Mithu Sanyals Roman »Identitti« reißt Mauern ein, ­statt welche aufzubauen.


Debatten über die sogenannte »Identitätspolitik« prägen seit einigen Jahren Teile des öffentlichen Diskurses. Gewöhnlich werden die Debatten sehr harsch und unversöhnlich geführt, man kämpft mit harten Bandagen, Erkenntnisgewinn oft gleich null. Wer aber »Identitti« von Mithu Sanyal (Foto: Guido Schiefer) liest, wird klüger daraus hervorgehen, weil der Roman zu keinem Zeitpunkt apodiktisch ist. Vor dem Hintergrund eines Skandals – eine Professorin für Postcolonial Studies und Lichtgestalt aller Debatten über Identität ist, anders als behauptet, keine Person of Color – stellt Sanyal ganz unbefangen Fragen über Identität, ihre Konstruktion, über Zuschreibungen und Aneignungen. Was trocken klingt, ist tatsächlich an vielen Stellen unerwartet humorvoll, klug und mithin niemals frei von Widersprüchen und Ambivalenzen. »Identitti« gehört zum Kanon, weil es zeitgemäß ist, facettenreich und nicht nur Abbild unserer gegenwärtigen Debatten, sondern auch der Art, wie wir sie führen. Die Fragen des Romans selbst sind an keine Mode gebunden, es sind zutiefst menschliche und existenzielle Fragen. Wer bin ich? Woher komme ich? Was bin ich und wo stehe ich in Relation zu anderen? Welche Machtverhältnisse prägen unser Zusammenleben? Mithu Sanyal gelingt es, all diese Fragen in einen rasanten, feministischen Roman zu verpacken, der auch jene für das Thema sensibilisieren und einnehmen kann, die gewöhnlich Sicherheitsabstand halten. »Identitti« ist ein Roman, der Mauern einreißt, statt welche aufzubauen. Solche Romane braucht es.

Mithu Sanyal
Identitti
Hanser 2021, 432 S.