Drei Bücher decken einen Großteil dessen ab, was zur Zeit über das Papsttum geschrieben werden kann. Foto: Quirnale.it
Aus: Buchkultur 214, Juni 2024
»Der Mensch ist ein Erzähler«, meint Papst Franziskus, und »dass wir nach Geschichten genauso hungern wie nach Brot.« Und so erzählt er – mit Hilfe des Journalisten und Vatikan-Kenners Fabio Marchese Ragona – seine Geschichte in der Geschichte und nennt das Buch »Leben«. Er ist überzeugt davon, dass jemandem sein Leben zu erzählen, die schönste und innigste Form der Kommunikation ist. Das Thema des Buches ist also unsere Geschichte, die Geschichte des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts. Und in all das, was sich in den letzten Jahrzehnten ereignet hat, stellt Franziskus sein Leben hinein. Er erinnert sich. Die Erinnerung sei für den Papst der wertvollste Rahmen für das Leben jedes Einzelnen, schreibt Ragona in der Einführung. 1936, also vor 87 Jahren, ist Jorge Mario Bergoglio in Flores, einem Stadtteil von Buenos Aires, geboren und dort – in einem kleinen bunten Haus – beginnt auch die Geschichte seines Lebens, von seiner geliebten Großmutter ist die Rede und vom Beginn des Zweiten Weltkriegs, den das Kind im Radio miterlebt hat und auch durch das Vorlesen der Briefe, die von der italienischen Verwandtschaft aus Europa kamen. Gleich zu Beginn wird klar, wie Franziskus sein Buch anlegt: Ein anonymer Erzähler berichtet vom Ambiente, der Situation rundherum und dann steigt der Papst persönlich ein, füllt all das mit seinen persönlichen Eindrücken und Erinnerungen und benützt die Gelegenheit, gleich einmal als Seelenhirte, als Prediger tätig zu sein und uns, den Leser/innen, ins Gewissen zu reden. Das macht er aber nicht belehrend und von oben herab, sondern im Gespräch. Eine Situation, von der er einmal berichtet, ist kennzeichnend für sein Hirten-Dasein: Als eine Frau zu verängstigt ist, um sich ihm als Beichtvater im anonymen Beichtstuhl anzuvertrauen, kommt er heraus, setzt sich neben sie auf die Bank und redet mit ihr wie ein Bruder. Als solcher sieht er sich, so begrüßte er als frisch gewählter Papst am 13. März 2013, also vor elf Jahren, die Gläubigen mit »Fratelli e sorelle, buona sera!«. Holocaust und Atombombe, Mondlandung und Fall der Berliner Mauer, 11. September, Weltwirtschaftskrise, Pandemie und noch viele andere weltbewegende Ereignisse nimmt er zum Anlass, daraus seine ganz besonderen Schlüsse zu ziehen und immer wieder auch von sich zu erzählen, von den Höhepunkten und den schwierigen Phasen seines Lebens. Er nimmt den Leser, die Leserin mit, er vertraut sich uns an, lässt uns teilhaben.
Gegensätzlicher als die Autobiografie von Papst Franziskus könnte das nun folgende Buch nicht sein. Wortgewaltig ausufernd widmet sich Otto Kallscheuer auf fast tausend Seiten dem Thema »Papst und Zeit«. »Heilsgeschichte und Weltpolitik« ist der Untertitel des Buchs, in dem er eine »konzeptionelle oder Problemgeschichte des Papsttums« zu schreiben versucht, »wer will kann auch Theorie sagen«, kündigt er in einer Vorbemerkung an, in der man sich schon einmal darin einüben kann, seine ungebremst strömenden Assoziationen zu verstehen. So gibt er auch gleich eine Gebrauchsanweisung für seine »Problemgeschichte des Papsttums«, dass man die dreißig historischen Kapitel nicht chronologisch lesen müsse und die dazwischen gestreuten zwanzig Sonden auch überspringen oder später lesen könne. Stürzt man sich in das erste Kapitel, mit dem folgerichtigen Titel »Introitus«, wird man mit vier Päpsten konfrontiert, die »gleichzeitig und voller Harmonie den Petersplatz in einer gemeinsamen Zeremonie bespielen.« Er meint damit die Heiligsprechung Johannes XXIII., des »rundlichen Bauernsohns Angelo Roncalli« und Johannes Paul II, »des athletischen Polen« durch Franziskus und den im Vorjahr zurückgetretenen, aber prominent anwesenden Benedikt XVI. Zu kurz seien die Heiligsprechungs-Prozesse gewesen, meint Kallscheuer, wie man überhaupt seine prinzipielle Haltung eher distanziert-kritisch verstehen kann. Das erste Zwischenkapitel mit dem Titel »Primus« stellt die Frage »Wer war der erste Papst?« Nach vier engbedruckten Seiten meint der Autor aber, dass die Frage offenbleiben könne, weil sie für die Zukunft des Papstamts völlig irrelevant wäre und begründet dies in zwei weiteren Seiten. Kallscheuer hat immens viel Wissen zusammengetragen, er vermittelt es auf seine ganz eigene nicht eben wortkarge Art, in die man sich einlesen muss. Hält man sich jedoch an sein Angebot, gezielt auszuwählen, wird man in seinem Buch bis hin zum Scheitern im Ukraine-Konflikt all das finden, was der Titel »Papst und Zeit« verspricht. Kallscheuer schließt mit dem Begriff vom »Feldlazarett«, den Franziskus für seine Version der Kirche verwendet hat: »Wunden verbinden, Not lindern und Nächstenliebe verwirklichen.«
Der Ton ändert sich noch einmal: Michael Meier schreibt von Franziskus als einem »Papst der Enttäuschungen«. Meier ist ein Schweizer Journalist, reformierter Christ und verhinderter Konvertit, der Theologie studierte. Gleich im Vorwort bekennt er seine Distanz zu Papst und römischer Kirche: »Ich finde Franziskus bisweilen sympathisch, fasziniert oder inspiriert hat er mich nie.« Enttäuscht ist Meier, weil Franziskus nicht der Reformer ist, als der er zu Beginn seines Pontifikats gesehen wurde, er sei vielmehr Seelsorger und Hirte als Reformer. Meier legt sein Buch auch durchaus journalistisch an, Aussagen wie »Möglicherweise ist der alte Papst selbst erschrocken« oder »Wenn es eine Konstante gibt in diesem Pontifikat, dann ist es das Doppeldeutige, das Doppelzüngige, das Widersprüchliche« sind nicht selten. Meier hält auch fest, dass der Jesuit Bergoglio die Wahl zum Papst gar nicht annehmen hätte dürfen. Einer der Vorwürfe an Franziskus lautet, dass ihm der Kontakt zum Islam wichtiger sei als der zu den Protestanten. Er sei ein »Meister des Ungefähren«, Angst lähme ihn und es fehle ihm »das intellektuelle Profil eines Reformers.« Es bleibt dem Leser, der Leserin überlassen, die Schlussfolgerungen, die Meier zieht, nämlich, dass es fragwürdig sei, ob das Heil der Kirche aus dem Süden kommen wird, anzunehmen. Oder zur Kenntnis zu nehmen, dass auf Grund der »spezifischen Bedürfnisse dieser Kirche des Südens, die römisch-katholische Kirche künftig keine reformorientierte Kirche nach westlichen Vorstellungen sein« wird.
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Papst Franziskus
Leben. Meine Geschichte in der Geschichte
HarperCollins, 272 S.
Otto Kallscheuer
Papst und Zeit. Heilsgeschichte und Weltpolitik
Matthes & Seitz, 956 S.
Michael Meier
Der Papst der Enttäuschungen. Warum Franziskus kein Reformer ist
Herder, 208 S.