Gezeichnet hat Torben Kuhlmann schon seit dem Kindergarten, aufgehört hat er aber, ander als viele andere, nie. In Ergänzung zur Titelstory in Buchkultur 193 das Interview mit dem Mann, der Mäuse malt. Illustration: Torben Kuhlmann.
Buchkultur: Bevor wir auf Ihre Bücher eingehen, welche Haupteigenschaften würden Sie Mäusen (den echten) zuschreiben?
Torben Kuhlmann: Geschickt, wagemutig aber vorsichtig…
Und welche Zuschreibungen bekommen Mäuse von der Gesellschaft? Ist unser Bild von Mäusen heutzutage mehr von der Realität geprägt, in der sie mit uns Menschen Lebensraum teilen, von manchen sogar als Schädlinge betrachtet werden, oder denkt man bei Mäusen dann doch eher an die niedliche kleine Maus aus dem letzten Kinderbuch?
Ich denke, dass es da eine erkennbare Trennlinie gibt. In den meisten Fällen sind Mäuse im Kinderbuch, im Fernsehen oder Kino doch recht weit entfernt von ihren realen Vorbildern. Mickey Mouse ist ja eigentlich nur dem Namen nach noch eine Maus. Die echten Mäuse haben wohl tatsächlich eher das Image eines Schädlings, immerhin schaffen sie es immer wieder in unsere Häuser hineinzukommen, Lebensmittel anzuknabbern und ihre verräterischen Spuren zu hinterlassen. Mit dieser Eigenschaft der Mäuse spiele ich ja auch in meinen Büchern. Offensichtlich müssen Mäuse clever genug sein, um den Homo Sapiens auszutricksen, in dessen Zuhause einzubrechen und dort ein recht gutes Leben zu führen. Von Katzen und Mausefallen mal abgesehen. Da ist es nur ein überschaubarer Gedankensprung sich vorzustellen, dass eine Maus vielleicht nicht nur Käse stiehlt, sondern auch Bauteile für raffinierte Maschinen stibitzt, mit denen sie den angeblich so schlauen Menschen noch ein bisschen mehr bloßstellt. (lacht)
Haben Sie selbst aktive Erinnerungen an Kinder- oder Bilderbücher? Welche haben Sie als Kind gemocht und welche schätzen Sie heute als Erwachsener? Waren es damals auch schon eher die Illustrationen, die Sie fasziniert haben?
Ich habe vor allem sehr lebhafte Erinnerung an meine Sachbuch-Sammlung. Von der Was-ist-Was-Reihe bis hin zu einem üppig illustrierten Kinderlexikon. Und ja, es waren vor allem die Illustrationen, die mich aus unterschiedlichsten Gründen fesselten. Manchmal mochte ich einfach die Art und Weise, wie eine Illustration erstellt wurde (Technik, Farbauftrag und Zeichenstil). Manchmal schätzte ich mehr die Fähigkeit einer Illustration, komplexe Dinge anschaulich darzustellen und war dann eher vom Inhalt fasziniert. Ich habe auch oft Illustrationen aus Sachbüchern abgezeichnet und eigene kleine Sachbücher gebastelt. Das unglaublich weite Spektrum an Bilderbüchern erschloss sich mir erst später, vor allem im Studium. Mit den ersten Besuchen auf der Kinderbuchmesse in Bologna entdeckte ich dann ein paar fantastische Bilderbücher für mich – nur war ich da schon erwachsen.
Gab es einen Zeitpunkt, wo sie ihre Liebe und ihr Talent für das Zeichnen für sich entdeckt haben? Oder wusste der/die ZeichenlehrerIn schon vor Ihnen, dass da etwas besonderes in Ihnen schlummert?
Die Liebe für das Zeichnen und Malen begleitet mich eigentlich schon immer, ebenso wie eine gewisse Veranlagung dazu. Was hier als erstes da war, ist schwer zu sagen. Ich galt schon im Kindergarten als der Zeichner und habe oft stundenlag im Büro meiner Eltern gesessen und gemalt. Oft waren es die Dinge, die ich tagsüber in meiner kleinen Welt entdeckt hatte, die ich zu Papier brachte, nicht selten Technisches wie Eisenbahnen oder Baustellenfahrzeuge. Insofern wussten die meisten meiner Kunstlehrerinnen und Lehrer wohl, wo mein Weg hingehen würde. Das hat sich auch bis zum Abitur nicht geändert. Eine Erkenntnis kam mir selbst aber erst spät. Mir ging es fast nie nur um das Bild, sondern fast immer wollte ich es in einen erzählerischen Kontext stellen. Da erkannte ich, dass ein Illustrator in mir schlummert.
Die Idee, Mäuse zu Helden Ihrer Geschichten zu machen, kam Ihnen während des Studiums, und auch Ihr erstes Buch, Lindbergh, entstand als Produkt Ihrer Abschlussarbeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Sie haben in Interviews immer betont, dass das Menschenähnliche, das in Mäusen gesehen werden kann, Sie besonders interessiert hat. War das ein bewusster Entscheidungsprozess und haben Sie bspw. auch über andere Tiere nachgedacht, z.B. Ratten? Die sind ja in der Kinderliteratur ebenso wie im Film durchaus auch erfolgreich („Ratatouille“, „Mrs. Brisby“ und das „Geheimnis von NIMH“) …
Nein, es stand eigentlich von Anfang an fest, dass meine Abschlussarbeit die Geschichte einer fliegenden Maus sein würde. Das ergab sich schon aus der anfänglichen Idee. In dieser setzt eine kleine, unscheinbare Maus nach einer Begegnung mit einer Fledermaus alles daran, selber das Fliegen zu lernen. Das Spiel mit den Wörtern Maus und Fledermaus gab schon die Spezies des Protagonisten vor. Auch andere Faktoren, wie die zeitlich gut in den Rahmen passende Erfindung der Mausefalle unterstrichen diese Entscheidung noch. Sehr menschenähnlich sehe ich meine Mäuseabenteurer nicht unbedingt, aber es gibt noch weitere Faktoren, die sie als Helden meiner Geschichten prädestinieren. Mit ihren kleinen Nagetierhänden können sie einigermaßen glaubhaft basteln und zeichnen und ihre verhältnismäßig großen, funkelnden, schwarzen Augen strahlen eine gewisse Cleverness aus.
Bei den Mäusen könnte man sich vorstellen, dass Sie evtl. Feivel, der Mauswanderer gesehen haben. Aber es gibt ja auch signifikante Unterschiede zwischen den genannten Titeln und Ihren Büchern – schon in der Darstellung der Mäuse. Ihre Mäuse sind keine „vermenschlichten“ Figuren, sondern bleiben in all ihren Facetten Mäuse, jedoch mit besonderem Intellekt, Wagemut und Pioniergeist. Was hat Sie zu dieser „anderen“ Art der Darstellung bewogen?
Das Ziel war ein gewisses Maß an Realismus. Schon früh habe ich dieses Ziel während der Arbeit an meiner Diplomarbeit definiert. Ich sah einen besonderen Reiz darin, ein möglichst genaues und realistisches Portrait einer vergangenen Zeit zu zeichnen. Einer Zeit, die uns geschichtlich vertraut ist. Und mitten in diese realistische Bühne setze ich die fantastische Geschichte einer Maus, die auf bisher unbekannte Art die menschliche Geschichte beeinflusst, indem sie beispielsweise einen berühmten Piloten inspiriert. Damit diese Einbettung gut funktioniert, darf die Maus nicht überzeichnet und unrealistisch aussehen. Sie muss ebenso nahtlos in die gezeigte Welt passen wie Schiffe, Flugzeuge und historische Personen. Damit ist aber nicht gesagt, dass andere, vermenschlichte Versionen in anderen Medien nicht funktionieren. Insbesondere Feivel der Mauswanderer ist eine fantastische Arbeit von Don Bluth. Und zumindest ein paar konzeptionelle Ansätze sind ähnlich. Zum Beispiel haben seine Filme auch immer etwas Raum für das Düstere und Unheimliche sowie erwachsenere Themen.
Sie haben einmal in einem Interview erzählt, Ihre erste Erinnerung an eine Maus war eine tote Maus, deren Bild Sie sich eingeprägt haben. Hat dieses Bild in Ihrer Entscheidung eine Rolle gespielt?
Nein, nicht am Anfang. Erst bei den Bestrebungen, aus der anfänglichen Idee einer fliegenden Maus eine längere Geschichte zu entwickeln, tauchte dieses leicht verdrängte Bild aus meiner Kindheit wieder auf. Mausefallen spielten fortan einen wichtigen Part in der sich entwickelnden Geschichte Lindbergh. Mein Horror von damals wurde zum Horror der Maus. Durch eine Zeitungsmeldung erfährt diese von der schrecklichen Erfindung der Mausefalle und unter der Schlagzeile „Es klappt“ ist ein ähnliches Bild einer Maus in einer Mausfalle zu sehen.
Sind Pioniere und Pioniertaten für Sie von besonderem Interesse? Welche Pioniertat liegt Ihnen persönlich näher, die körperlich-existenzielle oder die geistig-erfinderische? Sie müsste wahrscheinlich in jedem Fall mit Technik zu tun haben, oder?
Mein Interesse an Pionieren und Pioniertaten ist auch etwas, was aus meiner Kindheit stammt und mich bis heute prägt. Damals waren es vor allem die Flugpioniere. Ich hatte ein großes Interesse an den frühen Flugzeug-Ingenieuren und Bastlern, die in ihren Schuppen wackelige Konstruktionen zusammensachraubten, um damit der erste Mensch zu werden, der das Fliegen erlernt. Eine gewisse Parallele zum Interesse einer kleinen Maus ist nicht von der Hand zu weisen. Aber auch andere VordenkerInnen und Pioniere haben mich geprägt. Die ersten Expeditionen zu den Polen unseres Planeten durch das (zumindest damals noch) endlose Eis. Häufig war es auch die geistige Pionierleistung, der dann eine körperliche folgte, beispielsweise einen Flugapparat zu ersinnen und dann damit trotz aller Gefahren selber abzuheben.
Und wo würden Sie sich selbst einordnen: Wären Sie selbst gern Entdecker gewesen, als die Welt noch größer war und noch viele weiße Flecken hatte, vielleicht auch Chronist einer Entdeckung – oder wären Sie eher der begeisterte Leser, der die Taten von Franklin, Scott, Amundsen und Co. mit leuchtenden Augen nachliest?
Schwierig zu sagen. Eigentlich bin ich recht froh über unsere Zeit. Die Welt hatte auch einige nicht von der Hand zu weisende Nachteile, als es noch unerkundete Regionen gab und eine Reise dorthin noch ein echtes, lebensgefährliches Abenteuer war. Krankheiten, Kolonialismus. Aber bei einigen der größten Entdecker und frühen Forscher hätte ich gerne zumindest für einige Zeit mal „Mäuschen“ gespielt, mit dem Skizzenbuch in der Hand. Heute bin ich recht froh, dass man wenigsten als Leser mit dabei sein kann. Und als Autor habe ich die Möglichkeit, meine Mausehelden auf große Entdeckungsreise zu schicken und dadurch irgendwie auch an ihren Abenteuern teilzuhaben.
Gibt es ähnliche Menschen auch in der Gegenwart, über die Sie auch gern ein Buch machen würden? Evtl. ein Schriftsteller oder eine Schriftstellerin?
Oh, da bieten sich einige an. Meine Mäusegeschichten sind noch nicht in den Bereich Literatur aufgebrochen. Auch dort mag die eine oder andere Maus in der Vergangenheit für Inspirationen gesorgt haben. Vielleicht hat Jules Verne nur zu einem günstigen Zeitpunkt eine Mäuseabenteuer-Chronik gefunden und „adaptiert“. Neben den Mäusegeschichten reizen mich aber auch bestimmte Biografien, umgesetzt zum Beispiel in Form von illustrierten Kurzgeschichten oder Graphic Novels. Cecilia Payne als eine der ersten Astrophysikerinnen, oder Edwin Hubble wären Kandidaten hierfür. Je länger ich darüber nachdenke, umso mehr Kandidatinnen und Kandidaten mit inspirierenden Geschichten fallen mir ein.
In Ihrem neuen Buch Einstein geht es um Zeit und Zeitreisen. Zeit ist ja fast schon so was wie Luxusgut geworden. Sind Sie ein guter Zeit-Manager? Ist Ihr Tagesablauf immer so, wie Sie ihn sich vorstellen? Und was bedeutet „Zeit haben“ für Sie?
Oh, ich glaube, in Sachen Zeit habe ich mir in den letzten 10 Jahren ein gutes Management antrainiert. Hilfreich waren sicherlich auch meine Jahre als Illustrator in einer Werbeagentur. Bei den oft abwegig knappen Timings für Zeichenaufgaben war vor allem eine gute Selbsteinschätzung und Organisation wichtig. Das habe ich dann in meine Freiberuflichkeit mitgenommen – mit ein paar Abstrichen. So lasse ich mir den Tagesablauf eher nicht von der Uhr vorschreiben, habe also keine definitive Start- oder Feierabendzeit. Es ist eher ein etwas flexibleres Zeitfenster von 7 bis 11 Stunden am Tag, in dem ich arbeite und was sich den Jahreszeiten anpassen kann. Die Arbeit kann mal später beginnen, mal früher. Und das ermöglicht es mir, auch mal „Zeit zu haben“, zu Beispiel an einem sonnigen Herbsttag mal erst später ins Atelier zu radeln und die Zeit draußen zu nutzen.
Wenn Sie eine Zeitmaschine hätten wie die Maus in Ihrem Buch, in welche Epoche würden Sie gerne eine Reise unternehmen?
Eine meiner ersten Zeitreisen würde in Richtung Zukunft gehen. Es interessiert mich brennend, welchen (hoffentlich guten) Weg die Menschheit in den kommenden Jahrhunderten gehen und was noch alles an technischen Revolutionen kommen wird. Wenn man alleine schaut, was in den letzten 300 Jahren alles passiert ist. Kaum vorstellbar, was in wiederum 300 Jahren möglich sein könnte. Wenn ich diese Frage geklärt habe, würde ich meine vorsichtigen Geschichtsstudien beginnen. Zunächst würde ich es der kleinen Maus aus Einstein gleichtun, und den berühmten Physiker am Anfang seiner Karriere im Jahr 1905 aufsuchen, schon um sicherzustellen, dass ich im aktuellen Buch auch alles richtig getroffen habe. Dann geht es weiter zurück, bis in die Urzeit und zu den Dinosauriern.
Wenn man heutzutage reist, ist man eher nur selten mit wirklich individuellen Erfahrungen konfrontiert. Kulturelle Gegensätze werden vor allem in Touristenregionen immer kleiner. Der Massentourismus, Instagramhotspots, Klimaschädlichkeit des Fliegens usw. können einem die Lust am Reisen vergällen. Wie reisen Sie (bzw. reisten – vor Corona)? Kann man Sie sich unterwegs stundenlang entschleunigt an einer Stelle sitzend mit Zeichenblock vorstellen oder lassen Sie während des Urlaubs die „Arbeit“ daheim und nehmen als Souvenir einfach Inspiration mit nachhause.
Letzteres ist in den letzten Jahren eher der Fall. Da ich die Woche über ohnehin viel zeichne und male, nutze ich ruhige Momente eher zum Nachdenken, zum Planen und zum Entwickeln neuer Geschichten. Etwaige Ideen wandern erst am Abend ins Skizzenbuch.
»Ich bin überzeugt, dass sich das Ansehen von illustrierten Inhalten für Erwachsene weiter steigern wird.«
Torben Kuhlmann
Meine Mäuse haben mich in den letzten Jahren ein wenig zum Weltenbummler gemacht und mir ein paar Träume erfüllt, einige Besuche in Japan zum Beispiel. Privat war ich eher weniger der Vielflieger und typische Tourist. Es musste auch nicht unbedingt die weite Ferne sein. Auch jetzt zieht es mich eher an die Nordseeküste, gerne auch während eher herben Jahreszeiten, wenn die Instagramer das Smartphone in Sturm und Regen gar nicht mehr festhalten können.
Ihre Mäusehelden sind kleine Träumer, die von einer Dringlichkeit beseelt sind, ihre Träume zu verwirklichen. Sie geben nie auf und gehen ihre Sache sehr klug aber auch mit einer berührenden Naivität an. Braucht es dieses Quäntchen Naivität um Großes zu erreichen? Ist die Botschaft sozusagen: Benutze beides – Hirn und Herz? Gibt es diesen großen Traum auch in Ihrem Leben?
Ein bisschen Naivität, oder besser Gutgläubigkeit, braucht es sicherlich, um Träume zu erfüllen. Das hilft dabei, die Sorgen und aufkommende Zweifel, die zurückhaltenden Bremsklötze, besser auszuklammern. Die Kernaussage haben Sie gut zusammengefasst. Und ja, ein bisschen gab es das auch in meinem Leben. Am deutlichsten wohl bei der eher vom Herz vorangetriebenen Entscheidung, Illustration statt etwas „Sicherem“ zu studieren oder bei dem schwierigen Schritt, sich als Bilderbuchillustrator selbstständig zu machen. Ein paar derartige Träumchen habe ich noch. Mal schauen, wann Hirn und Herz da ein nächstes Mal die richtige Konstellation zueinander einnehmen.
Ihre Begeisterung für Technik lässt auch in vielen Ihrer Bilder an das Genre Steampunk denken. Haben Sie dazu eine Verbindung?
Nur bedingt, auch wenn ich die Optik des Steampunks recht reizvoll finde. Steampunk ist stark durchzogen mit Elementen der Science Fiction, des Futuristischen und Fantastischen. Dagegen sind meine Mäuseabenteuer und die Erfindungen darin geradezu artig und die Maschinen der Mäuse weniger fantastisch. Auch da steht, zumindest visuell, ein Mausefuß auf dem Boden der Tatsachen. Immerhin sollen die Erfindungen, vom Flugapparat bis zur Zeitmaschine, stets so aussehen, als könne eine Maus diese mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln der jeweiligen Zeit zusammenbasteln. Diese Glaubhaftigkeit der Technik war ein Ziel bei der Konzeption der Bücher.
Es ist in jedem Fall eher eine Begeisterung fürs Mechanische, weniger für das Digitale, oder? Welchen Reiz hat das Haptische für Sie?
Das digitale entzieht sich stärker dem Verständnis. Es sind sehr abstrakte Prozesse, die zu einem Ergebnis führen. Ein mechanischer Vorgang kann dagegen einfacher nachvollzogen werden. Das sieht man vielleicht am besten, wenn man digitale und ganz klassische analoge Fotografie betrachtet. Man versteht und lernt am meisten, wenn man den Weg eines klassischen Fotos Schritt für Schritt nachverfolgt, mit all den Hürden unterwegs. Belichtung, Wahl der Blende, Wahl des Films, Lichtempfindlichkeit, Entwicklung der Negative. Und dann sieht man, wie viel Know-How dahinter steckt. Das lässt einen dann erst erkennen, welche Leistung es ist, dass wir heute unglaubliche High-Tech Kameras in unseren Hosentaschen herumtragen.
Sie zeichnen ja auch vollständig analog, vor allem mit Aquarell. Interessieren Sie sich auch in dieser Hinsicht nicht für die Möglichkeiten, die das Digitale bietet?
Das stimmt so nicht. Es ist richtig, die Illustrationen für meine Bilderbücher entstehen komplett analog, mit Zeichenstift und Aquarellfarbe auf dem Papier. Ich habe aber auch für viele Auftraggeber in anderen Bereichen schon oft digital gearbeitet. Ganz grob gesagt, ist auch der digitale Pinsel und damit der Computer nur ein Werkzeug, genau wie Bleistift und Wasserfarbe. Es kommt wie bei allem darauf an, wie man diese Werkzeuge einsetzt. Und ich selbst mag meine analogen Arbeiten doch etwas lieber, schon allein, weil klassische Zeichnung und Malerei auch viel verzeiht. Ein verkorkster Strich oder ein ungewollter Farbklecks können sich als bereichernde „Fehler“ erweisen, die ein Bild interessant werden lassen. Im Digitalen hat man Strg + Z…
In Ihrer Farbpalette sind warme Brauntöne stark vertreten – Gibt es einen Farbbereich, in dem Sie sich besonders wohlfühlen, oder gehört das für Sie einfach zu Stil und Thema Ihrer Bücher?
Die Geschichten geben häufig eine Farbpalette vor. Mein erstes Mäuseabenteuer „Lindbergh“ war zum Beispiel bewusst mit einer reduzierten Farbpalette umgesetzt. Diese Sepiafärbung unterstreicht noch einmal die Zeit, in der die Geschichte spielt, das frühe 20. Jahrhundert. Die „Maulwurfstadt“ war schon allein aus dem Grund, dass die Geschichte unter Tage spielt, in erdigen Farbtönen gehalten. Ab „Armstrong“ wurde es dann bunter, mit türkisfarbenen Autos, kontrastreichen Weltraumansichten der blauen Erde und Rot-glühenden Raketen-Triebwerken. Generell gibt aber der angestrebte Realismus mit abgestumpften Farbtönen und vielen Mischfarben die Farbstimmung vor.
Wenn man auf den „Trend“ schaut, dann sieht man heute – auch in der „Erwachsenen-Illustration“ eine Tendenz zur Einfachheit, oft sogar zu naiver Kunst. In Ihren Bildern erkennt man das genaue Gegenteil – akribische Recherche, detailgenaue und bis in die Tiefe ausgearbeitete Umsetzung … man merkt, Sie nehmen Ihre Leser/innen ernst, die kleinen wie die großen. War es eine bewusste Entscheidung von Ihnen, sich gegen diesen Trend zu stellen, oder achten Sie auf so etwas wie Trends nicht?
Bei der Arbeit an meinem ersten Bilderbuch habe ich tatsächlich sämtliche Trends ignoriert, auch wenn das keine bewusste Entscheidung war. Ziel war es nur, ein Bilderbuch so zu gestalten, wie es mir damals als Kind gefallen hätte. Es sollte mich aber auch als jungen Erwachsenen noch ansprechen. Ich war schon als Kind von detailreichen Bildern begeistert: Bildern, die man wie Texte lesen konnte und die mit ihren versteckten Details auch etwas erzählten. Tatsächlich ist der Trend gerade ganz anders. Häufig sieht man Bilderbücher, die minimal gestaltet sind und damit den Kindern Freiraum geben, mit ihrer Phantasie diese Lücken zu schließen. Das ist sicherlich auch ein legitimer Ansatz. Aber auch eine aufwändig gestaltete Bilderbuchwelt voller Details kann die Vorstellungskraft beflügeln und einladen, diese Welt in der Phantasie noch weiter auszubauen. Und ja, das Ernstnehmen der Leser*innen, insbesondere der jüngeren, ist mir sehr wichtig. Daher kommt es auch, dass ich gar keinen so strikten Trennstrich ziehen würde zwischen Kindern und Erwachsenen.
Ihre Mäusepioniere und –erfinder schaffen Wegweisendes. Auch Sie selbst haben früh durchschlagenden Erfolg gehabt. Wie stehen Sie zum Scheitern – scheitern Sie im Kleinen, an einzelnen Bildern, der nicht funktionierenden Umsetzung von Ideen auch hin und wieder, und wie gehen Sie damit um?
Meine Mäusehelden schaffen in meinen Büchern in der Tat Wegweisendes, aber der Weg dorthin ist nie einfach. Scheitern und es dann doch wieder versuchen sind zentrale Elemente jedes Mäuseabenteuers. Die Maus in „Lindbergh“ stürzt mehrfach ab, bevor ihr Flug über den Atlantik gelingt. Die Versuche der kleinen Maus in „Armstrong“, sich zum Mond zu schleudern, enden nur mit viel Glück nicht jedes Mal in einer Katastrophe. Aber die Mäuse lernen aus ihrem Scheitern und sind mit diesen Erfahrungen besser gewappnet für einen erneuten Versuch. Auch beim Malen und Zeichnen gehört Experimentieren dazu. Und das kann auch mal in die Hose gehen. Mittlerweile habe ich meinen Arbeitsprozess aber etwas absichern können, vor allem durch eine ausgiebige Skizzen- und Storyboardphase. Wenn da schon etwas einfach nicht funktionieren will, kann ich schnell und mit wenig Aufwand Alternativen durchspielen. Aber es kommt trotzdem hin und wieder vor, dass ich ein fertiges Bild verwerfe und noch einmal von vorne beginne. Das gehört aber auch zur Arbeit dazu und in der Regel sind die wiederholten Versuche dann auch wesentlich zufriedenstellender. Wie die Mäuse lerne ich aus gemachten Fehlern.
Da Sie auch Ihre Geschichten selbst schreiben und konzipieren, sind Sie in einer ziemlich außergewöhnlichen Situation, quasi als Allroundtalent, und erfahren auch viel Wertschätzung dafür. In den letzten Jahren bekommen auch Graphic Novels als Erwachsenenliteratur in gewissen Leser/innenkreisen mehr Respekt. Denken Sie, dass die Buchbranche dem ein wenig mehr Ansehen und Aufmerksamkeit entgegenbringen sollte?
Ich bin überzeugt, dass sich das Ansehen von illustrierten Inhalten für Erwachsene weiter steigern wird. Wir sind da schon seit längerem auf einem guten Weg und die Buchbranche entwickelt sich beständig in diese Richtung, auch wenn andere Länder wie Frankreich da schon weiter sind. Graphic Novels werden weitaus seltener belächelt. Ich sehe aber auch noch Potential, deren Akzeptanz zu steigern. Das Problem mag ein bisschen die mangelnde Bereitschaft der Erwachsenen sein, sich auf im Bild erzählte Inhalte einzulassen, einer rein visuellen Sprache zu folgen. Kindern fällt das wesentlich leichter. Ein wenig ist dies auch der Ansatz meiner Bücher. Wann immer etwas im Bild erzählt werden kann, soll es auch nur im Bild erzählt werden. Ein begleitender Text, der noch einmal den Bildinhalt kommentiert, ist eigentlich überflüssig. Und manche großen Leser*innen stolpern hier, wundern sich über Lücken im Text oder bemängeln, dass dieser „durch riesengroße Bilder unterbrochen sei“, um eine Rezension zu zitieren.
Was macht Torben Kuhlmann, wenn er gerade nicht an einem Buch arbeitet?
Fahrradfahren. An der Elbe oder an der Nordsee sitzen. Aber das ist doch eher die Ausnahme. In der Regel sitze ich in den Buchpausen auch die meiste Zeit am Schreibtisch, entweder arbeite ich dann an Auftragsarbeiten oder kümmere mich um das ganze Drumherum, was mit der Selbstständigkeit einhergeht. Ah, und Lesereisen gibt es auch noch.
Können Sie den vielen Illustrator/innen da draußen einen Tipp geben, wie man es zum ersten Buch schafft?
Das ist kaum mit einer Standardtipp zu beantworten. Jeder Buchtitel ist anders und jede Illustratorin oder jeder Illustrator muss seinen Weg in den Buchmarkt finden – manchmal auch hart erkämpfen. Ein paar Dinge haben mir geholfen bei meinem Weg zur Erstveröffentlichung. Zum einen ein Mix aus Hartnäckigkeit und Gelassenheit. Ich habe auch einige Absagen kassiert, bevor mit viel Glück NordSüd mein Buch „Lindbergh“ entdeckte. Ein bisschen konnte ich über die Absagen und die etwas kuriosen Begründungen auch schmunzeln. Und es hat mir geholfen, mir treu zu bleiben, keinen Trends zu folgen und einfach ein Buch anzubieten, das mir und meinen Vorstellungen eines Bilderbuchs entsprach.
Stephan Zweig hat mit seinen „Sternstunden der Menschheit“ bis heute großen Erfolg gehabt. Wären nicht die „Sternstunden der Mausheit“ auch eine Idee für Sie?
Da kann ich mit einem Lachen nur sagen: Mal schauen! Die erfinderischen Mäuse mit ihren zahlreichen Einflüssen auf die Menschheitsgeschichte gäben auf jeden Fall genug Material her für eine solche Sammlung.
Was können und sollten die Menschen von (Ihren) Mäusen lernen?
Nicht aufgeben, von Großem träumen und den eigenen Fähigkeiten sowie den Prinzipien der Wissenschaft vertrauen.
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Torben Kuhlmann studierte Illustration und Kommunikationsdesign an der HAW Hamburg mit Schwerpunkt Buchillustration. Sein erstes Buch »Lindbergh – Die abenteuerliche Geschichte einer fliegenden Maus« war zugleich das Abschlussprojekt seines Studiums und wurde 2014
im NordSüd Verlag veröffentlicht, bei dem er auch blieb.
Mittlerweile ist »Lindbergh« in über 30 Sprachen übersetzt und es folgten weitere Mäusebücher wie »Armstrong«, »Edison« und nun »Einstein«. Der vielprämierte Illustrator und Autor lebt und arbeitet in Hamburg.
»Einstein. Die fantastische Reise einer Maus durch Raum und Zeit« (NordSüd), 128 S.