Im dritten Teil der Dystopia-Trilogie verhandelt Johanna Grillmayer die Dichotomie von Freiheit und Sicherheit.


Zwei Jahrzehnte hat Johanna Grillmayer in ihren beiden vorangegangen Büchern abgedeckt, in deren Verlauf die bekannte Welt schlagartig erlosch und einer behelfsmäßig zusammengezimmerten Welt wich. Die Handlung des dritten Teils setzt an einem Punkt ein, an dem Jolas Gemeinschaft sich eine gewisse Stabilität in ihrem neuen Dasein erarbeitet hat. Es geht nicht mehr nur ums Überleben, sondern auch um den Aufbau eines guten Lebens.

Was das beinhaltet, da sind sich natürlich nicht alle Figuren einig. Man will vom feindlichen Fremden verschont bleiben, doch für manche überwiegt die Neugier auf das Unbekannte. Überhaupt ist ein zentral verhandeltes Element die Dichotomie von Freiheit und Sicherheit, Recht und Pflicht, Fortschritt und Stillstand, Individuum und Kollektiv. Es ist nur eine von unzähligen Bereicherungen der Trilogie, dass bei der Lektüre Fragen nach den eigenen Vorstellungen eines guten Lebens aufkommen – begleitet von einer gewissen Erleichterung, nicht alle Fragen beantworten zu müssen und den eigenen Alltag innerhalb staatlicher Strukturen, mit Legislative, Exekutive und Judikative, verbringen zu dürfen. Denn egal, wie sehr das Individuum nach Freiheit (zu lieben, zu sterben, zu reisen …) strebt, führt uns die Autorin klar vor Augen: Praktisch jeder Mensch ist bereit, ein Stück Freiheit einem Regelwerk zu opfern, wenn es vor Gewalt schützt.

Die Gewalt ist ein präsentes Thema in dieser mittelalterlichen Welt mit modernem Gedankengut. Während sie im zweiten Teil der Trilogie auch innerhalb der Gemeinschaft eine tragende Rolle spielte, haben sich ihre Grenzen nun nach außen hin verschoben: Durch zunehmenden Austausch mit anderen Gemeinschaften macht sich Jolas Dorf auch vulnerabler. Als es tatsächlich zu einer Bedrohung von außen kommt, beweist Grillmayer ihr Geschick, Figuren vielschichtig und ambivalent zu zeichnen, während sich die Charaktere selbst treu bleiben: Nicht die Männer, die oft genug unschlüssig und ein wenig entscheidungsschwach agieren, sind es, die mit dieser Bedrohung umgehen, sondern die beiden tatkräftigsten und pragmatischsten Personen des Dorfes, Em und Jola.

Auch in diesem Teil fühlt man sich den Protagonist/innen tief verbunden; Grillmayers erzählerische Fähigkeit ist ungebrochen, das Zwischenmenschliche wie immer Herzstück der Dystopie. Die 1261 Seiten der Trilogie sind ein Leseerlebnis wie kein anderes und wer es noch nicht begonnen hat, dem/der sei es dringend empfohlen. Und die bereits Süchtigen? Beginnen einfach von neuem.

Johanna Grillmayer
Ein guter Mann
Müry Salzmann, 416 S.