Steffen Menschings neuer Roman ist ein Pageturner.


Kann es wirklich sein, dass sich diesen Plot zuvor noch niemand ausgedacht hat? Steffen Mensching, Theaterintendant und Autor des Opus magnum »Schermanns Augen«, hat einen veritablen Pageturner mit der idealen Ausgangssituation geschaffen: Der steinreiche Unternehmer David Hauser wird über irgendeinem kargen Brachland mit dem Flugzeug abgeworfen. Weit und breit um ihn keine Menschenseele. Während Hauser in einem unbekannten Land ums Überleben kämpft, spielt er im Kopf alle möglichen Szenarien durch: Wer könnte ihm das angetan haben? Der kommunistische Vater? Die schwurblerische Schwester? Der Anwalt? Die persönliche Referentin? Und warum? So erfahren die Lesenden eines packenden Wildwest- (oder nicht doch eher Wildost-?) Abenteuerromans nebenbei allerlei Biografisches.

Der Titel des Romans mutet seinem Protagonisten gegenüber fast ein bisschen gehässig an: »Hausers Ausflug«. Mindestens diese Behandlung hat Hauser aber auch verdient, Sympathieträger ist er keiner. Die Box, in der er buchstäblich in die Wüste geschickt wird, ist die Basis seines Geschäftsmodells. Mehrere Staaten buchen die unbemannten Flugzeuge seiner Firma AIRDROP, um betäubte Schubhäftlinge punktgenau und sicher in ihre Herkunftsländer zurück zu verfrachten.
Das Buch spielt im Oktober 2029: Corona (beschrieben als »die erste Pandemie«) und der Ukraine-Krieg finden als zeitgeschichtliche Selbstverständlichkeiten Erwähnung. Seine existenzialistische Prämisse und der Sprung in die nahe Zukunft machen es dem Autor leicht, alles Mögliche ein bisschen zu streifen: Asylpolitik, Generationenkonflikt und die Befindlichkeiten eines mittelalten, zynischen und reichen, infolgedessen einsamen weißen Mannes. In die Tiefen eines Charakters vorzudringen, hat man ja gar keine Zeit, wenn man ihn schmerzverzerrten Gesichts dabei begleitet, wie er tapfer seinen eigenen Urin herunterschluckt.

Lange dauert es freilich nicht, da bekommt Hauser Gesellschaft: Ein alter Schäfer nimmt ihn gefangen. Dessen Schweigsamkeit, ja vermeintliche Gehörlosigkeit wirft jedoch, anstatt Antworten zu liefern, noch mehr Fragen auf. Die Hoffnung auf die Lösung sämtlicher Rätsel schwindet mit fortschreitender Lektüre. Das stört ausnahmsweise aber nicht, denn die ungewöhnliche Dynamik der beiden Männer hält im zweiten Teil der Geschichte bei der Stange.

Anschauliche Beschreibungen und eine erkennbare Lust an der eigenen Idee machen Steffen Menschings neuen Roman zwar zu keinem »Jahrhundertroman« (wie Christoph Hein den Vorgänger »Schermanns Augen« nannte), aber zu einer fesselnden Lektüre.

Steffen Mensching
Hausers Ausflug
Wallstein, 249 S.