In seinem aufrüttelndem Buch »Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts« schildert der 2002 in Zwickau geborene und aufgewachsene Student Jakob Springfeld den Rassismus in seiner Heimatstadt und die Bedrohung, der er ausgesetzt ist, seit er sich für eine (klima-)gerechtere, offene Gesellschaft einsetzt. Foto: Calvin Thomas.


Rechtsradikale patrouillierten vor seinem Elternhaus, beschimpften ihn als »Zecke« und spuckten ihm ins Gesicht. Die Einschüchterungsversuche nahmen so beunruhigende Ausmaße an, dass Springfeld und seine Freunde die Messenger-Gruppe »SOS-Fascho-Alarm« ins Leben riefen, um sich gegenseitig zu warnen. Das Interview mit dem anderen Gesicht Sachsens.

Buchkultur: Was ist das Hauptanliegen Ihres Buchs? Was erhoffen Sie sich von/mit Ihrem Buch, gerade auch in Zeiten des leider wieder steigenden oder offen zutage tretenden Antisemitismus?

Jakob Springfeld: Mit »Unter Nazis« möchte ich aufrütteln, junge Menschen zur demokratischen Positionierung motivieren und zeigen, dass es auch in Ostdeutschland, Sachsen und meiner Heimatstadt Zwickau eine liebenswerte Zivilgesellschaft gibt, die endlich stärker gehört und unterstützt werden muss. Ich hoffe, dass damit ein Bewusstsein gestärkt wird, mit welchem mehr Menschen verstehen, dass diese Demokratie im wahrsten Sinne des Wortes auf der Kippe steht – wir alle haben eine Verantwortung dafür, den Fall zu verhindern.

Was bedeutet Heimat für Sie? Was bedeutet Ihnen Zwickau?

Heimat bedeutet für mich vor allem, hin- und hergerissen zu sein. In Zwickau leben viele meiner Freunde, in Zwickau lebt meine Familie. Zwickau ist ein Teil meines Lebens, den ich nie ausradieren wollen würde. Zwickau ist aber auch ehemaliger Wohnort des rechtsterroristischen NSU-Kerntrios und ein Ort, in dem Angriffe auf Geflüchtete, Linke und queere Menschen auf der Tagesordnung stehen. Ich hasse und liebe diesen Ort zugleich.

Die AfD ist in den Ländern der ehemaligen DDR, in Ihrem Geburtsland Sachsen besonders stark. Die letzten Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen sind ernüchternd. Weshalb ist das so? Und was können wir gegen den Rechtsruck, Rassismus in ganz Europa (auch bei uns in Österreich), ja weltweit tun?

Zunächst wäre es falsch, den Rechtsruck nur auf Ostdeutschland zu projizieren. Dennoch haben die Umbrüche der Wiedervereinigung, eine jahrelange politische Ignoranz gegenüber extrem-rechten Entwicklungen und ein falsches Verständnis einer vermeintlichen politischen Neutralität dazu geführt, dass die antidemokratischen Kräfte bei uns besonders gut Fuß fassen konnten. Mir ist wichtig, zu sagen, egal in welcher Position, in der Schule, im Betrieb, in Institutionen, wo auch immer: Im Jahre 2024 kann niemand politisch neutral sein! Selbst wenn man im Glauben ist, der neutralste Mensch der Welt zu sein, ist man nicht neutral, wenn man schweigt und damit zustimmt – übrigens egal, ob in Zwickau, Berlin, Paris, Wien oder sonstwo!

Woher kommt dieser Hass, diese Angst vor dem »Fremden«?

Sie kommt nicht nur von Parteien wie der AfD und genau das ist ein Problem: Wir erleben einen Diskurs, der parteiübergreifend die Migration zur »Mutter aller Probleme« macht, dabei gäbe es so viel, was mindestens genauso stark besprochen werden sollte: Ost-West-Ungleichheit, Klimakrise, Sparpolitik – um nur einige Themen zu nennen, die auch als Brandbeschleuniger für den Aufstieg der Extremrechten dienen. Wie kann es sein, dass noch immer nicht angekommen ist, dass man den Rechtsruck nicht mit Rechtsruck bekämpfen kann?!

Nun sagen viele, dass sich unter den rechten Wähler/innen auch viele Proteststimmen befinden, also Menschen, die aus Protest rechts wählen. Ist das auch auf ein Versagen der Großparteien zurückzuführen? Und was sollen/können wir dagegen tun?

Ich finde, dass wir uns nicht ständig nur an denjenigen orientieren sollten, die grundfalsch und antidemokratisch voranschreiten. Genau das werfe ich allerdings vielen Parteien vor! Wenn die Themen und Anliegen der demokratischen Mehrheit ernstgenommen und verstärkt werden, gibt es eine reelle Chance, die antidemokratische bzw. AfD-populistische Diskurshoheit zu durchbrechen. Viele demokratische Parteien haben ihre politischen (zum Beispiel sozialdemokratischen, klimaschützenden) Kernthemen jedoch vergessen und beschränken sich auf einen Abwehrkampf, der scheitern muss, wenn sie es nicht schaffen, eigene Zukunftserzählungen breitflächig zu verankern.

Vieles ist heute sagbar geworden, was vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang ein Buch wie Ihres? Menschen mit Literatur und Kunst zum Umdenken, zum Nachdenken zu bringen?

Mit meinem Buch löse ich keinesfalls ein strukturelles politisches Bildungsproblem, kann jedoch ein wichtiges Puzzleteil beitragen, um über ganz persönliche, nahbare Anekdoten sowas wie ein Bewusstsein für Zivilcourage zu vermitteln. Was ich damit meine: Spätestens wenn ich bei Schullesungen davon erzähle, wie ein Neonazi-Kader vor unserer Haustür in Zwickau stand, oder wenn ich eine Biografie von einer Person vorlese, die rassistisch vom NSU ermordet wurde, verstehen auch die skeptischsten Zuhörer, dass Diskriminierung und Demokratiegefährdung keine Themen sind, die man einfach so weglächeln sollte. Es entsteht ein Gefühl dafür, dass alle gefragt sind, um errungene Menschenrechte weiterhin zu garantieren oder noch zu erweitern.

Sie sprechen im Buch auch von der rechten Gewalt, den Beleidigungen und Einschüchterungsversuchen, denen Sie wegen Ihres politischen Engagements ausgesetzt waren und sind, und von der Angst, die das mit sich bringt. Wie geht es Ihnen heute damit? Spüren Sie manchmal so etwas wie Ohnmacht oder Resignation oder den Wunsch, sich zurückzuziehen? Was lässt Sie trotzdem weitermachen und weiterhoffen? Wie wichtig ist es, dass wir als Gesellschaft Haltung beziehen?

Natürlich habe ich oft Angst, aber wer hat das nicht in Zeiten von Klimakrise, Rezession und Kriegen? Ich habe gemerkt, dass das Sprechen über Ängste und Gefühle kein Zeichen von Schwäche ist, sondern eines, dass uns alle miteinander verbinden und im Umkehrschluss auch stärken kann. In den hintersten Ecken Sachsens, zum Beispiel in Zittau, Bautzen, Torgau, Plauen oder Meerane, Menschen zu treffen, die auch diese Ängste in sich tragen, aber Tag für Tag zeigen, dass das nicht bedeuten muss, in Ohnmacht zu verfallen, gibt mir immer wieder neue Kraft. Noch gibt es eine Zivilgesellschaft, auch im ländlichen Raum, aber das ist alles andere als selbstverständlich, sorgen wir also dafür, dass es so bleibt – und noch mehr entsteht.

Haben Sie auch im Rahmen Ihrer Lesetour rechte Störaktionen, Einschüchterungsversuche erlebt, Hasskommentare erhalten?

Viele meiner Lesungen müssen unter Polizei- und/oder Securityschutz stattfinden, da es immer wieder zu Bedrohungen kam: In Bautzen und Freital standen junge Neonazis, teils vermummt, vor den Veranstaltungsorten, in Teicha gab es vorab Störungsankündigungen. Der Hass im Netz ist nach wie vor allgegenwärtig, ich könnte jetzt alles wiederholen, möchte diesen brutalen Neonazis aber keine weitere Plattform bieten. Auch hier ist es wichtig, zu betonen, dass das, was ich erlebe, absolut kein Einzelfall ist, aber eine Normalität, an die wir uns niemals gewöhnen sollten.

Warum gehören Klimaschutz und Politik gegen rechts zusammen?

Als wir damals eine Ortsgruppe von Fridays for Future in Zwickau gegründet haben, hätten wir nicht damit gerechnet, sogar wegen unserem Klimaaktivismus ins Visier der Neonazis zu geraten. Teils gab es sogar Gegenproteste zu unseren Klimademos. Spätestens wenn die AfD im Bundestag die Klimakrise leugnet oder neonazistische Parteien wie der »III. Weg« versuchen, den Umweltschutz als nationalsozialistischen »Heimatschutz« umzudeuten, zeigt sich, wie wichtig es ist, dass wir uns soziale und ökologische Themen nicht von Faschisten vereinnahmen lassen. Der Kampf für internationale Klimagerechtigkeit wird nur glücken ohne den Schritt zurück zu nationalistischem, rückwärtsgewandtem Gehabe.

Sie besuchen auch Schulen. Wie wichtig ist es, dass politische Bildung, Aufklärung schon früh, im Kindes- und Jugendalter beginnt, beispielsweise mit Büchern wie Ihrem? Jugendliche in einem vielleicht kritischen Alter abzuholen und sie nicht alleinzulassen mit Ihren Sorgen, Gedanken, Ängsten, ihnen Perspektiven zu geben (und das eben nicht den Rechten zu überlassen)? Kann das präventiv gegen Rechtsextremismus, rechte Gewalt wirken? Kann man Zivilcourage lernen?

Ich möchte davor warnen, die Krise der Demokratie nur als politisches Bildungsproblem zu definieren: Sparpolitik, Ungleichheit und viele andere Umstände tragen auch einen gehörigen Teil bei. Trotzdem: In Zeiten von Lehrermangel und Unterrichtsausfall ist politische Bildung oft das, was als Erstes hinten runterfällt, und das ist ohne Zweifel ein großes Problem. Oft werde ich gefragt, ab welchem Alter man mit Kindern beispielsweise über die NSU-Morde sprechen sollte. Ich glaube, dass man kaum früh genug damit anfangen kann, und lese daher häufig in Schulen ab der siebten Klasse. Spätestens auf TikTok sieht jedes Kind mit Smartphone nämlich sowieso viel Drastischeres. Es ist vor allem so wichtig, mit Jugendlichen über diese Themen ins Gespräch zu kommen, damit es ihnen leichter fällt, Diskriminierungserfahrungen im eigenen Umfeld schneller zu enttarnen und Strategien zu entwickeln, diesen zu trotzen, zu enttarnen, was das bedeutet: Nicht selten halten Schüler ein Hitler-Meme im Klassenchat für das Normalste der Welt. Und klar, ein Hitler-Meme ist kein rassistischer Mord. Doch es besteht eine Verbindung zwischen beidem und aus vielen rassistischen Memes oder Beleidigungen kann ein Mord erwachsen. Wenn Jugendliche diesen Zusammenhang verstehen, kann das präventiv wirken, auf jeden Fall.

Welche Erfahrungen haben Sie in Schulen, bei Lesungen vor Jugendlichen und Kindern gemacht? Was war die bewegendste oder schönste oder vielleicht auch überraschendste Erfahrung, die Sie gemacht haben?

Am schönsten finde ich es, wenn Kids ihre Gefühle äußern und manchmal zum ersten Mal vor vielen Leuten über ihre Erfahrungen mit Diskriminierung sprechen. Viele trauen sich das, verständlicherweise, nicht vor der ganzen Klasse und kommen im Anschluss zu mir, wodurch ich schon einige Jugendliche an Beratungsstellen für Betroffene von Diskriminierung und rechter Gewalt vermitteln konnte. Manchmal höre ich auch davon, dass sich im Anschluss an Lesungen neue Antidiskriminierungs-AGs an den Schulen gegründet haben, das freut mich natürlich besonders.

Wie ist es möglich, dass die Politik, dass Polizei, Verfassungsschutz und Justiz, die Institutionen also, die uns eigentlich schützen sollten, so lange wegsehen?

Zum Beispiel durch jahrelanges Relativieren, durch fehlende Unterstützung für diejenigen, die schon seit Jahren vor der extremen Rechten warnen, und durch mangelnde Fehlerkultur. Noch immer werden die, die das Problem, auch innerhalt der Institutionen, beim Namen nennen, zu oft weitgreifend als Nestbeschmutzer verteufelt.

Was macht Ihnen Sorge, was macht Ihnen Hoffnung, was Mut? Was wünschen Sie sich?

Mir machen vor allem die Sorgen, die sich selbst nie als neonazistisch betiteln würden, aber genauso drauf sind. Mit Hoffnung blicke ich auf die Netzwerke, die nach den Massenprotesten für Demokratie und gegen die AfD Anfang des Jahres neu entstanden sind und weiterhin, auch nach den Landtagswahlen, aktiv geblieben sind! Ich wünsche mir, dass wir’s schaffen, uns nicht nur zu fragen, wie wir den Rechtsruck abwehren und bremsen können, sondern dass wir auch darüber sprechen, wie wir eine soziale Bewegung großkriegen! Es gibt so viel Potenzial dafür, auch in Ostdeutschland, auch in Sachsen, auch in Zwickau.

Jakob Springfeld mit Issio Ehrich
Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts (Taschenbuch)
Gulliver, 192 S.

Hardcover:
Quadriga 2022, 192 S.