»Vor der Ewigkeit« nennt der Publizist Hubert Gaisbauer sein Buch über die letzten Tage und Stunden berühmter Menschen.


Elf sind es insgesamt, mit denen er sich »innig beschäftigt« hat, durch deren Lebenszeit »oft ein tröstliches Licht« bricht, in deren Leben manchmal ein »unvermutetes Licht einfällt«. Biographien haben es ihm immer schon angetan, gründete er doch vor mehr als 40 Jahren im Kultursender Ö1 die Sendung »Menschenbilder«, in der vom geglückten Leben unserer Zeitgenossen die Rede war. Es geht Gaisbauer in diesem Buch darum, »an das Sterben anderer – verehrter – Menschen zu denken« und sich so bewusst zu machen, »dass nur die sorgsame, stete Vorbereitung auf den Tod von der Furcht davor frei machen kann« – zitiert er in seinem Vorwort Thomas a Kempis. Elf berühmte Menschen also hat Gaisbauer ausgewählt: die Malerin Paula Modersohn-Becker, den Regisseur, Autor und Aktionskünstler Christoph Schlingensief, die Heilige Thérèse vom Kinde Jesu, die Schriftsteller Thomas Bernhard und Reinhold Schneider, den Maler Alexej von Jawlensky, die Philosophin Edith Stein, den Lyriker Paul Celan, die Dichterin und Zeichnerin Else Lasker-Schüler, den Dichter Novalis und die Philosophin und Mystikerin Simone Weil. Es ist schön, dass einem die Malerin Paula Modersohn-Becker in diesen Tagen schon wieder begegnet, war sie doch vor kurzem Gegenstand einer ausgezeichneten Biografie von Boris von Brauchitsch. »Mein Leben ist ein kurzes Fest« betitelt Gaisbauer seinen Essay über die bedeutendste Vertreterin des frühen Expressionismus und skizziert darin die Familie, schreibt über die Malerkolonie Worpswede, in der die Malerin ihren zukünftigen Mann Otto Modersohn und auch Rainer Maria Rilke kennengelernt hat, fragt ob ihre Art, den eigenen Weg zu gehen, »Entschlossenheit oder Egoismus« gewesen sei, weiß von ihrer Todesahnung – die Malerin ist ja nur 31 Jahre alt geworden – und behandelt intensiv ihre letzten beiden Jahre. So ist alles enthalten: das Leben, das Werk, die Gedankenwelt von Paula Modersohn-Becker und auch ihre letzten Worte: »Wie schade«. (Durch dieses »Wie schade« angeregt, kann man sich ja naiv fragen, ob denn da nicht so etwas wie ein Jenseits sein muss, in dem aufgerechnet wird. Dass es nicht schade ist, dass sie zu ihren Lebzeiten nur zwei Bilder verkauft hatte, weil sie doch zu einer der berühmtesten deutschen Malerinnen wurde?) Zurück zum Buch: Man wird unter den elf berühmten Menschen aus Gaisbauers Sammlung welche finden, die einem fremd sind oder näher, oder ganz nah. Reinhold Schneider ist mir ganz nah. Ich bin bewegt, ihn hier zu treffen, diesen Schriftsteller aus einer Zeit als es noch viele katholische Schriftsteller gab, er lebte 1903 bis 1958, den letzten Winter seines Lebens verbrachte er in Wien, »Winter in Wien« heißt das Buch, das damals entstand und posthum veröffentlicht wurde. Dieses Buch und die Monate in Wien sind auch Gegenstand der einleitenden Gedanken Gaisbauers zu dem Essay »Dankbar zu Gast gewesen«, er zitiert auch aus der Widmung, die der Schriftsteller seiner »Gefährtin« in die autobiografischen Erinnerungen »Der Balkon« schrieb: »…aus dem Griechenbeisl,/ beim letzten Zitherklang/ des in der Pestgrube glückseligen Augustin/ R.«. Das »tröstliche Licht« spricht Gaisbauer in seiner Einleitung an, hier – in der Biografie Schneiders – ist das Licht wieder zu finden, Schneider empfand sich manchmal »im Licht«, »im fließenden Licht« lag seine Aufgabe in der Zeit des Nationalsozialismus. Angeklagt war er wegen »Vorbereitung zum Hochverrat«. Nach dem Krieg fand der Pazifist nicht immer Freunde, die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels war eine späte Wiedergutmachung, seine Rede anlässlich der Preisübernahme gehört lt. Gaisbauer zu den wichtigsten Reden des 20. Jahrhunderts. Seinen Essay beschließt er mit der Bitte an Christus aus Schneiders Buch »Verhüllter Tag«: »Wir können nur bitten, dass er uns, nach unbekannter Überfahrt, erwartet am anderen Ufer – Freund und Feind, uns Alle, Alle.«

Einen Epilog setzt der Autor noch ans Ende seiner Essay-Sammlung, er lässt Mutter Teresa und Lady Di, die fünf Tage nacheinander gestorben sind, ein Gespräch vor der Himmelstür führen. Und da kommt dann noch einmal das Licht. Mutter Teresa hörte einmal die Stimme von Jesus, der zu ihr sagte: »Komm, sei du mein Licht.«

Man spürt in diesem Buch, dass sein Autor von den Menschen, über die er darin schreibt, nachhaltig geprägt wurde, man bekommt eine Ahnung von der Bindung, die er zu ihnen aufbauen konnte, so dass es wohl auch ein Bekenntnisbuch wurde, an dem die Leser/innen teilhaben können.

Hubert Gaisbauer
Vor der Ewigkeit. Letzte Tage und Stunden berühmter Menschen
Tyrolia, 264 S.