellt sich bald heraus. Parallel arbeitet Serrailler im heimatlichen Bevham den Fall einer vor fünf Jahren verschwundenen jungen Frau auf, deren Mutter hartnäckig die Polizei sekkiert, den mutmaßlichen Täter endlich zu stellen. Dieser sitzt aber wegen Doppelmordes im Gefängnis. Mit großer psychologischer Raffinesse führt die englische Erzählerin die Fäden parallel, dann wieder überkreuzend. Am Ende erinnert dieser Fall, Band neun der Serrailler-Serie, an Georges Simenons beste Maigret-Romane.

2003. Vier deutsche Freundinnen verbringen nach der Matura vier Wochen auf einer kleinen südschwedischen Insel. Kurz vor der Abreise verschwindet die künstlerisch begabte Becca, die das Häuschen auf der Insel geerbt hatte, nach einer Partynacht spurlos, ihr Boot treibt im Meer. 16 Jahre später: Die Ich-Erzählerin Lara mit Asperger-Syndrom, Eileen, unglücklich als Lehrerin, und Michelle, zwei Teenagertöchter und einen Oberarzt zum Mann, werden mysteriös aufgefordert, wieder nach Schweden zu reisen. „Die Wahrheit liegt auf der Insel“, so die Einladung. Bald werden Dinge im Haus umgeräumt, auf Laras Handy ist ein neues Foto – von Becca. Als sie die Insel verlassen wollen, ist das Boot fort und ein Sturm zieht auf … Flott und flockig erzählt und schnell zu lesen ist „Das Echo deines Todes“, der dritte Roman von Sophie Kendrick.

In Lucia de la Vegas Mallorca-Roman „Comisaria Fiol und der Tod im Tramuntana-Gebirge“ wird eine tote Schwedin in Unterwäsche, die es seit Jahren nicht mehr zu kaufen gibt, gefunden. Bald darauf wird eine zweite schwedische Touristin vermisst. Mit dem Fall betraut werden die gebürtige Mallorquinerin Silvia Fiol, quirlig-energische Comisaria bei der Policía Nacional, und ihr korpulenter Kollege Ramón. In sorgsam abgezirkelten, die Leserschaft selten überfordernden Sprüngen inklusive gelungener Landschaftsschilderungen kommen sie mit ihren Ermittlungen voran. Recht routiniert rollt der ganze Fall mitsamt angedeuteter Fortsetzung im Finale ab. Das Ganze bleibt in der Figurenzeichnung eher papieren.

Luca Venturas „Mitten im August“ spielt, obwohl als „Capri-Krimi“ beworben, nicht nur auf der touristisch beliebten Insel, sondern auch auf Ischia und in Neapel. Es ist der recht verheißungsvolle Auftakt einer Serie. Ein Boot treibt nah am Strand, darin ein junger Mann, erstochen. Seine Freundin wird vermisst. Enrico Rizzi, gebürtiger Caprenser und Inselpolizist, hat mehr zu tun als ihm lieb ist, dazu kommt noch die frisch nach Capri strafversetzte Kollegin Antonia Cirillo. Das Ganze entpuppt sich als trick- und wendungsreich, vor allem aber als lokalatmosphärisch reich gesättigt. Die Charaktere – der zweite Band ist bereist angekündigt – versprechen spannungsliterarisch einiges.

Die Wienerin Edith Kneifl, im Hauptberuf Psychoanalytikerin, schickt einen sensiblen, an gelegentlichen Panikattacken leidenden „Vollstrecker“ namens Alexandros Makiris von Wien nach Mykonos. Im Auftrag eines russischen, mafiösen Oligarchen soll er einen simplen Auftrag erledigen: einen österreichischen Hotelbesitzer zum Verkauf „überreden“. Eine Aufgabe, die sich als weitaus komplizierter erweist als gedacht. „Wellengrab“ liest sich, wie es Leser/innen von Edith Kneifls Büchern gewohnt sind: leicht geschrieben, gute Sager, reichlich Actionszenen. Und am Ende ein Finale, in dem überraschend sämtliche, in langen Ärmeln sorgsam verborgene Asse ausgespielt werden.

Nomad Islands, „eine Kette mitten im Indischen Ozean zurückgelassener Felsen”, dreizehn sattgrüne Atolle. Nur die Hauptinsel, die größte, ist bewohnt. Auf dieser paradiesischen Insel hat die Familie Iris und Paul Jensen mit Sohn Stanislas und Tochter Lou einen Exklusiv-Resort-Urlaub gebucht. Paul ist Manager einer Genfer Privatbank, „das fleischgewordene Streben nach Ausdehnung im Raum, soll heißen: nach Anhäufung und Vermehrung von Kapital“. Doch Eden erweist sich als genaues Gegenteil: als blanker Horror inklusive skrupelloser Experimente. Der Genfer Joseph Incardona, Dozent am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel, spielt in „One-Way-Ticket ins Paradies“ lustvoll mit allen Elementen des Abenteuer-Mystery-Romangenres. Dunkel ist dieser Roman und bitterböse. Und ein kriminell gutes Zerschlagen aller idyllischer Klischeevorstellungen von heilen Insel-Idyllen.

Susan Hill, „Phantomschmerzen. Auszeit für Inspector Serrailler“ (Kampa), Übers. v. Susanne Aeckerle u. Marion Balkenhol, 380 S.

Joseph Incardona, „One-Way-Ticket ins Paradies“ (Lenos),
Übers. v. Lydia Dimitrow, 312 S.

Sophie Kendrick, „Das Echo deines Todes“ (Rowohlt), 320 S.

Edith Kneifl, „Wellengrab“ (Haymon), 368 S.

Lucia de la Vega, „Comisaria Fiol und der Tod im Tramuntana-Gebirge: Ein Mallorca-Krimi“ (Knaur), 224 S.

Luca Ventura, „Mitten im August. Der Capri-Krimi“ (Diogenes), 336 S.


Die besten Krimis der Saison 2020 >>