Was, wenn der Lebensraum plötzlich bedrohlich ist? Ursula Kirchenmayer entwirft in ihrem Debüt ein Horroszenario.
Ihr Kind ist weg und Laura vermutet das Schlimmste. Gleich auf den ersten paar Seiten ihres Debütromans zieht Ursula Kirchenmayer einen Spannungsbogen über der Geschichte auf – und lässt ihre Leser/innen in der Schwebe. Was ist nur passiert? In klarer, dialoglastiger Sprache erzählt sie von einem schwelenden Unbehagen, das nicht nur von außen auf die kleine Familie einwirkt, sondern das junge Paar Laura und Nils auch von innen durchwirkt.
Doch von Anfang an. Sie kennen sich noch nicht lange, ein paar Monate gerade, als Laura schwanger wird. Gemeinsam entscheiden sie sich dazu, das Kind zu behalten; die ersten Schritte in diesen neuen, noch ungewohnt gemeinsamen Lebensentwurf hinein schildert die Autorin präzise, es scheint einleuchtend, als sie einem spontanen Wohnungstausch mit Bekannten zustimmen, mit Kind braucht man eben eine größere Wohnung. Doch es ist ebendiese Wohnung, die der jungen Familie zum Verhängnis wird. Was essenziell ist und gerade deshalb oft trügerisch selbstverständlich, der Wohnraum nämlich, wiegt, sobald er nicht mehr sicher ist, doppelt so schwer. So kann es einem sprichwörtlich den Boden unter den Füßen wegziehen, wenn sich die Nachbarin plötzlich als unmittelbare Bedrohung herausstellt. »Peggy«, wie sie von den Hausbewohner/innen genannt wird, hat schwere psychische Probleme, sie lauert dem Paar auf, beschimpft sie wüst und hackt nächtens die Wohnungstür von Laura und Nils ein. Warum Peggy es auf Laura und Nils abgesehen hat, bleibt unklar, wahrscheinlich aber triggert die Familie die Erinnerung an ihre eigene Tochter, die ihr vom Amt weggenommen wurde.
Kirchenmayer zieht ihre Handlung mehr oder weniger als Kammerspiel auf, als geschlossenen Kosmos, alles dreht sich um diese düstere, süßlich riechende Wohnung, zugleich Rückzugsort und Gefängnis. Während sich Laura und Nils nach der Geburt ihres Sohnes immer weiter in ihre Hilflosigkeit angesichts der Tatenlosigkeit der Behörden verstricken, wächst beim Lesen die Beklemmung, immer auch von einer leichten Skepsis begleitet: Warum ziehen die beiden nicht einfach aus? Warum handeln sie nicht einfach? Ist der Berliner Wohnungsmarkt wirklich so aussichtslos? Gegen Ende hin verselbstständigt sich die Dynamik und fast könnte man meinen, Laura und Nils laben sich zugleich an dem Strudel, sie immer weiter abwärts zieht.
Ursula Kirchenmayer, die literarisches Schreiben in Leipzig studiert hat, stellt in ihrem Roman auch die Leser/innen auf die Probe. Könnte einem so etwas selbst passieren? Wie weit würde man gehen, um den eigenen Frieden wieder herzustellen? Und was, wenn der einzige Weg dahin über sozial Benachteiligte und psychisch Traumatisierte hinwegführt? Ein spannendes Stück Prosa, das vor allem mit seinen mulmigen Stimmungsbildern glänzt.
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Ursula Kirchenmayer
Der Boden unter unseren Füßen
dtv, 400 S.