Eine Lyrikanthologie von Usama Al Shahmani als Verlagsgeschichte und Querschnitt der neueren schweizerischen Literaturhistorie. Foto: Ayse Yavas.

Aus: Buchkultur 218, Februar 2025


Schöne Idee: Der Verlag bittet zu seinem 50-jährigen Bestehen einen Hausautor darum, eine Anthologie mit Gedichten aus meist zweisprachigen Bänden zusammenzustellen (die Schweiz hat vier offizielle Landessprachen), die in ebendiesem Verlag erschienen sind. Gemeint sind der Limmat Verlag und sein irakisch-schweizerischer Autor Usama Al Shahmani, der zuletzt 2022 von sich reden machte, als er bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt las und bald darauf seinen vielbeachteten Roman »Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt« veröffentlichte – über eine ihm ähnelnde Figur, die aus dem Irak in die Schweiz flüchtet.

Das Ergebnis ist eine multilinguale lyrische Verlagsgeschichte als Querschnitt der neueren schweizerischen Literaturhistorie, der Shahmani seine Intellektuellenbiografie als Student, Autor und Übersetzer aus dem Arabischen einschreibt. So diskutiert er in seinem Vorwort auch Fragen der Lyrikübersetzung. Wenn die Sprache des Originals und die der Übertragung weder in der lautlichen Struktur noch in der Wortstruktur, Satzstruktur, Bedeutung oder Verwendung miteinander übereinstimmen, dann ist die Übertragung ein schöpferischer Akt und verleiht dem Gedicht eine neue Persönlichkeit. Unter Umständen kann hier manifest werden, was im Original nur latent vorhanden ist. Man hätte gern mehr darüber erfahren, warum die arabische Kultur die Persönlichkeitsveränderung des Gedichts in der Übersetzung mit Vorsicht und also einer gewissen Skepsis betrachtet.

Wir erfahren von Shahmani als Student der Literaturwissenschaft im südirakischen Basra während der Diktatur. Die europäische und amerikanische Lyrik, die damals in seinen Kreisen gelesen wurde, war eine Kompensation der Diktatur unter Saddam Hussein und einer unfrei gewordenen irakischen Lyrik, die nur in kopierter oder per Hand geschriebener Form verbreitet wurde. Wer sie derart vervielfältigte und las und sich also für eine »Form des Widerstands« entschied, riskierte Folter und Gefängnis – wie jener Studienfreund, der Shahmani eines der von ihm selbst gebundenen Exemplare schenkte: »Es zu behalten, bedeutete, eine Bombe im eigenen Haus aufzubewahren.« Shahmani las es zwei Mal noch in der Nacht und retournierte es schon am nächsten Tag.

Es war die Zeit des Golfkrieges von 1990 und 1991, als die irakische Lyrik zwischen Systemhörigkeit und Schweigen als deren Pendant pendelte. Shahmani fand einen Job in einer Reparaturwerkstatt für Gasherde, deren Besitzer der Meinung war, dass die Sprache vor dem Sprechen zu bewahren sei, denn sie werde von ihm verdorben. Das klingt nach, wenn Shahmani den Gipfel der Poesiekunst in der Reduktion der Wörterzahl auf das Nötigste erkennt, auch und gerade wenn es um solche universellen Themen geht wie Heimat, Fremde, Tod, Geburt, Abschied und Anfang.

Sprachverknappung wird man zum Beispiel bei Aline Valangin (1889–1986) finden, die mit einem Gedicht des Aufbegehrens vorgestellt wird: »Gestern Nachtigallschlag/ im Gehölz./ Heute entfliegt sie./ Aus ist der Monat/ der Rosen. Marter entspringt/ dem Wachsen. Das Feuer/ sengt den zärtlichen/ Boden, den es hasst/ ohne Mitleid, und lässt/ einstürzen das glänzende/ Dach des Königs./ Gut so, ja besser.« Oder bei Charles Racine (1927–1995), für den die Poesie nicht weniger als das Fundament der Zivilisation bildet: »Das Gedicht ist die Wandlung/ des Brots.// Das Gedicht ähnelt dem Teig/ aus dem es gewalkt wird.// Das Gedicht wird Natur sein/ tauglich zum Herrschen und/ Nähren.// Sollte das Gedicht sterben/ es zöge den Fall// des Menschen nach sich.«

»Ein Seidenfaden zu den Träumen« ist eine berührende wie persönliche Lyrikanthologie, die nicht nur in der Schweiz gelesen werden sollte.

Usama Al Shahmani (Hg.)
Ein Seidenfaden zu den Träumen. Gedichte aus der Schweiz
Limmat, 144 S.