Die besten Krimis für den Sommer 2025:

Garry Disher
Desolation Hill
Ü: Peter Torberg
Unionsverlag, 352 S.

Platz 3

Auch im vierten Fall für Constable Hirschhausen im australischen Outback beweist Garry Disher, dass er beides ist: Begnadeter Krimi- und Romanautor in einem. Foto: James Darren


Am Ende des Tages steht ein Kopfschuss. »Day’s End«, so der Originaltitel von Garry Dishers neuem Roman, bei uns heißt er »Desolation Hill«, entwickelt sich unausweichlich auf seinen Showdown zu. Nicht schnurstracks wie ein Strich, sondern schon fast entschleunigt, mäandernd und sich bisweilen beinahe in den Weiten des australischen Outbacks verlierend. Hauptfigur der Geschichte ist einmal mehr Constable Hirschhausen, genannt Hirsch, der über staubige Holperpisten patrouilliert, auf winzige Käffer aufpasst, Einsiedlerhöfe im Blick haben muss und eher Sozialarbeiter, Beichtvater oder Mediator sein muss, als Polizist. Zudem herrscht noch Covid (der Roman ist 2022 in Australien erschienen), die Menschen sind gereizt. Eine Art Querdenkerbewegung und eine australische Variante des »Reichsbürgertums« mit rassistischen Allmachtsphantasien zeichnet sich ab. Die übliche Alltagskriminalität – Raubüberfälle, Diebstähle, Drogendelikte, Wilderei – macht genug Ärger, bis dann eine Leiche in einem halbverbrannten Koffer auftaucht. Bis dahin haben Hirsch und wir Leserinnen und Leser es eher mit einem Kaleidoskop als einem strukturierten Mosaik von ganz normaler Kriminalität zu tun.

Nun wissen wir aber, dass Garry Disher ein begnadeter Plottüftler ist, eine Art Uhrmachergroßmeister der internationalen Kriminalliteratur. Und so ist es auch bei diesem Roman faszinierend zu verfolgen, wie sich Schräubchen auf Schräubchen, Zahnrädchen in Zahnrädchen fügt. So ganz nebenbei, nachgerade organisch. Und so gar nicht, als ob der Roman plot driven wäre, was er aber tatsächlich auch ist. Mittels dieser ausgefuchsten Technik verschafft sich Disher jede Menge Raum und Zeit, seine Verbrechen und Hirschs Aufklärungsarbeit fest zu verankern. Kriminalität und Verbrechen erscheinen bei Disher nie als künstliche Setzungen, die nur zum Zwecke der Aufklärung oder Lösung eines Falles inszeniert werden, obwohl das im Grunde jede fiktionale Literatur tut. Disher ist deswegen ein großer Schriftsteller, weil er dieses Prinzip genial überschreibt. Die kleinteiligen Porträts seiner Figuren, die noch bei den schlimmsten Gestalten nie denunziatorisch sind, seine Landschaftsmalerei einer kargen, unwirtlichen Gegend, deren spröde Schönheit dennoch immer durchscheint, und sein gnadenloser, aber nie unempathischer Blick auf die soziologischen und politischen Verhältnisse, lassen oft vergessen, dass wir es mit einem Kriminalroman zu tun haben. Das hat auch mit der Figur Hirschhausen zu tun, der schlecht in das Schema »Held« passt, wie er auch nicht als »Anti-Held« durchgehen kann. Hirschhausen ist ein Mensch, der sich manchmal irrt, hin und wieder unsicher ist, Dinge nicht sofort sieht, aber all das reflektiert, und dadurch letztendlich richtig handelt. Angesichts der Einsamkeit seines Postens und der ihn umgebenden Landschaft neigt er zur Melancholie, aber es gelingt ihm, ein funktionierendes Beziehungsleben zu führen, auch wenn er das wiederum kritisch beäugt. So entsteht Komplexität. Somit ist »Desolation Hill« ein brillantes Beispiel dafür, was Kriminalliteratur sein kann, wenn sie seriös verfährt; das heißt, wenn sie plot driven- und character driven-Anteile synchronisieren kann. Der Roman macht Schubladen obsolet, weil sich die Frage nach »Genre«, »mehr als Genre« oder »kein Genre mehr« von selbst beantwortet: »Desolation Hill« ist ein grandioser Roman, weil er ein grandioser Kriminalroman ist. Oder ein grandioser Kriminalroman, weil er ein grandioser Roman ist. Und so soll es schließlich sein. 


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