Über die Pointen von Lisa Eckhart lässt sich streiten. Aber woran liegt es, dass in ihrem Fall die „Menschenwürde“ ins Treffen geführt wird, um Absagen zu rechtfertigen, wenn unsere Kultur durchzogen ist von Verletzungen der Menschenwürde? Ein Kommentar.


Die Kabarettistin Lisa Eckhart hat bekanntlich 2018 in der Fernsehsendung „Mitternachtsspitzen“ am Beispiel des Filmproduzenten Harvey Weinstein sowie der Regisseure Roman Polanski und Woody Allen einige Stereotypen über Juden aufeinanderprallen lassen. Eckhart sagte unter anderem wörtlich: „Da haben wir immer gegen diesen dummen Vorwurf gewettert, denen ginge es nur ums Geld. Und jetzt plötzlich kommt heraus: Denen geht’s wirklich nicht ums Geld! Denen geht’s um die Weiber, und deswegen brauchen sie das Geld.“

Als die Veranstalter des Harbour Front Literatur Festivals Hamburg dieses Jahr die schon eingeladene Eckhart auf Grund solcher Sätze und sich daraus ergebender Sicherheitsbedenken wieder ausluden, fielen die Reaktionen meistens lahm aus:

In einem Kommentar hieß es,  wer für die „offene,  demokratische Gesellschaft“ eintreten wolle, der müsse „dagegenhalten“. Regula Venske, die Präsidentin des deutschen PEN-Zentrums forderte, sich „nicht zu beugen“. Selbst als Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für den Kampf gegen Antisemitismus, nicht die Ausladung, sondern dieses Mal Eckhart selbst „geschmacklos und kritikwürdig“ fand, wirkte es, als würde er sich gerade mal dazu aufraffen, zu tun, was die Pflichtschuldigkeit halt so gemahnte. Doch Klein entdeckte bei Eckhart auch „Menschenfeindlichkeit“, und der Politiker Volker Beck von Bündnis `90 / Die Grünen sah die „Menschenwürde“ verletzt.

Dazu lässt sich sagen, dass in Deutschland manche Kulturschaffende nicht nur straffrei die Menschenwürde verletzen, sondern sogar viel Geld damit verdienen und sehr berühmt werden. Das gelingt etwa dem Autor Thilo Sarrazin mit seinen Büchern oder dem Regisseur Til Schweiger mit seinen Filmen oder dem Comedian Mario Barth mit seinen Bühnenprogrammen. Doch weder bei Schweiger noch bei Barth sahen sich Veranstalter je genötigt, deren Kinovorführung oder  Comedy-Show abzu-sagen. Sarrazin wiederum regten Absagen seiner Lesungen an, ein Buch über den „ neue(n) Tugendterror“ zu verfassen, in dem er sich selbst als besten Beleg für dessen Titel anführte. Prompt erreichte das Buch Spitzenplätze in den Bestsellerlisten. Die öffentlichen Proteste gegen Sarrazin hatten sich für den Autor damit als Steilvorlage erwiesen: Vorher, als er seinen ersten Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ veröffentlicht hatte, schätzten seine Leserinnen und Leser Sarrazins Mut, zu sagen, was andere angeblich nur denken würden. Doch in „Der neue Tugendterror“ gerierte er sich zusätzlich als Märtyrer im Kampf um die Meinungsfreiheit.

So viel Pathos in der Selbstdarstellung scheint Lisa Eckhart bisher abzugehen. Dass sie in Hamburg trotzdem nicht auftreten sollte, liegt aber auch an der veränderten gesellschaftlichen Lage. Denn früher zeigte eine Frau einfach mehr Bereitschaft, ihr Leben deutlich vor der Zeit zu beenden. So brachte sie Veranstalter gar nicht erst in die Bredouille, sich überlegen zu müssen, ob sie sie engagieren sollten. Im Gegenzug bekam die Frau dafür etwas Platz in der Kulturgeschichte. 

Sie ließ sich also zum Beispiel vergiften wie Luise Miller bei Schiller oder sie erfror tapfer wie Andersens Mädchen mit den Schwefelhölzern. Sie zog sich eine tödliche Lungenkrankheit zu wie Dumas` Kameliendame oder die Mimi in Puccinis Oper. Sie konnte sich auch erstechen lassen wie Woyzecks Freundin Marie oder Mérimées Carmen. Noch heute bewegt sich der Regisseur Quentin Tarantino mit seinem Film „Once upon a time in Hollywood“ in einer ähnlichen Tradition. Darin wird der Kopf einer Frau so lange gegen einen Telefonapparat und anschließend gegen eine Wand gehauen, bis sie stirbt. Eine andere Frau wird erst von einem Hund zerfleischt und dann mit einem Flammenwerfer verbrannt. Diese „Dramödie“, wie Wikipedia sie beschreibt, hat sich trotzdem oder gerade deshalb als Knüller an der Kinokasse erwiesen und die Kritik fand lobende Worte.

Dabei bräuchte eine Frau die Arbeit nicht immer anderen zu überlassen. Stattdessen könnte sie sich erhängen wie Antigone, sich ertränken wie Ophelia oder erst wahnsinnig werden und dann Hand an sich legen wie Lady Macbeth. Sie könnte Rattengift schlucken wie Emma Bovary, sich vor einen Zug werfen wie Anna Karenina oder erschießen wie Hedda Gabler. Unbestritten hat eine Frau also viele unterschiedliche Möglichkeiten, sie muss sich nur für eine entscheiden, und alles, alles wäre gut.

Doch heute wollen manche Frauen lästigerweise lieber weiterleben, anstatt sich aus Literatur und Oper baldigst eine Todesart auszusuchen. Die eine oder andere entwickelt sogar Ehrgeiz und nimmt sich einen noch weiteren Weg vor als den in die Ehe und den Kreißsaal. Sie will mehr hervorbringen als „Ja, ich will!“ vor dem Traualtar und Schmerzensschreie in den Wehen. Da ist der Vorwurf der Arroganz vorprogrammiert. Wenn sie dann noch Texte für sich selber schreibt und öffentlich vorträgt, so wie Lisa Eckhart, reagieren manche Männer darauf, als sei ihnen ein Fehdehandschuh hingeworfen worden. Überfordert beginnen sie, öffentlich von ihrer Angst vor oder ihrer Enttäuschung durch Frauen zu sprechen.

Schauen wir ganz oben hin: Donald Trump zum Beispiel braucht gegen Kamala Harris kein einziges politisches Argument. Es reicht ihm, zu verkünden, dass die Kandidatin für das Amt der amerikanischen Vizepräsidentin „gemein“ und „gehässig“ sei. Eher unten: Der Rechtsextremist Stephan Balliet, der im vergangenen Jahr mehrere Menschen in Halle erschoss, nannte als Motiv für seine Taten nicht zuletzt, „noch nie eine Freundin“ gehabt zu haben.

Wohler fühlen sich Männer dagegen mit einer Frau, welche nicht bloß nett, freundlich und zu haben ist, sondern auch willig, ihre Menschenwürde selbst zu erniedrigen. Beim Gang auf eine Bühne helfen ihr daher unvorteilhafte Kleidung und ein deutlich erkennbares Übergewicht. Auch Berichte über ihre Aussichtlosigkeit bei der Arbeitsplatzsuche sowie ihre Misserfolge bei der Annäherung an Männer können sehr gut ankommen. Denn beides gibt dem Publikum Gelegenheit, weniger über ihre Witze als über die Witzereißerin selbst zu lachen. Lisa Eckhart eröffnet solche Gelegenheiten nicht, deshalb ist sie in Hamburg ausgeladen worden. Über ihre Pointen lässt sich streiten. Aber nicht über den Vorwurf, den Eckhart von den Veranstaltern des Harbour Front Literatur Festivals bekommt: Sie ist nicht Cindy aus Marzahn.

Kristof Schreuf, geboren 1963, ist Sänger der Bands Kolossale Jugend und Brüllen. Mit dem Produzenten und Musiker Tobias Levin nahm er das Album „Bourgeois With Guitar“ auf. Sein erstes Buch erschien 2019 bei edel books: „Udo Lindenberg. Mach dein Ding: Die frühen Jahre – wie aus dem kleinen Matz der große Udo wurde“. Er verfasst Texte für die FAZ, Süddeutsche Zeitung u.a., Musik für Theater, Beiträge für Anthologien. Schreibt an dem Roman „Anfänger beim Rocken“, der bei Suhrkamp erscheint. (Foto: Conny Lösch).