Die verdienstvolle »Collection Moebius« macht das Werk des französischen Comicgiganten Jean Giraud (neu) zugänglich. Illustration: Jean Giraud.


2012 verlor die Comicwelt einen ihrer prominentesten Vertreter: Jean Giraud, für seine Arbeiten im Bereich der Phantastik besser als Moebius bekannt, war nach langer Krankheit in Paris verstorben. Schon Jahrzehnte davor zählten seine Arbeiten aufgrund ihres unverwechselbaren Stils in Gestaltung und Erzählhaltung zu den Klassikern des Mediums, zu Werken, die weit über die oft engen Grenzen der sogenannten neunten Kunst hinaus wahrgenommen und geschätzt worden waren. Spätestens die Veröffentlichung des Bandes »Zeichenwelt«, der von Andreas Platthaus für die renommierte »Andere Bibliothek« gestaltet worden war, verschaffte Moebius auch eine breitere deutschsprachige Leserschaft, die – wie soll man sagen – für das Medium wohl noch zu sensibilisieren war. Neben den stark mythisch geprägten und mittlerweile auch wieder aufgelegten Erzählungen »Der Incal« und »Die Augen der Katze«, die Moebius gemeinsam mit Kultregisseur Alejandro Jodorowsky schuf, stehen Serien wie »Die hermetische Garage« oder »Die Sternenwanderer« – und schließlich auch seine zahlreichen Illustrationen und kürzeren Geschichten, die sich insbesondere durch erzählerische Radikalität und den bewussten Bruch mit künstlerischen Traditionen früherer Generationen auszeichnen.

Innerhalb des beeindruckend langen Werksregisters nehmen diese oft nur wenige Seiten langen Abenteuer auch deshalb eine nicht weniger bedeutende Position ein als die genannten mehrbändigen Epen. In drei aktuellen Bänden der »Collection« lässt sich nicht nur die Ausbildung des für Moebius so eigenen Zeichenstils ablesen, vielmehr zeigt sich auch die Etablierung Girauds als Vertreter einer neuen Phantastik: Hatte er unter seinem bürgerlichen Namen realistische Western gezeichnet, so begann er ab Mitte der 1960er-Jahre unter seinem einprägsamen Pseudonym zu experimentieren. 1973 folgte mit der Veröffentlichung mit »La déviation« der titelspendende Umweg zu Bekanntheit und Ruhm. In Zeitschriften wie »Pilote« oder »Métal Hurlant« begann sich Giraud mit den Vorgaben der frankobelgischen Comicschule auseinanderzusetzen, um sich schließlich von ihr zu emanzipieren. Hier konnte er mit neuen gestalterischen Formaten experimentieren und die Möglichkeiten des dessin automatique, eine Adaption des surrealistischen automatischen Drauflosschreibens, austesten. 1976 folgten schließlich zwei Geschichten, die einen wahren Boom auslösten: Da ist einerseits »Arzach« hervorzuheben, ein für grafisches Erzählen wohl als legendär einzustufender Beitrag, der gänzlich ohne Dialoge auskommt und sich voll auf die Vermittlung der Atmosphäre verlegt; andererseits ist »The Long Tomorrow« zu erwähnen, die Adaption einer SF-Krimistory aus der Feder von Dan O’Bannon, die wiederum Ridley Scott zu seinem »Blade Runner« (mit-)inspirierte. Der schöne Rest ist Comic-Geschichte: Moebius wurde nach und nach zu einem facettenreichen Programm, einer popkulturellen Signatur, die die Werksausgabe »Collection Moebius« (erneut) erfahrbar macht. In den nicht selten absurd humorigen Vorstößen ins Niemandsland des Menschlichen entfaltet sich eine wilde Anzahl möglicher Zukunftsentwürfe, die immer noch überraschen und beeindrucken können. So radikal, so unerwartet und immer wieder erfrischend kann ein Klassiker sein.

Aus: Buchkultur 199

Moebius
Collection Moebius. Arzach / Die hermetische Garage
Splitter, 160 S.

Moebius
Collection Moebius. Chaos / Metallische Chroniken
Splitter, 184 S.

Moebius
Collection Moebius. The Long Tomorrow / Die blinde Zitadelle / Die Augen der Katze
Splitter, 184 S.