Aktuelle Bücher entwerfen ein vielschichtiges Porträt des Titans und Gefühlsmenschen, Tondichters und Revolutionärs. Foto: Valdas Miskinis.


Obwohl sich sein Geburtstag erst Mitte Dezember zum 250. Mal jährt,
steht das gesamte Musikjahr unter dem Zeichen Ludwig van Beethovens. Und natürlich hält auch der Buchmarkt für den interessierten Leser, egal, ob musikalischer Laie oder Insider, zahlreiche Neuerscheinungen bereit, die sich von den unterschiedlichsten Seiten dem Phänomen Beethoven nähern. Unter den Büchern zum Beethoven-Jahr finden sich auffällig viele Gesamtdarstellungen des Komponisten, deren Autoren allesamt umfassend schreiben. Sie betrachten Leben und Werk Beethovens als Einheit und verstehen den Tondichter als Kind seiner Zeit und seiner Gesellschaft, im Spannungsfeld zwischen finanzieller Abhängigkeit, Mäzenatentum und dem unabhängigen Geist einer Persönlichkeit, die sich in neuem Selbstbewusstsein als Künstler sieht.

Peter Wehle junior, Musikwissenschaftler und Psychologe, der nicht verleugnen will und kann, dass er der Sohn seines Vaters, des Kabarettisten, Autors und Komponisten Peter Wehle ist, legt nun, nach Büchern über Mahler und Haydn, sein schmales Büchlein „Beethoven. Von allem mehr“ vor. Charmant und kurzweilig sowie für jedermann verständlich erzählt er Beethovens Leben chronologisch, bettet es freilich stets in das damalige politische und kulturelle Geschehen ein, und macht dadurch das Genie Beethoven als Mensch und Künstler verständlicher. Wehle beschränkt sich
auf das Wesentliche, aber man spürt, dass da ein Wissender schreibt, weil er mit leichter Feder Zusammenhänge und Bezüge herstellt, damit auch der Nicht-Musik-Experte, der mit musikalischen Formen und Instrumentenkunde nicht vertraut ist, Beethovens Leistungen, Werk und Leiden zu erfassen vermag. Somit hat Peter Wehle etwas geschaffen, was man bisher lange suchen musste: Eine gut lesbare, knappe Lebensbeschreibung des Komponisten, die sich nicht nur auf biografische Daten und Ereignisse beschränkt, sondern dem Leser auch das musikalische Phänomen Beethoven näherbringt; die, sozusagen, Beethoven „auf den Punkt“ bringt. Für den interessierten Laien als unterhaltsame Einstiegsliteratur genauso wie für den Kenner zur Auffrischung und Zusammenfassung.

Aus der Überlegung, dass klassische Musik und besonders das Werk Beethovens für das heutige, jüngere Publikum einer Erklärung bzw. der Kommentare bedürfen, entstand das neueste Buch der umtriebigen deutschen Autorin, Literatur- und Musikwissenschaftlerin Christine Eichel. Der Titel „Der empfindsame Titan“ deutet bereits darauf hin, dass sie Beethoven auch von seiner menschlichen Seite zeigen möchte. Was im Untertitel „Ludwig van Beethoven im Spiegel seiner wichtigsten Werke“ so trocken klingt, entpuppt sich als ein erquickliches und kluges Lesebuch, das weitschweifig und vielumfassend Beethovens Leben und Werk erzählt, ausgehend von sechs seiner populärsten Werke, wie etwa der „Mondscheinsonate“, der „Schicksalssymphonie“ oder seiner „Neunten“. Christine Eichel gelingt es, mit eingestreuten, nahezu romanhaften Passagen, stets als Verfasserin präsent, ein reichhaltiges Buch zu schreiben,
das sich spannend wie ein Roman liest, und gleichzeitig ein profundes, ausführliches Werk über Beethoven, seine Persönlichkeit und sein Werk darstellt.

Eine ebenso umfassende wie lesenswerte Gesamtdarstellung, die außerdem
noch neue Medien, Film, Werbung und Videospiele samt ausführlichem Anhang miteinschließt und damit wahrlich auf der Höhe der Zeit ist, stammt von dem Musikwissenschaftler, Musikhistoriker, Musiker und Hochschulprofessor Matthias Henke. Auch er geht weitgehend chronologisch vor, macht dabei weite Ausflüge in die Umbruchszeit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in die sozialen und politischen Veränderungen, und geht auf das Spannungsfeld zwischen Bonn und Wien ein. Er bietet Wissen auf hohem Niveau, versteht es aber, dieses in geschliffenem, fassbarem und flüssig zu lesendem Stil darzureichen. Somit ist auch seine reich bebilderte Biografie „Beethoven. Akkord der Welt“ ein wunderbares Lesebuch für den musikinteressierten Leser, der intensiv in die Materie „Beethoven“ eintauchen und dabei das Leseerleben, ja Vergnügen, nicht missen möchte.

Nicht nur umfangreich, sondern auch äußerst detailliert ist die aktualisierte, in Zusammenarbeit mit dem Bonner Beethovenhaus entstandene Gesamtdarstellung des belgischen Dirigenten und Musikwissenschaftlers Jan Caeyers „Beethoven. Der einsame Revolutionär“. Der Titel lässt es erahnen: Diese Biografie kommt in recht traditionellem Gewand daher. Demgemäß hält sich Caeyers an die Chronologie von Beethovens Lebensweg, vergisst dabei aber nicht, den Blick zur Seite in die Zeit nach der Französischen Revolution und des Biedermeier zu wenden. Sein ausführliches Schreiben findet die Balance zwischen Werkdarstellung und Leben. In fünf große Teile samt Jahreszahlen gliedert sich das Buch, unterteilt in Unterkapitel, die auch ein gezieltes Suchen und Finden in dem über 800-seitigen Werk ermöglichen, womit sich Caeyers Ausführungen auch als Studienbuch eignen. Die Lektüre dieses „Wälzers“ bedarf zweifelsohne einiger Ausdauer, und ist wohl für all diejenigen Musikliebhaber und Musiker gedacht, die tatsächlich sehr tief in das Thema Beethoven eintauchen wollen.

Man darf mit Fug und Recht behaupten, dass die große Passion des im November 2019 verstorbenen Martin Geck das Schreiben über Musik war, mit dem er nicht nur Wissenschaftler und Menschen vom Fach, sondern auch Laien und Liebhaber erreichen wollte. Der emeritierte Professor und Grandseigneur der Musikwissenschaft galt als Bach-Experte und hatte erst 2017 die große Beethoven-Biografie „Beethoven. Der Schöpfer und sein Universum“ herausgegeben. Sein letztes, vergleichsweise schmales Buch „Beethoven hören“, das posthum erscheint, widmete er ebenfalls dem großen Schöpfer aus Bonn, bezieht aber uns Menschen der Gegenwart mit ein. Er schreibt, nachdem er in einigen ausgewählten Werken Beethovens – und es sind hier auch Streichquartette und Klaviersonaten – seiner Biografie nachgeht und Facetten seiner Persönlichkeit aufspürt, über heutige Hörerfahrungen mit Beethovens Musik. Zwar richtet sich Geck wie immer auch an den Musikliebhaber, nicht nur an den Experten, dennoch ist sein Buch durchaus anspruchsvoll. Nichts zum Nebenherlesen. Wer sich aber auf seine Ausführungen einlässt, wird einen großen Gewinn aus der Lektüre dieses klugen und einzigartigen Buches ziehen, das außerdem daran appelliert, neben all der wissenschaftlichen Analyse das eigene Staunen beim Hören Beethoven’scher Musik zuzulassen.

Zum Schluss, als Abrundung, sei noch das unterhaltsame Buch von Hans Georg Klemm und Yvonne Zoll mit dem bereits wegweisenden Titel „66 x Beethoven. Ludwig van A – Z“ erwähnt, das sich an Laien wie Profis richtet und Beethovens Leben und Wirken in kleine Beiträge und Geschichten zusammenfasst. Hier findet sich nahezu alles, woran man im ersten – und auch im zweiten – Augenblick denkt, wenn man „Beethoven“ hört: Vom „Aussehen“ über die „Familie“ geht es zur „Mondscheinsonate“, zu seinen „Wohnungen“ und zur „Zehnten“. Nach der Lektüre dieses Büchleins, das sich als Schmökerbuch versteht, wird sich auch der Noch-nicht-Beethoven-Experte in Gesprächen rund ums Beethoven-Jahr hervortun können.

Dieser Text erschien zuerst in Buchkultur 189, April 2020.

Jan Caeyers, „Beethoven. Der einsame Revolutionär“ (C.H.Beck)
Übers. v. Andreas Ecke, 832 S.

Christine Eichel, „Der empfindsame Titan. Ludwig van Beethoven im Spiegel seiner wichtigsten Werke“ (Blessing), 492 S.

Martin Geck, „Beethoven hören. Wenn Geistesblitze geheiligte Formen zertrümmern“ (Reclam), 184 S.

Matthias Henke, „Beethoven. Akkord der Welt“ (Hanser), 432 S.

Hans Georg Klemm, Yvonne Zoll, „66 x Beethoven. Ludwig van A – Z“ (wbg Theiss), 191 S.

Peter Wehle, „Beethoven. Von allem mehr“ (Amalthea), 256 S.