Böses Berlin

Clemens Murath, „Der Libanese. Ein Frank-Bosman-Roman“ (Heyne Hardcore), 480 S.

Platz 6

Der Libanese«: Bei Clemens Murath ist Berlin ein tödlich hartes Pflaster.

»Der Shooter«. Die Ramme. Ein Swingerkönig. Jede Menge Bitches. Und noch mehr böse Widersacher. In deren mafiösem Portfolio: Drogen, Schutzgelderpressung, Prostitution und, ganz klassisch, eine Baufirma als »Waschmaschine« für die Ströme von Schwarzgeld. Mitten drin in diesem beinharten Berlin: Frank Bosman, genannt »Der Shooter«, vom Landeskriminalamt. Auf seiner Abschuss-, pardon: Ermittlungsliste ganz weit oben: ein libanesischer Clan.

Wenn in Berlin Türen splittern, dann sind Bosman und Kollegen nicht weit. Nach einer fehlgeschlagenen Razzia in der verranzten Potsdamer Straße, bei der die Kugeln nur so fliegen, schießt er à la »Dirty Harry« Callahan den jüngeren Bruder des Clanchefs über den Haufen. Der Weg ist hier nicht das Ziel. Das Ziel, das ist: der finale Schuss.

Bei Clemens Murath, der seit zwei Jahrzehnten sein Geld damit verdient, Drehbücher fürs erzbiedere deutsche TV-Krimigenre zu verfassen (»Kommissar Dupont« oder »Mordkommission Istanbul«), ist Berlin urblutige Piste für Aggros, Junkies, Vollkoffer, Korrupte, Lynchgläubige und Zwangserotiker, getriebene superharte Bullen und andere hardboiled-Figuren. Er kann hier elanvoll zeigen, was es bringt, alles von Elmore Leonard und James Ellroy mit Begeisterung gelesen zu haben. Dazu mischt er noch Testosteronproben von Mickey Spillane und abgründig schräglustige Dialoge à la Tarantino bei. Nach diesem Auftaktband dürfte auch nach abgeklungener Pandemie die akute Reisewarnung für Berlin weiterhin absolut bestehen. (Alexander Kluy)


Digitale Schatzsuche

Tom Hillenbrand, „Montecrypto“
(Kiepenheuer & Witsch), 448 S.

Platz 7

Eine perfide Jagd nach Krypto­währung wird zum Finanzthriller.

Dieser rasante Thriller taucht tief ein in die Welt der Finanzen, vor allem in die der Kryptowährungen. Autor Tom Hillenbrand hat ausgezeichnet recherchiert und bringt die komplexen Zusammenhänge von digitalen und dezentralen Zahlungsmitteln im Gegensatz zu den virtuellen und kontrollierten Währungen auch einer unbedarften Leser/innenschaft nahe: Er verpackt den nicht unkomplizierten Inhalt in eine irrwitzige Schnitzeljagd, die von den USA aus nach Europa und wieder zurück führt. Held der Geschichte und »Quatermain« (der hier nicht König Salomons Dia­manten, sondern Bitcoins sucht) ist der in Los Angeles lebende Engländer Ed Dante, Finanzermittler, der einst wenig ruhmreich aus dem Bankwesen scheiden musste. Der nicht mehr ganz junge Dante hat ein Faible für guten englischen Tee sowie eine allzu große Vorliebe für Cocktails, ist ansonsten aber eher unauffällig. Er wird beauftragt, das große Vermögen des verstorbenen Bitcoin-Pioniers Greg Hollister zu finden, obwohl er sich auf dem Gebiet anfangs so gut wie gar nicht auskennt. Fast von Beginn an wird er unterstützt von der tätowierten Bloggerin und Computerexpertin Mercy Mondego.

Ein kurzweiliges Buch mit turbulenter Handlung und flotten Dialogen, voller literarischer Querverweise und gespickt mit Details aus der Finanz- und Hackerwelt. Hillenbrand erklärt im Lauf der Geschichte die an sich höchst komplizierten Inhalte und serviert sie, verpackt in seine abenteuerliche Schatzsuche, übersichtlich und klar aufbereitet. Abwechslungsreiche Lektüre auch für Krypto-Neulinge! (Karoline Pilcz)


Rasend

Horst Eckert, „Die Stunde der Wut“ (Heyne), 448 S.

Platz 8

Horst Eckert legt einen beeindruckend zeitpolitischen Polizeithriller vor.

Melia Adan sucht bei der Kriminalpolizei nach einer verschwundenen Kollegin. Wurde sie einbetoniert ins Fundament eines Neubauprojekts des so reichen wie von keinerlei Skrupeln gepeinigten Immobilienmoguls Hartmut Osterkampf? Pa­rallel fahndet Hauptkommissar Vincent Veih nach dem Täter, der die Tochter eines Psychiaters ermordete. Beide Ermittlungen verdrahten sich und führen ins Zentrum von Gier und Geld, Politik, von zutiefst imprägnierten Vorurteilen, Intrigen, Amtsmissbrauch, zynisch egoistischer Vorteilsnahme und Wut in fast allen Schattierungen.

Dieser zweite, in einem sprachlich rasanten Stakkato und vielen ganz kurzen Kapiteln erzählte Roman mit dem Duo Melia Adan und Vincent Veih lässt sich unabhängig vom Vorgängerband lesen. Horst Eckert, der gebürtige Oberpfälzer, der seit Langem in Düsseldorf am Rhein lebt und ausnehmend produktiv ist, zeigt eindrucksvoll, dass ihm im Genre »zeitgemäßer komplexer Polizeithriller, in dem lebensweltlich präzise ermittelt wird« im deutschsprachigen Raum kaum einer etwas vormacht. (Alexander Kluy)


Es trifft nicht immer den Richtigen

Theresa Prammer, „Lockvogel“ (Haymon), 376 S.

Platz 9

Ein bisschen Method Acting kann nicht schaden, auch im Krimi.

Edgar Brehm, Privatdetektiv, gesundheitlich nicht auf der Höhe, braucht dringend Geld. Sein Auftrag: Starregisseur Steiner wird in einem anonymen Tagebuch des Übergriffs beschuldigt, die Ehefrau will Genaueres wissen. Die notorische Zuspätkommerin und Schauspielschülerin Toni hat ebenfalls ein Problem: Ihr Freund hat sich mit Geld und Omas Schmuck aus dem Staub gemacht, sie bietet Brehm ein Gegengeschäft an: Er sucht, sie assistiert. Die Zusammenarbeit lässt sich – richtig geraten! – eher holprig an.

Nach der erfolgreichen Reihe mit der Kaufhausdetektivin und Ex-Sängerin Lotta – für die »Wiener Totenlieder« gab’s den Leo-Perutz-Preis der Stadt Wien – hat sich Theresa Prammer ein neues originelles Duo ausgedacht, und für den ersten Fall ein brisantes Thema, nämlich die MeToo-Debatte. Sie kann – Achtung! – mit einem einzigen Satz hinters Licht führen: »Es gibt gute Menschen, die böse Dinge tun. Und böse, die Gutes tun.« Der Ausspruch stammt zwar von der Oma, aber den Weisheiten alter Damen ist auch nicht immer zu trauen! (Maria Leitner)


Alptraum

Jon Bassoff, „Factory Town“ (Polar)
Ü: Sven Koch, 256 S.

Platz 10

»Factory Town« ist Gothic/Noir/Horror und ein »bös­artiger Bastard«.

Das Nachwort von Marcus Müntefering klassifiziert nicht nur den »Bastard«, es stellt den Autor als verwegenen Noir-Goth-Writer heraus, der sich der »transgressive fiction« verpflichtet hat – der Literatur der Überschreitung, des Exzesses. Es findet aber auch viel Platz zwischen den Zeilen, die selbst dem zugewandten Kenner des Genres abnötigen: »Seinen Roman lesen wir nicht einfach, wir durchleiden ihn …« Wie wahr.

Die wohlmeinende Lesart könnte interpretieren, dass der ganze Albtraum einer Verzweiflung über den Zustand der Welt geschuldet ist.
Weniger wohlmeinend wird es, wenn der Autor darauf beharrt, dass der Protagonist, der sich in einer kaputten, von üblen Kreaturen bevölkerten Stadt wiederfindet, wo er seine persönlichen Nachtmahren in verschiedenen Versionen durchlebt, unter dem Fluch des Vaters steht. Der war ein Schläger, Säufer und Vergewaltiger. Der Sohn wird halt zwingend zum Frauenmörder. Bad blood, was soll man machen. Ob man diese verrottete Stadt, ihre verkommene Personage mag, entscheiden die Leser/innen. (Sylvia Treudl)


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