Die Bücherflut im Gefolge von Corona liefert bisher nur wenig fundamentale Antworten, aber umso mehr Bedenkenswertes.


Die Bücher zum Thema Corona ergeben bereits einen imposanten Stapel. Das ist ein klarer Beleg dafür, dass die oft totgesagte Buchbranche sehr vital ist: Sobald ein Bedarf vorhanden ist, wird dieser umgehend mit einem passenden Angebot bedient. Die ersten Veröffentlichungen warteten gleich nach der Wiedereröffnung der Buchhandlungen auf potenzielle Leser/innen – die allerdings nur sporadisch den Weg in eine Buchhandlung fanden.

In dieser Bücherflut findet sich für jeden Geschmack, für jedes Interesse etwas. Wobei festzuhalten ist: Medizinische und ökonomische Veröffentlichungen sollten noch mit Vorsicht genossen werden – denn fundiertes Wissen über das Virus, seine Ausbreitung und Folgen ist erst im Entstehen. Von umso größerem Wert sind Veröffentlichungen zu den gesellschaftlichen und politischen Folgen der Pandemie. Natürlich ist auch in diesem Bereich noch vieles Kaffeesudleserei, und manches, das am Höhepunkt der ersten Corona-Welle geschrieben wurde, liest sich schon heute seltsam veraltet. Doch so manche Feststellungen und Fragen sind von zeitloser Relevanz. Das betrifft etwa die Bemerkung der Wiener Psychotherapeutin Martina Leibovici-Mühlberger, dass unsere Zivilisation »nur im Normalbetrieb« funktioniere: In »Startklar« argumentiert sie, dass uns Covid-19 dazu zwinge, den Wert des sozialen Lebens anzuerkennen und »neue Werte« zu entwickeln. Ähnlich drückt sich der Zukunftsforscher Matthias Horx aus: In »Die Zukunft nach Corona« spricht er von einem »Neuen Normal« und davon, dass uns die Krise zu einem »transformativen Leben« veranlasse.

Etwas konkreter wird der Meisteranalytiker Ivan Krastev, wenn er in »Ist heute schon morgen?« über die Zukunft Europas nachdenkt: »Das große Paradoxon bei Covid-19 ist, dass die Schließung der Grenzen zwischen EU-Staaten und die Isolation der Menschen in ihren Wohnungen uns kosmopolitischer denn je gemacht hat«, schreibt er. Eine Feststellung, die die Politologin Ulrike Guérot in »Nichts wird so bleiben, wie es war?« teilt: Sie plädiert für ein »Post-Corona-Europa – ein in allen Aspekten des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens gemeinsam geteilter Raum aller europäischen Bürger*innen«. Wobei die Industrie in ihrem Handeln und die Menschen in ihren Wünschen bereits »viel weiter sind als die (meisten) Politiker*innen«.

Interessante Gedanken – die freilich noch weitergedacht werden müssen, wenn die Welt nach Corona eine Bessere sein soll.

Aus: Buchkultur 192, Oktober 2020.

Martina Leibovici-Mühlberger, „Startklar. Aufbruch in die Welt nach COVID-19“ (edition a), 150 S.
Matthias Horx, „Die Zukunft nach Corona“ (Econ), 139 S.
Ivan Krastev, „Ist heute schon morgen? Wie die Pandemie Europa verändert“ (Ullstein), 90 S.
Ulrike Guérot, „Nichts wird so bleiben, wie e swar? Europa nach der Krise. Eine Zeitreise.“ (Molden), 120 S.