Sieben Sachbücher, um die Ukraine zu verstehen, ihre Geschichte, ihre Menschen – und seinen Nachbarn. Sieben Lesetipps, um Krieg, Gegenwart, aktuelle Entwicklungen und deren Unterströmungen besser, umfassender, tiefer zu erfassen. 

„Wie kann da vom Osten die Rede sein, wo doch bloß /
eine Wand ist, und dahinter ein Nichts, stumm und groß“
(Juri Andruchowytsch)

Oder wie Alice Bota über die Menschen im umkämpften Donbass im Oktober 2014 schrieb: „Sie warten, tagein, tagaus, auf Frieden und wissen nicht, wie lange noch.“


1

Serhii Plokhy
The Gates of Europe. A History of Ukraine
Basic Books, 448 S.

Der an der Harvard University lehrende Osteuropa-Historiker Serhii Plokhy hat mit diesem Buch eine konzise, vielleicht die erhellendste, sicherlich die eleganteste historische Überschau-Geschichte der Ukraine von der Urzeit bis zur Maidan-Revolution 2015 geschrieben. Historie und ethnische Historien, Geografie, Kultur, Sprache und Sprachen, Imagination und Fremd- wie Selbstwahrnehmungen, Transitraum und Handel und Repression, all das wird von Plokhy klug, verständlich und eingängig geschildert.


2

Anne Applebaum
Roter Hunger. Stalins Krieg gegen die Ukraine
Ü: Martin Richter
Siedler, 544 S.

Winnyzja, Charkiw, Donezk, Kiew. Orte, in denen Menschen starben. Insgesamt acht Millionen. Nicht heute. Sondern in den Jahren 1917 bis 1937. Als Stalin und die Bolschewiki die Kornkammer Ukraine durch „Entkulakisierung“, ideologisch verblendet uneinsichtiges Wirtschaftsgebaren und brutal vorangetriebene Kollektivierung in eine beispiellose Hungerkatastrophe manövrierte, absichtlich, zynisch, aus Kalkül und von Hass getrieben. Die vielleicht maßgebliche Geschichte des „Holodomor“, Ur-Trauma der Ukraine.


3

Stanislaw Assejew
IN ISOLATION. Texte aus dem Donbass
Ü: Sofija Onufriv und Claudia Dathe
edition.fotoTAPETA, 224 S.

Bis 2017 berichtete der ukrainische Schriftsteller Stanislaw Assejew pseudonym für das Radio aus dem Donbass. Dann wurde er von Kämpfern der selbst proklamierten „Volksrepublik“ verschleppt – Grund waren die in diesem Band gesammelten Texte –, kam in eine Gefängniszelle. Erst 2019, nach 962 Tagen, war er infolge eines Gefangenenaustauschs wieder auf freiem Fuß. Ein wütendes Buch, ein intensives, auch eines über ein mattes Europa, wohlfeilen Mut aus der Ferne und die Selbsttäuschungen der Ost-Ukraine.


4

Jutta Sommerbauer
Die Ukraine im Krieg
Kremayr & Scheriau, 208 S.

Es herrscht Krieg in der Ukraine. Es ist 2014. Die Reportagen der Wiener Journalistin Jutta Sommerbauer aus dem Donbass, den „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk, sind noch nach Jahren überaktuell, die Konfliktlinien noch blutiger. Von Alltag und Bomben, Söldnern und Soldaten, von Traumata und Paranoia, vom Informationskrieg und vom „Brüderkrieg“ erzählt sie. Selten ließ sich ein Krieg so sehr aus einem anderen, acht Jahre währenden ableiten wie in diesem klarsichtigen, prognostisch erschreckenden Band.


5

Serhii Plokhy
Lost Kingdom. The Quest of Empire and the Making of the Russian Nation. From 1470 to the Present
Basic Books, 432 S.

Schon 2008 behauptete Putin, die Ukraine sei gar kein Staat. Sondern Teil Großrusslands. Plokhy, seit 2007 Ordinarius für die Geschichte der Ukraine an der Harvard University, beugt sich über den sechs Jahrhunderte alten, immer weiter perpetuierten Mythos eines russischen Großimperiums, dem Putin huldigt. Eine hochinformierte, erzählerisch splendide Analyse eines nationalen, religiösen, linguistisch-rhetorischen Mythus, der von Iwan dem Schrecklichen über Stalin bis heute alle Herrscher affizierte.


6

Kerstin S. Jobst
Geschichte der Krim. Iphigenie und Putin auf Tauris
De Gruyter Oldenbourg Verlag, 400 S.

2014, Russland annektiert die Krim. Außerhalb Putins Einflussbereich ist sie seither auf den Karten schraffiert. Die Wiener Osteuropahistorikerin Kerstin S. Jobst erzählt kundig die tief gestaffelte, von steter Zuwanderung marmorierte Geschichte der Krim von der Antike über Goten, Sarmaten, Osmanen, Kosaken zum Krimkrieg 1853-1856, der krimtatarischen Nationalbewegung 1918 und Hitler (der einen „arischen Gotengau“ errichten wollte) zur „Autonomen Republik Krim“ in der Ukraine ab 1991 ff. und Putin.


7

Catherine Belton
Putins Netz. Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste
Ü: Elisabeth Schmalen und Johanna Wais
HarperCollins, 704 S.

Lange schienen deutsche Verlage vor der Übersetzung zurückzuscheuen, zu massiv war die englische Journalistin Catherine Belton von russischen Oligarchen geklagt worden. Die langjährige Moskau-Korrespondentin der Londoner „Times“ zeichnet sehr gründlich, auf der Grundlage zahlreicher Gespräche mit Insidern und horribel nach, wie das „System Putin“ und der Putinismus ein ganzes Land in Geiselhaft nahm und aussaugt. Und wie sehr der Kreml-Herrscher in rigiden KGB-Mustern denkt und den Westen verachtet.

»Darin, Leute, liegt unser Ruhm – Ruhm der Ukraine!«:
Taras Schewtschenko, aus „Für Osnowajenko“, 1840.

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