Eine junge Frau, die ihre ganze Familie auslöscht: Mit kreativen Morden hebt »How to kill your family« das Unterhaltsamkeitslevel auf die nächste Stufe.
Ihr Sachbuch »Jog on. How Running Saved My Life« (auf Deutsch »Läuft bei mir (nicht). Wie du deiner Depression auf die Nerven gehst«) war nur der erste Überraschungserfolg von Bella Mackie, auch das zweite Buch der Journalistin und mittlerweile nicht mehr ganz so Neo-Autorin– sie stieg souverän von Non-Fiction auf Fiction um – stürmte die britischen Bestsellerlisten für mehrere Wochen lang. Was diese beiden Bücher verbindet: Auch in »How to kill your family« joggt die Protagonistin Grace wie wild, um ihren Alltag hinter sich zu lassen, viel länger ist die Liste der Gemeinsamkeiten aber auch schon nicht mehr. Dafür, dass Mackie in einem Interview bescheiden bemerkte, sie wäre absolut plan- und ahnungslos ins Krimischreiben gestolpert, hat sie jetzt mit ihrem vor bitterbösem Humor strotzenden Debüt einen ordentlichen Knüller gelandet.
Wir lernen Grace zu einem Zeitpunkt kennen, an dem sie vermeintlich ganz unten angekommen ist: Sie sitzt im Londoner Limehouse-Gefängnis, ihre Zimmerkollegin macht ihr das Leben schwer, der Gefängnisalltag ödet sie an und – nicht zu vergessen – sie wurde für einen Mord, den sie nicht begangen hat, zu sechzehn Jahren Haft verurteilt. Was hingegen durchaus ihre Karmapunkte beeinträchtigen könnte: Sie hat sechs Menschen ihrer Familie ermordet, wie wohl unschwer dem Titel des Buches zu entnehmen ist, und ist auch noch mächtig stolz darauf. Also tut sie, was man eben tut, wenn man seine großen Taten nicht einfach so in die Welt hinausposaunen kann: Sie kritzelt ihre effektheischende Geschichte auf sorgfältig versteckte Zettelchen, die zu lesen wir nun auf den folgenden über vierhundert Seiten in den Genuss kommen. Nach und nach – und in perfekter dramaturgischer Spannungsmanier – kristallisiert sich heraus, dass sie ihren Hass und ihre Wut seit ihren Teenagerjahren kultivierte und seit sie herausfand, dass der neureiche Geschäftsmann Simon Artemis ihr Vater ist. Nachdem ihre Mutter an Krebs starb und Simon seine uneheliche Tochter, anstatt sie zu sich zu nehmen, weiterhin geflissentlich ignorierte, fasst Grace den ultimativen Plan: Rache und die Auslöschung des Familienclans der Artemis. (Dieses Motiv sei ihr übrigens als begeisterte Krimileserin am liebsten, verrät Bella Mackie: Morde aus Rache seien die nachvollziehbarsten.) Von diesem Gefühl getrieben lauert Grace in der Folge nun jedem einzelnen Familienmitglied väterlicherseits auf – eine durchwegs unterhaltsame Angelegenheit, in der die Autorin keinen Zweifel an ihrer Abneigung gegen Doppelmoral lässt. Angefangen bei den Großeltern, die, ohne ein Wort Spanisch zu sprechen, in einer abgeschotteten Villen-Anlage in Marbella residieren (»Alte Leute, die nichts tun, außer ihre Rente zu verprassen und in ihrem Lieblingssessel zu verblöden, sind meiner Meinung nach nicht unbedingt das beste Aushängeschild für die Menschheit.«) über Öko-Fuzzis, die bei der ersten Windbö wieder in Mamas warmen Schoß klettern, über Influencer/innen, die ihr Nichtstun zum Beruf erhoben haben, Menspreader bis hin zu wohltätigen Superreichen, die ihr Gewissen beruhigen, aber nie auch nur einen Funken Ahnung von Klassenbewusstsein besitzen werden: Bella Mackie wartet mit höchst kreativen Morden auf, es wimmelt nur so vor herrlich überzeichneten Charakteren, die ganze Geschichte ist bis zur letzten Szene akkurat gesponnen und behält sich einen perfekten Twist vor. Einzig ob das feministische Anliegen der Autorin, nämlich die Hervorhebung der weiblichen Wut, in dieser eindeutig psychopathischen Hauptfigur so gut aufgehoben ist, ist ab und zu etwas fragwürdig – himmelsschreiend komische Sozialkritik darf sie sich jedoch allemal auf ihre Fahnen heften.
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Bella Mackie
How to kill your family
Ü: Stephan Glietsch
Heyne Hardcore, 432 S.