Anke Kuhl traut sich was. In ihren Büchern stellt sie sich gegen gesellschaftliche Konventionen und greift tabuisierte Themen auf kreative Weise auf. Sie spielt mit kindlicher Unbedarftheit, lässt den Schalk frech aus runden Kulleraugen blitzen und die Pointe schließlich in reinster Unschuld daherkommen. Im Interview spricht die Illustratorin über ihr neues Buch und warum sie bereits im Vorfeld mit Kritik rechnet. Foto: privat.
Buchkultur: Zuerst möchte ich gerne von Ihnen wissen, wo und wie Sie aufgewachsen sind. Wo sind Sie zur Schule gegangen, wo haben Sie studiert und wie war ihr bisheriger Werdegang?
Ich bin mit meiner zwei Jahre älteren Schwester Eva in der hessischen Kleinstadt Dietzenbach aufgewachsen. Meine Eltern Helwig und Helga, Lehrer und Lehrerin, hatten dort ein kleines Häuschen mit großem Garten. Als ich sechs Jahre alt war, wurde angebaut und meine Großeltern zogen dazu. Wie unser Leben damals so war, lässt sich ganz gut in meinem autobiografischen Kindheitscomic »Manno!« anschauen.
Zur Grundschule im Ort konnte ich laufen, später habe ich das Gymnasium in Heusenstamm besucht. Meine ganze Kindheit und Jugend über habe ich im selben Haus gewohnt, bis ich mit 19 Jahren in eine WG nach Frankfurt zog. Nach einem Semester Kunstpädagogik in Frankfurt und zwei Semestern Freier Bildender Kunst in Mainz habe ich den Studiengang Visuelle Kommunikation an der HfG Offenbach angefangen und dort 1998 meinen Abschluss gemacht. Ich hatte schon als Kind den Wunsch später mal Bücher zu illustrieren. Nach dem Studium habe ich gemeinsam mit Philip Waechter und Moni Port die Ateliergemeinschaft »labor« in Frankfurt gegründet, weil ich nicht alleine von zu Hause aus in die Selbstständigkeit starten wollte. Bald waren wir in unseren Räumen zu acht und eine stabile Gruppe, fast eine Art Familie mit gemeinsamen Mittagessen, regelmäßigen Buchmessen-Ausstellungs-Partys und Urlauben. In mittlerweile fast 25 Jahren sind hier viele, viele Kinderbücher entstanden, mal als Einzel-, mal als Gemeinschaftsprojekte.
Im neuen Buch »Radieschen von unten« geht´s um ein Thema, das noch immer ein Tabu ist: Den Tod. Und mit Kindern spricht man schon gar nicht darüber. Wie war die Arbeit an diesem Buch für Sie?
Die Autorin des Buches Katharina von der Gathen hat eine Vorliebe für existenzielle Themen und wagt sich mit ihren Kinderbuchtexten gerne in Tabuzonen vor. Mit ihr habe ich schon mehrere Kinderbücher rund um die Themen Körper und Sexualität veröffentlicht.
Bei »Radieschen von unten« habe mich von Anfang an sehr wohl gefühlt mit dem Thema. Ich war so ein Kind, das sich viel und oft den Kopf über den Tod zerbrochen hat und auch meine eigenen Kinder hatten ein Bedürfnis nach intensiver Auseinandersetzung darüber. Und weil Katharina und ich, sowie unsere Verlegerin Monika Osberghaus (Klett Kinderbuch Verlag) die Auffassung teilen, dass man mit Kindern über alles sprechen sollte, was sie interessiert, hat es sich für mich sinnvoll angefühlt, ein solches Kinderbuch zu machen. Es gab kein Fremdeln mit diesem schwergewichtigen Thema. Katharinas Text fand ich von Anfang an sehr gelungen, trotzdem brauchte ich eine Weile, um eine passende Bildsprache zu entwickeln. Ich habe mich ziemlich reingeschmissen und monatelang jeden Tag sehr intensiv gearbeitet, mir selten mal ein Wochenende gegönnt. Aber es war ein schönes, beglückendes Arbeiten.
Was haben Sie bei Ihrer Arbeit und der Recherche dafür für sich mitgenommen? Gab es irgendetwas, das sie besonders berührt, verwundert oder auch amüsiert hat?
Die meiste inhaltliche Recherche hat Katharina gemacht. Sie war in Bestattungsinstituten und im Krematorium und hat Interviews mit einem Palliativarzt, zwei Bestatterinnen, einem Friedhofsgärtner, einem Thanatologen, einer Trauerbegleiterin und einer Pfarrerin gemacht. Auszüge daraus sind im Buch zu finden. Diese Menschen, die durch ihre Arbeit täglich mit Tod und Sterben zu tun haben, beeindrucken mich sehr, weil sie so eine unaufgeregte, selbstverständliche und gesunde Einstellung dazu haben. Alle haben weise Dinge gesagt, auf jeweils ganz eigene Art.
Mich berührt und begeistert auch sehr, wie manche Kulturen mit dem Tod umgehen und/oder ihn darstellen: Beinhäuser, in denen menschliche Knochen und Schädel ordentlich sortiert und gestapelt zu dekorativen Kunstwerken angeordnet wurden, oder die freudvolle und lebendige Gestaltung von Skeletten und Schädeln in Mexiko und Bolivien.
Und ich habe gelernt, dass es nicht stimmt, dass Erdbestattete von Maden und Würmern zerfressen werden. Ist das nicht schön und beruhigend? Warum das so ist, steht im Buch.
Auch wenn das Buch von Tod und Trauer handelt, ist es nicht gänzlich humorbefreit. Tod und Humor – wie passt das für Sie zusammen?
Das gehört für mich unbedingt zusammen. Katharina hat schon den Text so angelegt, dass immer mal wieder gelacht und gekichert werden darf und kann. Es gibt zum Beispiel im Buch einige Witzseiten. Und es war uns wichtig, dass bei einem teilweise so bedrückenden Thema auch die Illustrationen Leichtigkeit und Witz mitbringen, ohne dabei ins pietätlose abzurutschen. Ich hoffe sehr, dass das einigermaßen gelungen ist.
Außerdem bin ich immer schon an Grenzbereichen interessiert, wo Düsteres und Komisches zusammenkommen. Ich sammele zum Beispiel Skelette und habe schon viele sehr lustige. Die machen mir richtig gute Laune!
Bleiben wir doch beim Thema Humor. Krieg, Corona, Klimawandel sind ja alles andere als lustig. Haben wir wenig Anlass für Humor in diesen Zeiten?
Man kann schon verzweifeln und in depressive Stimmung verfallen angesichts dieser Bedrohungen. Aber Lachen ist wichtig, weil es für einen Moment das Ohnmachtsgefühl auflösen kann. Ich habe irgendwo gelesen, dass manche Menschen nur noch die »Heute Show« und keine Nachrichten mehr gucken. Das ist natürlich auch keine Lösung, zeigt aber, dass Humor auch und gerade in der Krise funktioniert.
Wenn Sie zurückdenken, an die 70er – 80er Jahre, als Sie Kind waren – inwiefern hat sich der Humor – allgemein oder auch speziell in der Kinderliteratur verändert?
Auf alle Fälle wurde in den Jahren meiner Kindheit ungehemmter über alles Mögliche gelacht. In den Kinderbüchern, mit denen ich groß geworden bin, schwang auch immer revolutionär mit: Kinder dürfen über die Erwachsenen lachen! Und es gab auch immer diese Grenzbereiche, wo das Unheimliche ins Komische kippt und umgekehrt – wie bei F.K. Waechter, Tomi Ungerer oder Edward Gorey. Kindern wurde damals zumindest in meinem Umfeld deutlich mehr zugetraut und zugemutet in Sachen Ironie und Humor.
Ich erinnere mich an eine Platte, die bei mir und meiner Schwester sehr beliebt war: »Der Ziegenbock im Unterrock«. Da waren jede Menge anarchische Reime und Lieder zusammengestellt und von Kindern kichernd und prustend eingesprochen. Es war eine Fülle an Nonsens, Schlüpfrigem, Gemeinheiten, Fäkalhumor und politisch Unkorrektem – Eltern und Pädagogen von heute wären entsetzt! Wir fanden das aber sehr lustig.
Ist Humor schwierig geworden, wo man doch immer und überall so penibel auf Political Correctness pocht? Verändert das eventuell den Sinn für Humor einer ganzen Gesellschaft?
Kann man vorschreiben, über was gelacht werden darf und über was nicht?
Ja, ich denke schon, dass es durch diese Diskussionen heute eine Humor-Befangenheit gibt, die sich auf viele Bereiche der Gesellschaft erstreckt. Diese Entwicklung halte ich in mancher Hinsicht für problematisch, allerdings finde ich schon, dass wir alle aushalten und zuhören müssen, wenn Gruppen der Gesellschaft, die Benachteiligung oder Ausgrenzung erfahren, sich durch irgendetwas verletzt oder diskriminiert fühlen. Vieles kann ich gut verstehen und finde auch, dass wir alle dabei etwas dazulernen können. Was mir bei der ganzen Sache am meisten Sorge bereitet sind weniger die Diskussionen an sich, sondern wie sie geführt werden – nämlich oft sehr dogmatisch, regelrecht feindselig und ganz schön humorlos.
Denken Sie, dass diese Political Correctness und das neue »Woke« sich, speziell für Kunstschaffende, hemmend auf die humorvolle Seite der Kreativität auswirken kann?
Darüber wird viel gesprochen unter Kinderbuchschaffenden. Viele haben das Gefühl, nicht mehr ungebremst drauf los fabulieren zu dürfen und dass es deshalb immer mehr sehr langweilige, unlustige Bücher gibt. Einerseits geht es mir auch so, dass ich genervt darüber bin, was alles unter die Lupe genommen und auf Korrektheit geprüft wird und vieles geht mir dabei auch wirklich zu weit. Ich versuche abzuwägen, was ich ignoriere und was ich annehmen kann, aber auch das macht den ganzen Schaffensprozess natürlich verkopfter.
Andererseits entwickele ich mich auch durch diese Prozesse weiter. In meinen Kinder-Sachbüchern sind menschliche Figuren in den letzten Jahren zum Beispiel viel diverser geworden und das ist auch richtig so. Daraus können sich sogar ganz neue Humor-Möglichkeiten ergeben.
Schwarzer oder skurriler Humor im Kinderbuch ist für viele schwierig zu dosieren, für manche sogar ein No-Go. Für Sie scheint das gar nicht zu gelten. Wie sehen Sie das?
Ich habe das Glück, mit dem Klett Kinderbuch Verlag ein zu Hause gefunden zu haben, in dem man mir viel Freiheit für Humor lässt. Da darf es gerne mal abgründig werden. Wir liegen mit unserem Humor und unseren Werten nahe beieinander. Die Verlegerin Monika Osberghaus traut sich was, macht Bücher, zu denen sie steht und will es nicht jedem recht machen. Ein Glücksfall für mich!
Es gibt immer wieder Menschen, die finden manche ihrer Illustrationen gar nicht witzig. Ich habe gelesen, Sie wurden auch schon mit dem einen oder anderen Shitstorm konfrontiert. Gibt’s da ein Beispiel, das Sie erzählen können? Und wie gehen Sie mit dieser Kritik um?
Viele unserer Bücher polarisieren, allen voran »Alle Kinder, ein ABC der Schadenfreude«. Den größten Shitstorm gab es aber vor einigen Jahren mit »Alles Lecker«. Darin gibt es eine Passage, in der konventionelle Tierhaltung mit ökologischer verglichen wird. Der Verlag bekam telefonische Drohungen und auf Facebook kam es dann zu einer ganzen Lawine von sehr aggressiven Posts aus der Bubble der konventionellen Landwirtschaft. Monika Osberghaus hat das mit stoischer Gelassenheit genommen und sehr besonnen und vernünftig Kontra gegeben. Ich selbst halte mich aus den sozialen Netzwerken konsequent raus und bin sehr dankbar, dass der Verlag sich schützend vor die Autorin und mich gestellt hat.
In Österreich gab es übrigens auch einmal Ärger, weil wohl Fragen aus unserem Buch »Klär mich auf« aus dem Zusammenhang gerissen und im Unterricht verwendet wurden. Das hatte zur Folge, dass in den sozialen Netzwerken und auch in gedruckten Medien große Aufregung entstand und wir sehr hässlich und bedrohlich beschimpft wurden. Dabei hatten die meisten der aggressiven Kommentatoren das Buch selbst offensichtlich gar nicht gelesen.
Ich sehe ja bei »Radieschen von unten« nichts, worüber man sich – auf gut Wienerisch – »echauffieren« könnte. Ganz im Gegenteil, ich finde es ausgesprochen einfühlsam, umfassend und mit viel Fingerspitzengefühl gemacht. Dennoch, sind sie gewappnet für eventuell harschen Wind? Können Sie es mit Humor nehmen?
Vielen Dank, es freut mich sehr, dass Sie unser Buch so beschreiben. Das Thema Tod ist in unserer Gesellschaft tabuisiert, die Schmerzgrenzen liegen bei jeder Person zudem individuell unterschiedlich und gerade in der Rezeption von Kinderliteratur gibt es momentan in manchen Kreisen eine extreme Vorsicht – ich rechne also mit Empörung. Vor allem bin ich aber gespannt auf die Reaktionen von Kindern und freue mich schon, auf Veranstaltungen mit dem Buch direkte Rückmeldungen zu bekommen.
Menschen und Charaktere sind bekanntlich verschieden. So auch der Humor. Welcher Humor-Typ sind Sie? Ist er in Ihrem »Erwachsenen-Leben« anders als in Ihrer Kinderbuchwelt? Über wen oder was können Sie richtig herzlich lachen?
Puuh, das ist schwer, den eigenen Humor zu beschreiben – das ist so, als ob man einen Witz erklärt … dann ist es plötzlich gar nicht mehr lustig. Ich unterscheide auf jeden Fall nicht zwischen meinem Erwachsenen- und meinem Kinderbuchhumor.
Unter den professionellen Spaßmachern bin ich mit Loriot und Hape Kerkeling, Monty Python und Mr. Bean aufgewachsen, über die habe ich schon sehr viel gelacht und Anke Engelke und Rainald Grebe find ich super… Cartoons von F.K. Waechter und Robert Gernhardt, Leo Leowald, Christiane Haas und Tor Freeman kriegen mich immer und beim Lesen habe ich wohl am lautesten bei Joachim Meyerhoffs Büchern gelacht. Ansonsten ergeben sich ja oft die allerkomischsten Dinge im Alltag…
Die Kinder-Charaktere, die Sie zeichnen, sind immer ein bisschen frech und rotzig, der Schalk blitzt aus den runden Kulleraugen und haben einen – wie soll ich es nennen – tief in der Figur ruhenden Scherz, der jederzeit hervorbrechen kann. Man sieht die Figur und denkt: Was hat die jetzt schon wieder Schräges im Hinterkopf? Und die Ironie kommt oft in reinster Unschuld daher. Spielen Sie mit dieser kindlichen Unbedarftheit? Woher kommt dieses kecke Etwas, das Ihren Figuren innewohnt?
Das haben Sie schön beschrieben! Sehen Sie? Sie können das besser als ich! Ich glaube, ich schau Menschen oft an und freue mich an ihren Widersprüchlichkeiten. Dass man das eine sagt und was anderes meint, kann eine enorme Komik bewirken. Missverständnisse, die daraus entstehen sind manchmal schöne Pointen.
Kinder, die ja allgemein gerne als lieb und unschuldig dargestellt werden, sind in meiner Figurenwelt emotional komplexer angelegt und tragen das gesamte Spektrum des Menschlichen in sich. Damit spiegeln sie immer auch die Erwachsenen und umgekehrt, das birgt Witzpotenzial. Das habe ich mir jetzt mal so aus den Fingern gesaugt … ich zeichne lieber, darüber theoretisieren kann ich nicht so gut.
Und zuletzt: Wo hört für Sie persönlich jeglicher Spaß auf?
Misogynie, Rassismus, Antisemitismus… jede Art von Diffamierung, die Menschen kollektiv abwertet und sich als Spaß ausgibt.
Anke Kuhl, geb. 1970, hat in Offenbach Visuelle Kommunikation studiert und arbeitet in der Ateliergemeinschaft »labor« in Frankfurt, wo sie auch mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern lebt.
—
Katharina von der Gathen und Anke Kuhl
Radieschen von unten
Klett Kinderbuch, 160 S.