Existentielle Konstanten.
Unaufdringlich wird die Aufmerksamkeit für den Prosazyklus »Mein Kampf« geschürt. Denn der norwegische Romancier Karl Ove Knausgård (Foto: Thomas Wågström) hat in seinem autobiografischen Opus magnum Eigenschaften und Fähigkeiten dargestellt, die allen Menschen zugehörig sind. So werden er und seine Familie zum Paradigma fürs 21. Jahrhundert. Indem sie sich durch intensiv beschriebene Augenblicke erproben, entsteht aus den sechs Bänden »Sterben«, »Lieben«, »Spielen«, »Leben«, »Träumen« und »Kämpfen« ein Panorama existenzieller Konstanten. Dabei schwingen Erlebnisse des privaten Ego zu öffentlicher Persönlichkeit im sozialen Kontext und zurück, grübelnde Introspektionen inklusive. Realitätsnaher und manchmal auch stark emotionaler Stil artikuliert krasse Kontraste zwischen provinzieller und urbaner Zivilgesellschaft. Pendeln zwischen alltäglichen Familienpflichten und notwendiger Schreibdisziplin gestaltet narrativ eine Haltung aus vertrauter Nähe und zugleich verfremdender Distanz zu sich selbst. Um etwa Reifegrade seiner Persönlichkeit zu kennzeichnen, würde Karl Ove Knausgård am liebsten je verschiedene Vornamen verwenden. Skeptisch meint er, dass wir Bilder von der Zeit (machen), aber nicht von den Menschen in ihr, sie lassen sich nicht einfangen. Diese Aufgabe sei für den Schriftsteller reserviert, der sich in einem unwiderstehlichen rhapsodischen Diskurs zeigt. Man fühlt sich als Kompagnon, ja Komplize des literarischen Subjekts. Wie auf einem Floß befindlich treibt man gern lesend auf seinem Strom der Erinnerungen, die auch die eigenen sein könnten. Durch die Lektüre dieser Epos-Monumente ist deshalb zu lernen, Lebenserfahrungen kritisch zu reflektieren.
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Karl Ove Knausgård
Sterben
Ü: Paul Berf
Luchterhand 2011, 576 S.