Fanny Lewalds gesellschaftskritischer Roman hat ein größeres Publikum verdient.
Die Romane englischsprachiger Autorinnen des 19. Jahrhunderts wie den Brontë-Schwestern oder George Eliot sind aus dem Kanon inzwischen nicht mehr wegzudenken: Sie sind bis heute sowohl im Original als auch in Übersetzung in zahlreichen verschiedenen Ausgaben lieferbar und erfreuen sich beim Lesepublikum nach wie vor größter Beliebtheit. Anders sieht die Lage im Bezug auf ihre deutschsprachigen Zeitgenossinnen aus: die wenigsten Freizeitleser/innen, die »Middlemarch« oder »Sturmhöhe« verschlungen haben, dürften beispielsweise die Werke von Fanny Lewald kennen, dabei war sie eine der bedeutendsten deutschsprachigen – und jüdischen – Schriftstellerinnen ihrer Zeit. Lewalds früher Roman »Jenny«, dessen Titelheldin starke autobiografische Züge trägt und der zu Lebzeiten der Autorin durchaus erfolgreich war, braucht den Vergleich mit seinen bekannteren Schwestern keineswegs zu scheuen. Anhand der – unglücklich verlaufenden – Liebesgeschichten der Geschwister Jenny und Eduard Meier, Kinder einer jüdischen Bankiersfamilie, die sich beide jeweils in christliche Partner/innen verlieben, zeichnet Lewald, ohne dass dabei der Humor auf der Strecke bleibt, ein eindrückliches Bild des im 19. Jahrhundert grassierenden Antisemitismus und übt dabei auch deutliche Kritik an den beschränkten Möglichkeiten, die Frauen ihrer Zeit offen standen. Der Schluss dieses beeindruckenden Romans hinterlässt bei modernen Leser/innen, im Wissen um den weiteren Verlauf der jüdischen Geschichte in den 180 Jahren nach seinem Erscheinen, einen bitteren Kloß im Hals.
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Fanny Lewald
Jenny
Reclam, 300 S.
ET: 8. September