Wolf Haas’ berührendes Gedenkbuch an seine Mutter: »Eigentum«


Drei Tage vor ihrem Tod sind die Erinnerungen lebendiger denn je. Im Wortsinn fast bis ins Grab repetierte Wolf Haas’ Mutter (Jahrgang 1923) die Krux ihrer Familiengeschichte, die darin gipfelte, wie ihr Großvater, ein Bauer, in Folge der Geldentwertung Grund und Boden verlor und sich als Knecht verdingen musste. Als sie zehn war, gab man sie zu einem Bergbauern, weil zu Hause kein Platz mehr für sie war (»ausgestiftet« nannte man das damals). Während des Krieges wurde sie zum Arbeitsdienst eingezogen, danach tippte sie für die amerikanische Briefzensur. Alles Geld, das sie in acht Jahren als Serviererin in der Schweiz verdiente, schickte sie heim, zu den Eltern – nur damit ihr Bruder sie später aus dem Haus jagte, das damit erbaut worden war.

Mit dem Tod auf du und du: Die ehemalige Dienstwohnung, in der sie hernach auf Miete mit ihrer eigenen Familie unterkam, blickte auf den Friedhof. Bis sie auch die räumen musste – da war sie schon 89 –, angeblich, weil das Gebäude abgerissen werden sollte (wozu es aber tatsächlich nie kam). Kreislauf des Lebens: Das Altersheim, in dem sie ihre letzten Jahre zubringt und stirbt, war früher die Gebärklinik, in der sie ihre beiden Söhne zur Welt gebracht hatte.

Ihr Leben lang wollte die Mutter es zu eigenem Grund und Boden bringen. Nun, am Ende, hat sie es geschafft: Auch wenn es nur zwei Quadratmeter auf dem Gottesacker sind, auf dem jetzt, in Stein gemeißelt, ihr Name steht.

Gegen das Verdämmern von Geschichte(n). Dass Wolf Haas, Schöpfer des legendären Brenner, auch abseits seiner Krimis ein Schriftsteller von Graden ist, hat er hinlänglich bewiesen (»Das Wetter vor 15 Jahren«, »Verteidigung der Missionarsstellung« und »Junger Mann« auch über seine Kindheit und Jugend in der Provinz). »Eigentum« ist sein vielleicht persönlichstes Werk bisher: Ein anfangs ruppiges, wütend-verzweifeltes und gegen Ende hin ungemein berührendes Erinnerungsbuch an eine »schwierige« Mutter. Ihr Leben steht exemplarisch für eine Generation, die von Armut, Krieg und Verlust geprägt war und deren größter Besitz der Besitz war. Wie Wolf Haas die »rhetorische Trias«, deren »glühende Anhängerin« seine Mutter war, übernimmt (»Nichts wie gesät und gemäht und geheut. Nichts wie sich geplagt und gequält und geschunden. Nichts wie arbeiten arbeiten arbeiten. Jahrelang nur sparen sparen sparen.«), wie er den Bogen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Wut und Trauer spannt und die oft gehörten, »elenden Geschichten« ihrer schweren Kindheit und Jugend zu bleibenden Erinnerungen weiterspinnt – das ist ganz große (Sprach-)Kunst. Manche Dinge muss man immer wieder erzählen, heißt es im Buch. Dem gibt es nichts hinzuzufügen. Kathartisch.

Wolf Haas
Eigentum
Hanser, 160 S.