Es gibt unzählige Bücher, die sich mit marinem Leben beschäftigen, aber kaum eines leuchtet so wundersam, herzzerreißend und erhellend wie Sabrina Imblers zwischen Essays und Memoir changierendes Debüt.


Zehn Wasserkreaturen hat Sabrina Imbler sich ausgesucht, um mit großer Vorsicht, in magisch-präziser Prosa von einem Leben zu erzählen, das versucht, mit der eigenen bi-racial, non-binary Queerness umzugehen und sich in einer Umgebung zu verorten, die Imbler oft nicht freundlich gesonnen ist.

Manche von den Texten beben, schillern und pulsieren, wie zum Beispiel »Das pure Leben«, in dem Imbler die warmen, vor Leben temporär überbordenden Zonen der Tiefsee mit dem Lieblingsclub in Seattle vergleicht, oder das außergewöhnliche Kapitel »Wir bilden Schwärme«, in dem wir nicht nur Erstaunliches über Salpidae, kleine Wasserorganismen erfahren, sondern auch über ausgelassene Zusammenkünfte der queeren Community beim Dyke March sowie am Riis Beach in New York. Da brodelt es, da dürfen Menschen in ihrer Ganz- und Eigenheit miteinander sein und ineinander aufgehen: »Ich will, dass wir alle, wir wimmelnden Massen, wir wirbelndes Getümmel, uns übereinander häufen, bis wir mehr werden als de Sommer, mehr als das Leben.«

Doch auch die stillen Momente beherrscht Imbler mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit: Beim Erzählen von Oktopus-Müttern, die am Ende der Brutzeit entkräftet sterben; beim Ziehen von Parallelen zu den selbstverletzenden Essgewohnheiten der eigenen Mutter; oder beim Beschreiben des Verhaltens der chinesischen Störe, die sich in Verzweiflung gegen Staudämme werfen, die ihren Weg nach Hause versperren, und Erinnerungen an die traumatische Fluchtgeschichte der Großmutter wach werden lassen: »Jahre später wachte meine Großmutter immer noch mitten in der Nacht auf und erinnerte sich daran, dass ihre Mutter ihr versprochen hatte, sie zu töten. Sie brauchte lange, um zu verstehen, dass dies aus Liebe geschah.«

Auch wenn in der deutschen Übersetzung nicht jeder Satz genauso schimmert wie im englischen Original: Sabrina Imbler ist mit »So weit das Licht reicht« ein erstaunliches, unerwartetes Meisterstück gelungen. Es ist durchdrungen von einer Dringlichkeit, einer Sanftheit, die man getrost als großes Geschenk bezeichnen darf, und an dessen Ende ein Fazit steht, das uns alle zu einer atmenden Gemeinschaft macht: »Wir alle bewegen uns auf das Leben zu. Wir alle weigern uns zu sterben.«

Sabrina Imbler
So weit das Licht reicht. Die Kreaturen der Tiefsee und was sie mir über das Leben erzählen
Ü: Anja Kauß
C.H.Beck, 283 S.