Warum die Geschichte der Klitoris alle betrifft.


Als Louisa Lorenz selbst das erste Mal eine Klitoris sieht und kaum über ihre Verwunderung hinwegkommt, wie diese wirklich aussieht, ist ihr erster Gedanke: „Alle wissen das bestimmt, nur ich nicht.“ Dass das nicht wahr ist, erkennt die Kulturwissenschaftlerin und Geschlechterforscherin nach und nach im Laufe der Recherche für eine Uni-Arbeit über die Klitoris. Denn während männliche Geschlechtsorgane an jede zweite Hausmauer gesprayt sind, würden die meisten Menschen eine Klitoris nicht erkennen, wenn sie sie sehen.

Lorenz beginnt „Klitorisworkshops“ zu geben, wertvolle Aufklärungsarbeit zu leisten (die keineswegs nur an Männer gerichtet ist, der Wissensrückstand betrifft durchaus beide Geschlechter) und schreibt schließlich auf Basis ihres gesammelten, breitgefächerten Wissens das vorliegende Buch: „Clit. Die Geschichte der Klitoris“. Darin bereitet sie mit Sorgfalt ihr Wissen für ihre Leser/innen auf, stellt mit großem Engagement das Thema (weibliche) Sexualität ins richtige Licht und räumt mit gängigen Mythen auf.

Überraschen könnte Sie bei der Lektüre etwa die Tatsache, dass Klitoris und Penis im direkten Vergleich in etwa dieselbe Größe haben – jeweils im Verhältnis zur Körpergröße natürlich –, immerhin bestehen sie anatomisch gesehen ursprünglich aus demselben Gewebe. Sichtbar ist allein die sogenannte Klitorisperle, ein Begriff, der der Autorin besonders gut gefällt, und der aus der Terminologie heraussticht, sind doch viele andere Begrifflichkeiten für die weiblichen Geschlechtsteile wortwörtlich mit „Scham“ besetzt. (Mithu Sanyal und Gunda Windmüller setzten sich im Übrigen erfolgreich dafür ein, dass der Terminus „Vulvalippen“ im Duden eingetragen wird.) Ein weiterer, äußerst populärer Mythos ist der vaginale Orgasmus: Ein Mythos, der auf Dauer beide Geschlechter frustrieren wird, so Lorenz. Auch dass die Klitoris angeblich reicher an Nervenenden als der Penis sei, stimmt nicht. Denn die Forschungen, auf denen diese Untersuchungsergebnisse basierten, wurden an Rindern durchgeführt.

Lorenz zeigt passioniert und eloquent und auf, wie unfassbar groß der Aufholbedarf der Wissenschaft auf diesem Themengebiet ist, welche abstrusen Theorien über die Klitoris im Laufe der Geschichte umherschwirrten – und teilweise immer noch schwirren – und deckt den noch größeren Skandal auf, als es das bloße Unwissen über weibliche Geschlechtsorgane je sein kann: Dass dieses Wissen über die Jahrhunderte hinweg nämlich durchaus bestand, jedoch hartnäckiger gesellschaftlicher Ignoranz zum Opfer fiel.

Louisa Lorenz
Clit. Die Geschichte der Klitoris
Heyne, 304 S.