In epischem Sauseschritt durchquert Emma Braslavsky Provinzen deutschsprachiger Science Fiction.


Oskar (Lafontaine) gibt der androgyn-anmutigen Ich-Erzählerin, das Genus je nach Bedarf zu Emma oder Andreas Erdling wechselnd, den Auftrag, nach seiner angeblich von Aliens entführten Ehefrau Sahra Wagenknecht zu fahnden. Um ihr auf die Spur zu kommen, unternimmt die Pseudo-Detektivin mit Hilfe von Angelika, ihrer ominös-konsultativen Souffleuse, und dem durchgeknallten (realen) Autor Hanns Heinz Ewers einen turbulenten Lektüre-Trip, genauer: eine Revue in Vehikeln literarisch-futuristischer Modelle vom fin de siècle bis zum Untergang der Weimarer Republik. Dabei bleibt Sahra als Motiv-Motor lediglich ein Spuk in einzelnen Szenen, die durch magische Wurmlöcher, Gänge und Türen zu fiktiven Topografien deutscher Autoren führen, wie Kurd Lasswitz und seinen Martianern »Auf zwei Planeten« sowie Begegnungen mit vielen fast vergessenen Klassikern, etwa »Brücken über dem Weltenraum« von Ludwig Anton. Jede Station dieser kognitiven Odyssee verändert die Protagonistin so, dass sie sagen kann: »Langsam verstand ich, dass mein chronologisches Bewusstsein mir nur den Weg zu anderen Wahrheiten, Weisheiten und Welten verstellte.« Als »Erdling«, oder im SF-Vokabular: Terraner /-in, hat sie schließlich gelernt, dass rationales Kalkül zur Beurteilung deutscher Mentalität im 20. Jahrhundert nicht ausreicht, sondern um spirituell-intuitive Dimensionen ergänzt werden muss. Im nationalen Koordinatensystem sind diese grotesk gestalteten Positionenpeilungen zugleich eine diskutable Zeitdiagnose und Rehabilitation einst spektakulärer Imaginationen der Zukunft.

Emma Braslavsky
Erdling
Suhrkamp, ca. 430 S.