Michael Köhlmeier, einmal ganz anders: »Frankie« erzählt vom ewigen Mythos des Bösen. Großartig!


Wie schnell aus Frank ein Frankie wird, aus Spiel Ernst, aus einem Kind ein Erwachsener und aus einem Menschen ein Verbrecher – davon erzählt Michael Köhlmeier stilistisch brillant, kunstfertig und ungeheuer suggestiv.

Frank ist vierzehn, als sein Großvater nach achtzehn Jahren aus dem Gefängnis entlassen wird. Weswegen sein Opa gesessen hat, wird nicht weiter ausgeführt. Dass es keine Bagatelle war, darf als sicher gelten. Auch umgänglicher ist der Großvater dort nicht geworden: Da kann es schon einmal vorkommen, dass er seinem Enkel eine »schmiert«, dass dem Buben »die Backenzähne auf der einen Seite bis in die Kiefer hinunter und hinauf singen«.

Zwischen Anziehung und Abstoßung: Und trotzdem hält sich Frankie, wie ihn der gerade Entlassene gegen seinen Willen nennt, nicht von seinem Großvater fern, der den vaterlos aufgewachsenen Buben zusehends von seiner Mutter separiert und ihn auf seine Seite zu ziehen versucht. Er lockt und verführt seinen Enkel wie die Schlange Adam und Eva. Da helfen auch die Warnungen der Mutter nicht, die seinerzeit einen anderen Namen angenommen hat, um sich von ihrem Schwerverbrecher-Vater abzusetzen.

»High Noon« um Mitternacht auf der Autobahnraststätte. Doch dann wendet sich »Frankie« gegen seinen Schöpfer und es kommt es zum Duell.

Der Mythos des Bösen. Wie verführerisch ist Gewalt? Wie verführbar der Mensch? Was ist das Böse? Und woher kommt es? Dass man schon als Verbrecher geboren wird (und kein Motiv für eine böse Tat haben muss), ist die beunruhigende »Lehre«, die Frankies Opa aus seinem Gefängnisaufenthalt gezogen hat.

Ein Großvater, wie er nicht im Bilderbuch steht, ein Bub an der Schwelle zu Erwachsenwerden, Traum oder Wirklichkeit und der Wald als Topos. Auf seiner Initiationsreise verliert Frankie (der zusehends auch von seiner Mutter alleingelassen wird) seine Unschuld. Wofür wird er sich entscheiden? Wohin sein Weg führen? Ins Licht oder ins Dunkel? »Frankie« ist mythologisches Road-Movie, Parabel, Adoleszenzroman und Initiationsritus. Großartig die fast protokollartig knappe, am Ende schon abgeklärte Stimme, die Michael Köhlmeier für seinen vierzehnjährigen Ich-Erzähler gefunden hat, der mit einem Fuß schon im Dickicht des Lebens steht.

Sündenfall und Vertreibung – oder Befreiung? – aus dem (Mutter-Sohn-)Paradies: Michael Köhlmeier ist ein in der Welt der Sagen und Märchen, in Philosophie und Religion bewanderter Erzähler und »Frankie« ein kleines Meisterstück, das auf den Spuren der großen Patricia Highsmith schon unterwegs zum Mythos ist.

Michael Köhlmeier
Frankie
Hanser, 208 S.