Die besten Krimis für den Sommer 2024:

Danya Kukafka
Notizen zu einer Hinrichtung

Ü: Andrea O’Brien
Blumenbar, 348 S.

Platz 2

Das kann keine Entschuldigung für einen Serienkiller sein, hinterfragt aber das amerikanische Justizsystem. Foto: Devon Munoz.


Ansel Packer, genannt »der Mädchenkiller«, sitzt als Häftling Nr. 999631 in der Todeszelle. 12 Stunden bleiben ihm noch. Irgendwie findet er die Situation – oder sich? – faszinierend. Er ist davon überzeugt, dass er der Hinrichtung entkommen wird, die Wärterin Shawna hat ihm eine Nachricht in die Zelle geschoben: »Ich hab’s getan.« Im Gefängnis hat er seine »Theorie« gekritzelt, eine wirre Botschaft an die Welt, kein Manifest, denn »Manifeste sind was für Wahnsinnige… bevor sie sinnlose Attentate verüben.« Ansel hingegen meint, einer »ureigensten menschlichen Wahrheit« nahe zu sein. Doch Danya Kukafka zählt unerbittlich die Zeit herunter – acht Stunden, drei Stunden 54 Minuten, eine Stunde – um ihn zu brechen…

Kukafka hat Creative Writing studiert, unter anderem beim zweimaligen Pulitzer-Preisträger Colson Whitehead. Schon in ihrem erfolgreichen Erstling »Girl in Snow« beschäftigte sie sich mit komplexen Charakteren und den Grenzen zwischen Liebe und Obsession. Der Roman geht zwar noch in Richtung »konventioneller« Thriller, aber man trifft bereits auf einen Protagonisten, mit dem man sich nicht identifizieren kann oder will.

Ansel Packer als dreifacher Mörder treibt das in »Notizen zu einer Hinrichtung« auf die Spitze – eine gequälte, auf tragische Weise vielleicht begabte Seele, die von dem Bösen in sich sprechen will. Danya Kukafka hat einen faszinierenden Weg gefunden, das Zuhören zu erzwingen: Sie lässt Ansel in der zweiten Person erzählen, er spricht den Leser direkt an und will ihn so, wie seine Opfer, manipulieren: »Als du an deinem letzten Lebenstag die Augen aufschlägst…« Kukafka gibt tiefe Einblicke in die Abgründe von Ansels (Nicht-)Gefühlsleben, auch in seinen Kopf, in dem das Heulen des verhungernden Babybruders nicht verstummen will. Dabei spielt sie niemals mit Faszination oder gar Mitgefühl für einen Serienkiller (im Gegensatz zu manchen Fernsehserien). Sie schürt aber sehr wohl das Unbehagen über die Ungeheuerlichkeit eines Rechtssystems, das den Tod eines Menschen fordert und durchführt.

Danya Kukafka bewegt sich auf mehreren Erzähl- bzw. Zeitebenen: Einerseits vergehen quälend langsam die Stunden vor der geplanten Exekution. Dazwischengeschoben, ausführlicher, geht sie in die Vergangenheit zurück. Die gehört hauptsächlich drei Frauen, die schicksalshaft mit Ansel bzw. seinen Taten verbunden sind: Seiner sehr jungen Mutter Lavender, die aus dem Gefängnis der lebensbedrohlichen Ehe mit dem Drecksack Johnny ausbricht und dabei ihre Kinder zurücklässt; Saffron, Detective bei der New York State Police, der Ansel im Kinderheim begegnet ist, wo sich zum ersten Mal die unerklärliche Wirkung auf Frauen und sein Hang zur Grausamkeit gezeigt haben; Hazel, die Zwillingsschwester von Ansels Ehefrau Jenny und das schwierige Verhältnis der Mädchen zueinander. Auch die Frauen müssen Traumata bewältigen und haben Fehler gemacht. Vielleicht will die Autorin mit den Pflanzennamen, die sie ihnen gegeben hat – Lavender, Saffron, Hazel – eine gewisse »natürliche Unschuld« andeuten? Gekonnt führt sie schließlich die Wege von Ansel und seiner Verfolgerin Saffy zusammen.

»Notizen zu einer Hinrichtung« wurde mit dem Edgar Allan Poe Award, dem bedeutendsten Preis für kriminalliterarische Werke in den USA, geehrt und wird als Amazon Prime-Serie verfilmt werden. Es bleibt zu hoffen, dass dabei die unglaublich starken Bilder, vor allem in den Abschnitten um die junge Lavender, nicht banalisiert werden und so ihre Eindringlichkeit verlieren.


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