Mutter und Tochter stehen einander sprachlos gegenüber – und müssen plötzlich verhandeln.


Sprachlosigkeit und Schweigen prägen die Beziehung zweier Frauen: Die Stimme einer Mutter, die ihre Tochter schon lange nicht mehr versteht, ist der Ausgangspunkt in Kim Hye-Jins Roman „Die Tochter“. Eine „dicke, riesige, unsichtbare Mauer“ – und einen Generationenkonflikt – sieht die namenlose Protagonistin zwischen sich und ihrer Tochter. Denn diese ist nicht nur lesbisch und führt ihr ganz eigenes Leben als prekär angestellte Universitätsdozentin. Sie ist auch noch politisch in der queeren Szene aktiv und prügelt sich schon mal auf Demonstrationen.

Weder gehört noch gesehen fühlt sich unterdessen die verwitwete Mutter, eine Pflegerin Mitte 70, deren größtes Ziel es ist, nur ja nicht aufzufallen. Einen Mann soll ihre Tochter finden, Kinder soll sie bekommen und ihre gute Ausbildung nutzen. Gerne ignoriert sie bei allem Wohlwollen die Lebensrealität und die Bedürfnisse ihres Kindes. Als die Tochter wegen Geldproblemen gemeinsam mit ihrer langjährigen Partnerin zu ihrer Mutter zieht, prallen Welten aufeinander.

Doch in der Arbeit findet sich die Mutter plötzlich selbst mit konservativen, starren Regeln konfrontiert. Eine Geschichte über das Verhandeln von sozialen Konventionen, die Frage, wer oder was Familie eigentlich ist und vor allem den Weg einer Politisierung aus einer Perspektive, die so sonst selten zu Wort kommt. Hye-Jin lässt ihre Frauenfiguren Tradition und Erwartungen auf sensible Weise und voller Empathie verhandeln. Am Ende braucht es Zusammenschluss, um etwas zu verändern. Doch dafür muss man erst über seinen eigenen Schatten springen.

Kim Hye-Jin
Die Tochter
Hanser Berlin, 176 S.