Ein Interview mit dem frischgebackenen Schriftsteller Marco Wanda über die Tragikomödie Leben, Sucht und den Aufstieg der Kultband »Wanda«. Foto: Christopher Mavrič.
Wofür steht Marco Wanda? Das Wiener Popwunder eroberte vor über zehn Jahren die österreichische Musiklandschaft und etablierte seine ganz eigene Stimme. Aber zwischen Glanz und Glamour verstecken sich eben Licht und Schatten – und darüber lässt sich gut schreiben.
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Buchkultur: Zum Einstieg ein Zitat: In der ORF-Sendung »Willkommen Österreich« vom 21. Mai 2024 wirst du ganz zum Schluss nach eventuellen Schreibplänen gefragt. Du bekennst dich da sehr vehement zur Musik. Zitat: »Ich entziehe mich der Tragik des Lebensentwurfs eines Schriftstellers, weil ich nicht alleine bin. Das ist super. Ich habe eine Band, und ein Schriftsteller ist einsam.« Als Nachsatz: »Die führen alle schreckliche Leben.« Da hast du wohl ein bissl Schmäh geführt, weil das Buch schon im Entstehen oder fertig war. Wie war und ist es denn jetzt, dieses Leben als Schriftsteller? Wirklich so einsam und schrecklich? Songs entstehen eruptiv, das Schreiben eines Buches ist ein Marathon. Wie erging es dir dabei, mit deinen Kräften anders haushalten zu müssen?
Marco Wanda: Als ich damals im Fernsehstudio saß, wusste ich nicht, dass ich wenige Wochen später beginnen würde, an »Dass es uns überhaupt gegeben hat« zu arbeiten. Ich dachte auch gar nicht daran, dass ich das Buch fertig schreiben, geschweige denn veröffentlichen würde. Ich schrieb es für mich, war ganz bei mir, ging noch einmal durch die prägendsten, aufregendsten und unerträglichsten Jahre meines Lebens. Einen Auszug habe ich meiner Freundin und Managerin Kata Fohl zukommen lassen, und sie meinte, das müssen wir veröffentlichen. Ich kam zu dem Schluss, dass sich eine Veröffentlichung lohnt – vielleicht würde jemand am Model meines Lebens etwas über sein eigenes lernen.
Das Buch verzichtet bewusst auf eine Gattungsbezeichnung. Es liest sich weitgehend wie eine sehr straight erzählte Bandbiografie. (Klassifiziert ist es im Buchhandelssystem online als »autobiografischer Roman«.) Wie war die Entstehungsgeschichte des Buches? Stand diese Erzählhaltung von Anfang an fest oder gab es Experimente mit anderen Formen? Gab es je die Idee eines Romans über Musiker, die nur vage an Wanda angelehnt sind?
Ich habe meine Karriere als Austro-Rock-Star von Anfang an durch die Brille eines Schriftstellers beobachtet. Vielleicht um Distanz zu wahren und nicht verrückt zu werden. Schreiben heißt zur eigenen Erzählung finden, sich seines Lebens zu bemächtigen. Kerouac hat 10 Jahre an »On the road« gearbeitet, ähnlich ging es mir. Von Anfang an gab es das Gefühl – alles, was mir hier passiert, ist phantastisch, literarisch, lehrreich.
Dein Studium der Sprachkunst an der Angewandten in Wien hast du abgebrochen. Im Buch wird diese Zeit nur kurz gestreift, du hast dich quasi bei den Außenseitern als Außenseiter gefühlt. Was glaubst du vom Studium mitgenommen zu haben? Du erzählst von Unverständnis für deine Kunst, aber auch von aufmunternden Worten etwa vom damaligen Institutsleiter Robert Schindel. Wäre dein Buch ohne Sprachkunst anders geworden?
Die Sprachkunst hat mich in einer perspektivlosen Lebensphase aufgefangen. Und dafür bleibe ich ihr ewig dankbar.
Du beschreibst im Buch deine Reisen nach Paris und New York als Urlaube von dir selbst, gibst dich dort gern als »Accountant«, also Buchhalter aus, um deiner Prominenz zu entkommen. Welches Verhältnis hast du momentan zu Wien? Einerseits ist Wanda musikgewordenes Wien, es ist dein Heimathafen – andererseits darfst du dich hier oft nicht zuhause fühlen, weil du selten anonym durch die Straßen ziehen kannst, einerseits Liebesbekundungen, andererseits auch Anfeindungen erfährst. Wie geht es dir gerade mit Wien?
Ich bin, da meine Eltern Pendler waren, zwischen Stadt und Land aufgewachsen. Je älter ich werde, desto weniger erschließt sich mir das Konzept eines Stadtlebens. Städte haben sich gebildet, damit herrschende Eliten ihre Untertanen an einem Ort versammeln können. Und heute bedeuten Städte sozialen Aufstieg, Bequemlichkeit, Konsum. Das ist nicht meine Bestimmung als Mensch, ich lebe lieber mit und in der Natur.
Besonders eindrücklich schilderst du deine etwas chaotische Reise nach Kairo mitten im arabischen Frühling. Der Schrecken der Gewalt zwischen den Menschen zieht sich wie ein Refrain durchs Buch, das Auseinanderbrechen einer Gesellschaft hat sich dir tief eingebrannt und nordet deinen moralischen Kompass ein. Hast du Ägypten seitdem wieder besucht? Gibt es noch Kontakte dorthin? Wann lesen wir deine große Reisereportage aus diesem bunten, gebeutelten Land?
Die auslaufende ägyptische Revolution zu erleben, war eine Zäsur für mich. Es hat mich die Spaltung in unseren europäischen Gesellschaften ernst nehmen lassen. Ich bin besorgt, weil ich gesehen habe, wo es hinführt. Wir können nichts anderes mehr, als uns gegenseitig belehren und überzeugen. Ein Europäer, der nicht Recht haben kann, bricht zusammen. Belehren und Recht haben sind unsere Identität. Aber lieben wir einander? Lieben wir einen Andersdenkenden? Nein, das haben wir aufgehört.
Bei Proust heißt es wo: »Ein Buch ist ein großer Friedhof, auf dessen Gräbern man die verblassten Namen nicht mehr lesen kann.« Dein Buch bringt die Namen der Verstorbenen zum Leuchten. Da sind vor allem dein Vater und Bandkollege Christian Hummer, da sind prägende Musikjournalisten wie Martin Blumenau oder Philipp L’heritier, auch Künstlerfreunde und Beislkomplizen driften ab und verschwinden wie ein existenzielles Fade Out. Du erzählst mit deinem Buch ja nicht nur den großen Rock ’n‘ Roll-Traum und eine lokalpatriotische Heldengeschichte, sondern setzt vor allem einzelnen Menschen ein Denkmal. Haben dir beim Schreiben die Geister lächelnd über die Schulter geschaut? Und wie bist du mit der Gefahr umgegangen, aus Verlust und Trauer ohne Rücksichtnahme Kapital zu schlagen?
Die Liebe zu Menschen ist einer meiner Motoren als Schriftsteller. Ich habe eine Reihe an geliebten Menschen verloren, und mein Buch hält sie zwar nicht fest, aber erinnert. Eine der wenigen Realitäten, an die ich glaube, ist die Zwischenmenschlichkeit. Und die Spuren, die jemand in uns hinterlässt. Ich bin voller Spuren und demütig, diese Menschen gekannt und geliebt zu haben.
Fast zeitgleich mit deinem Buch erschien »Der Problembär«, die von Gerhard Stöger verschriftlichte Lebensgeschichte eures Ex-Managers Stefan Redelsteiner. Hast du das Buch gelesen? Es ist eine reflektierte, nie verbitterte Rückschau, liest sich wie ein Bruderbuch zu deinem. Eure Schilderungen der Euphorie des Anfangens und der Melancholie der Erfolgsverwaltung sind fast deckungsgleich, nur bei der Trennung gehen die Sichtweisen naturgemäß etwas auseinander. Auseinandergehen ist ja bekanntlich schwer. Was glaubst du: Wie kommt es, dass genau jetzt die Zeit für Redelsteiner und dich reif schien, die Geschichte dieser Wiener Szene zu erzählen?
Keine Antwort.
Dein Buch erzählt auch vom Ringen um ein analoges Leben. Gewohnt wird ohne Ablenkung, für Internet geht man ins Kaffeehaus. Wie gestaltest du dein Leben jetzt? Heutzutage ist es ein Privileg, nicht immer erreichbar und verfügbar zu sein, gerade als Künstler ist man mit permanenter Selbstvermarktung beschäftigt. Man muss es sich auch leisten können, sich der Aufmerksamkeitsökonomie zu entziehen. Du besitzt schon Smartphone und Internetanschluss, oder? Ist an der romantischen Vorstellung etwas dran, dass du dein Buch mit der Schreibmaschine schreibst, dann die Druckfahnen handschriftlich ausbesserst? Oder ist digital besser?
Ich besitze kein Smartphone, habe aber von Berufs wegen Internet. Ich habe die analogen Neunzigerjahre erlebt und danach alle weiteren technologischen Sprünge abgelehnt. Das Smartphone, die App, das Internet, das sind in meinen Augen alles Sklaventreiber, und wir sind süchtig gemacht worden. Diese Entwicklungen sind nicht da, um uns zu helfen, sondern um uns die letzte Währung zu rauben, die wir besitzen unsere Zeit.
Noch ein Zitat von dir. Am 9. Mai 2025 spielte Wanda in Salzburg ein Residenzplatz-Konzert. Nach dem ersten Drittel, genauer gesagt nach »Wachgeküsst« sagst du: »Ah, das macht Spaß, Salzburg!« Und dann wie zu dir selbst: »Das werma doch nicht an den Nagel hängen für die scheiß Schriftstellerei…« Kaum jemand kann die Euphorie des Musizierens, noch dazu vor großem Publikum, das alle Texte mitsingt, nachvollziehen. Die Idee von Wanda und Amore ist, sich auf der Bühne nicht nur an sich selbst aufzugeilen, sondern sozusagen eine friedliche Ekstase zu kuratieren. Was ging dir in diesem Moment durch den Kopf?
Das Schreiben und das Musikschreiben, das ist für mich mittlerweile dasselbe. Ich muss es tun, sonst werde ich wahnsinnig. Beides sind große Lieben, aufgeben werde ich keine davon.
Wie geht es für dich weiter mit dem Schreiben? Hast du Blut geleckt und arbeitest an weiteren Projekten? Es gibt Beispiele für Künstler, die Schreiben und Musik auch auf einem hohen Level gut miteinander verbinden können, etwa Sven Regener mit Element of Crime, Dirk von Lowtzow mit Tocotronic. Ist es ein denkbares Modell für dich, da einen Rhythmus aus Büchern und Lesungen, Alben und Touren zu finden? Oder werden wir uns bis zum nächsten Buch länger gedulden müssen? Erlaub uns einen Blick in die Zukunft.
Solange das, was ich schreibe, in meinen Augen relevant ist, werde ich es veröffentlichen.
BONUS-FRAGE: Kennst du eigentlich den Roman »Wanda« von Gerhart Hauptmann? Er ist mir bei der Recherche zum Interview untergekommen. Marx entdeckte in dem Künstlerroman »Arbeitseifer, Alkoholkonsum und Lendenkraft.« Ziemlich Rock ’n‘ Roll. Wo du plötzlich auch Schriftsteller bist: Werdet ihr ab jetzt sagen, ihr hättet euch nicht nach Wanda Kuchwalek, sondern nach Hauptmanns Roman benannt?
Bonusantwort: Habe noch nie von dem Buch gehört, danke für den Tipp!
Marco Wanda wurde 1987 in Wien geboren. Er studierte Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst und ist der Frontmann der »vielleicht letzten wichtigen Rock’n’Roll-Band unserer Generation« (Musikexpress).
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Marco Wanda
Dass es uns überhaupt gegeben hat
Zsolnay, 288 S.
