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Eva Ries

Enter the Wu-Tang!

von Barbara Kadletz 

16. März 2022

Eine persönliche Biografie und ein Stück Hip-Hop Geschichte.


Was macht eine junge, weiße Mannheimerin in den beginnenden 1990er Jahren in New York? Na, Managerin des Wu Tang Clans, einer der einflussreichsten HipHop-Bands der Rap-Geschichte überhaupt werden, was sonst? In „Wu-Tang is Forever“ erzählt die deutsche Musikagentin und gelernte Fotografin Eva Ries nicht nur ihre persönliche Geschichte, sondern liefert gleichzeitig auch ein vielschichtiges Porträt dieses außergewöhnlichen Rap-Acts. Aber nicht nur Wu-Tang- und Hiphop-Fans werden in diesem Buch auf ihre Kosten kommen. Denn bevor ihre Reise mit dem Clan begann, begleitete Eva Ries auch die noch unbekannten Nirvana und die Stadionrocker Guns N’ Roses als Managerin auf ihren Touren durch Europa. Sie erzählt vom Musikbusiness der beginnenden 1990er Jahre bis heute, von Rassismus und Misogynie der Branche und wie sie es gegen alle Widerstände schaffte, eine unbekannte neunköpfige Rapband aus Staten Island, die mit ihren roughen, aggressiven Lyrics schockierte, im unbedarften Hip-Hop Entwicklungsgebiet Europa zu etablieren.

„Wu-Tang is forever“ ist ein Buch für alle, die süffige und anekdotenreiche Bandbiografien mit viel Bildmaterial zu schätzen wissen. Wer auf der Suche nach elaborierter Popkultur-Schlaumeierei à la Spex ist, sollte lieber die Finger davon lassen, aber alle anderen werden von dieser direkten und ungekünstelten Zeitreise durch ein Stück Musikgeschichte gut unterhalten werden. „From the slums of Shaolin, Wu-Tang Clan strikes again“, auch noch 2022.

Eva Ries
Wu-Tang is forever
Benevento, 240 S.

Wu-Tang Clan 2013 in Stuttgart, Foto: Ivo Klujce.

Autorin Eva Ries im Interview

Sie schreiben, dass Sie privat und beruflich eigentlich aus der Rockbranche kamen. Sie haben vor Ihrer Zeit mit dem Wu-Tang Clan mit Bands wie Sonic Youth oder Nirvana zusammengearbeitet. Wie war der Wechsel von Rock zu Hip-Hop?

Es war nicht einfach, aber ich habe es pragmatisch betrachtet. Ich wollte es auch hier schaffen, aus den Musikern das Beste herauszuholen. Aber ich war auch von Anfang an sehr ehrlich zu der Band und habe ihnen offen gesagt, dass ich hierzu gekommen bin wie die Jungfrau zum Kinde, dass ich keine Ahnung von Hip-Hop habe. Sie mussten mir erklären, worum es in den Texten geht, wie sie sich ausdrücken und wie Hip-Hop funktioniert. Ich denke, das war der Schlüssel zum Erfolg: dass ich einfach ehrlich war und mich von Grund auf in das neue Feld eingearbeitet habe.

Der Wu-Tang Clan produzierte eine nie dagewesene Form des Hip-Hop und lebte eine neue Art von Band-Konstellation. War Europa bereit für diese neun Schwarzen Gangsta-Rapper aus New York?

Nein. Das war ein ähnliches Phänomen wie bei Nirvana zu Beginn. Die Band brachte einen völlig neuen Sound in die Welt, der nicht zu den etablierten Hörgewohnheiten passte. Die Musik des Wu-Tang Clan war sehr minimalistisch, schwer zu verstehen und eine extreme Form des Raps. Viele konnten sich auch mit den Inhalten nicht identifizieren. Diejenigen, die die Texte verbal verstanden, verstanden aber nicht inhaltlich, worüber die Jungs rappten. Der Song „C.R.E.A.M.“, einer der bekanntesten Lieder des ersten Albums, ist zum Beispiel oft misinterpretiert worden: von Kapitalismuskritik bis Neoliberalismus. Und für mich bedeutete das große Überzeugungsarbeit in der Promotion: Die Leute waren in den Jahren 1993 und 1994 in keinem der internationalen Märkte so weit, dass sie die Band mit offenen Armen empfangen hätten.

Die Hip-Hop-Branche war in den 1990ern sehr männlich geprägt, und ist es auch heute noch. Wie war es für Sie damals als junge Frau im Männerbusiness Hip-Hop?

Die Männer blieben immer eher unter sich, in ihrer sogenannten „Brotherhood“. Das waren richtige Schwärme von Männern, die immer überall zusammen hin gegangen sind. Deswegen habe ich mich manchmal ein bisschen als Außenseiterin gefühlt, auch wenn ich immer dabei war. Das Positive war, dass ich mich immer gut beschützt gefühlt habe. Aber in der Rolle als meistens einzige Frau war ich schon ein wenig einsam.

Der Wu-Tang Clan ist eine sehr auffällige Band, und Sie schreiben, dass das Verhalten der Members oft sehr herausfordernd war. Gab es einen Moment, in dem Sie einmal die Nerven verloren haben?

Für Promo-Zwecke zur ersten Tour bin ich mit der Band nach Hamburg gekommen. In den Räumen des Plattenlabels BMG Ariola Hamburg sollte die Band mehrere Presse-Interviews geben und hat dort den frisch renovierten Konferenzraum zerstört: Während sie ein Interview gaben und ich mit den restlichen Journalisten vor der Tür wartete, hörten wir einen riesigen Knall aus dem Konferenzraum. Ich riss natürlich sofort die Tür auf. Die Wände im Konferenzraum waren übersät mit Löchern und Abdrücken von Stuhlbeinen, auf dem teuren Teppich waren Zigaretten ausgedrückt worden. Man kann sich vorstellen, wie ich mich dabei gefühlt habe – nachdem ich BMG Ariola Hamburg beschworen hatte, überhaupt das Album der Band zu veröffentlichen und sie zur Promo nach Deutschland zu holen. Und dann das!

Trotz aller Herausforderungen sind Sie der Band immer treu geblieben. Warum?

Denn nicht alles war Drama. Es gab zwar immer Drama und es war stets Chaos dabei, aber in all diesen schwierigen Situationen hatten wir auch immer etwas zu lachen. Das darf man nicht vergessen. Ich musste zwar viel Krisenmanagement betreiben, aber trotzdem konnte ich oft herzhaft lachen – erst recht im Nachhinein, wenn dann der Stress abgefallen ist.

(Interview mit freundlicher Genehmigung von benevento publishing)

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