„Salonfähig“ heißt der neue Roman von Elias Hirschl, soeben erschienen bei Zsolnay. Seine Hauptperson: Ein junger Mann, der sein Mitgefühl trainiert, indem er sich nach einer Spende an einen Bettler mit einem Stück Sachertorte belohnt. Bitterböse unterhaltend entwirft Hirschl dabei sein treffsicheres Bild der Mitte-Rechts Politiker. Fotos: Beatrice Signorello.


Elias Hirschls Version von „American Psycho“, „Austrian Psycho“ nämlich, wird von einem namenlosen „Ich“ erzählt. Ein „Ich“, das dafür, dass der Text seine eigene Perspektive darstellt, zunächst überraschend wenig Kontur hat. Warum das so ist, erschließt sich bald. Denn sein Da- und Bewusstsein speist sich in erster Linie aus seinem großen Idol: Julius Varga, aufstrebender Spitzenkandidat der neuen österreichischen Christlich-Konservativen. Er wird von Hirschls Protagonist angehimmelt, genau studiert, imitiert und sich einverleibt – der junge Mann lebt und atmet für sein ultimatives Vorbild. „Salonfähig“ ist, wenn man so will, eine politische Milieustudie, eine Untersuchung, was denn nun übrigbleibt, wenn man einer aalglatten Persönlichkeit ihre Floskeln und Imitationswerkzeuge wegnimmt. Spoiler: nicht viel. Oder in Hirschls Worten: „Es geht um Nazis in Slim-Fit-Anzügen, um toxische Männlichkeit, um Pick-Up-Artists, um neurolinguistisches Programmieren, um Manipulation, Rhetorik, um Reflektion, Leuchten und die Erleuchteten, um Mitleid und Gefühlsarmut.“ Das alles siedelt der umtriebige Autor, Bühnenpoet und Musiker in der österreichischen Politik an, einem – nun ja – durchaus dankbaren Gefilde.

Der Heldenplatz, auf dem wir unser Gespräch führen, ist in zweierlei Hinsicht passend: Einerseits, weil sich hier während der Renovierungsarbeiten des Gebäudes am Ring ein Standort des Österreichischen Parlaments befindet und alle paar Minuten Menschen, die dem Mann am Cover von „Salonfähig“ nicht unähnlich sehen, geschäftig an uns vorbeieilen. Und andererseits, weil eine von Hirschls vielen Bands, die Punkband „Heldenplatz“, denselben Namen trägt.


Buchkultur: Du machst viele Dinge parallel, hast zum Beispiel noch das Bandprojekt „Ein Gespenst“, du kommst aus der Poetry Slam Szene. Würdest du dein Schreiben an einem Roman in dem Sinne dann als Ausgleich oder eher als Ergänzung betrachten?

Elias Hirschl: Das Bandprojekt war eigentlich eher ein Pandemie-Lockdown-Projekt. Christopher Hütmannsberger und ich haben alles zu Hause aufgenommen und es uns dann einfach online hin- und hergeschickt. Das entstand eher daraus, dass wir gerade nichts anderes machen konnten. Ich habe in den letzten eineinhalb Jahren gar keine neuen Poetry Slam-Texte geschrieben, es gab keine Auftritte, also gab es auch keinen Anlass dafür. Auch literarisch geht wenig weiter, wenn ich nicht selber auch zwischendurch auf Lesungen gehe und mich ein bisschen von anderen Autorinnen und Autoren inspirieren lasse.

Das ist interessant. Sind für dich Lesungen ein wichtiger Teil des literarischen Lebens?

Ich kenne durchaus Leute, die Autorinnen und Autoren sind und selbst fast keine Bücher lesen. Bei mir war das Problem eher, dass ich während der Pandemie nicht zum Lesen gekommen bin und dann auch weniger geschrieben habe – weil es grundsätzlich an Konzentration gefehlt hat. Ich gehe aber total gerne auf Lesungen von anderen Leuten. Im Café Anno gibt es zum Beispiel zwei Mal die Woche Lesungen, auch die sind letztes Jahr alle weggefallen. Normalerweise ist das super, das sind oft ganz zufällige Leute, die man nicht kennt und ohne deren Lesung man keine Ahnung hätte, wer das ist und ob die Texte gut sind oder nicht. Dadurch hat man eine gewisse Abwechslung, die man sonst nicht hat. Jetzt gibt es die Veranstaltungen auch endlich wieder, aber sie holen gerade alles nach. Wenn man also um eine Lesung dort anfragt, muss man vermutlich anderthalb Jahre warten …

Wie nimmst du denn den Unterschied beim Schreiben der Texte wahr? Wie unterschiedlich gehst du an Songtexte heran, an Langtexte, an Poetry Slam? Ist das stimmungsbedingt bei dir?

Ich schreibe verschiedene Arten von Songtexten. Mit Christopher Hütmannsberger, Berni Wagner, Lepold Toriser und Aaron Dahl habe ich eine Punkband, die aber nicht so wahnsinnig oft auftritt. In Anspielung auf Thomas Bernhard heißt die „Heldenplatz“ und dafür verwerte ich zum Beispiel eher satirische Texte, auch für das Pop-Projekt „Sybylle“, das ich zusammen mit Tereza Hossa und meinem Bruder Fabian Hirschl mache, während ich für „Ein Gespenst“ dann die pathetischeren Texte raushole, die sonst nirgendwo reinpassen.
Worüber wir wirklich glücklich sind: Seit April läuft das Lied „Ich tanze nur aus Höflichkeit“ gut drei Mal die Woche in Radio, das ist völlig absurd. Wir sind bei Strizzico, einem kleinen Label eines Freundes von mir, der das in der Form auch noch nicht erlebt hat. Wir haben das zu Hause aufgenommen mit Loopstation und Laptop und das reicht offenbar, wenn man es abmischt. Ich fand es sehr positiv überraschend, dass man anscheinend kein Studio mehr braucht, um halbwegs an Radioqualität heranzukommen.
Slam Texte hingegen entstehen meistens dann, wenn ich auch selbst öfter auf solchen Veranstaltungen bin, so finde ich auch besser in die spezifische Länge hinein. Dann schreibe ich automatisch anderthalb Seiten und weiß dann, okay, das dauert circa 5 Minuten zu lesen.

Bei Romanen ist es meistens eher ein Hauptthema, das mich umtreibt und interessiert. Da trage ich dann monatelang Notizen zusammen, verschiedene Szenenentwürfe entstehen und das wächst dann irgendwann in diese Form. Momentan schreibe ich Kurzgeschichten, weil ich das früher fast nie gemacht habe. 5 bis 10 Seiten lang, aber das dann dafür wirklich abgeschlossen, was für mich recht ungewohnt ist.
Ich hatte zum Beispiel auch noch nie eine dezidierte Deadline für ein neues Buch. Das war bei mir immer jeweils schon fertig und der Stress kam dann mit der Suche nach einem Abnehmer. So dauert es zwar definitiv viel länger, bis das Buch rauskommt, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, ein halbes Buch zu haben, das dann in drei Monaten fertig sein muss.

Es klingt bei dir sehr danach, als könntest du dir vertrauen, dass du die Dinge fertig machen wirst.

Das auf jeden Fall. Über das denke ich relativ wenig nach. Meine Gedanken kreisen dann eher um die Frage, ob die Story so funktioniert wie ich sie geplant habe, und ob das dann überhaupt jemandem gefällt, aber ich glaube, fertig wird es immer irgendwie. Und „fertig“ heißt ja auch nicht fertig, sondern man kann auch im Nachhinein noch das ganze Ende überarbeiten, oder auch die ganze Struktur noch einmal über den Haufen werfen.

Du hast auch das Musikvideo zu „Ich tanze nur aus Höflichkeit“ zum Teil selbstgemacht. Das klingt nach sehr vielen Talenten von dir. Gibt es etwas, dass du ganz ausschließt, je machen zu wollen?

Genau, wir haben insgesamt zwei Videos für „Ein Gespenst“ gemacht. Das habe ich – notgedrungenermaßen, weil wir es schnell gebraucht haben – geschnitten. Bei der ersten Single haben Janea Hansen und Fabian Navarro Kamera gemacht, bei der zweiten dann ich. Gefilmt haben wir beides mit dem iPhone von Chris – auch das reicht offenbar völlig aus. Mich hat über das ganze Projekt hinweg überhaupt gewundert, mit wie wenig Geld man auskommen kann. Was ich gar nicht kann, ist Malerei, Bildende Kunst und Fotografie. Videoschnittmäßig bin ich inzwischen halbwegs gut drauf. Aber per se nicht so visuell.


Vielleicht macht sich da dein Gespür für Dramaturgie bemerkbar?

In dem Fall ist es eher Rhythmusgefühl, das benötigt wird. Da ergänzt sich mein Können ganz gut, ja! Für „Salonfähig“ gab es auch einen kurzen Videotrailer, den habe ich aus altem Archivmaterial aus dem Internet zusammengeschnitten. Das war sehr cool, weil man recht viel Material findet, das frei zur Verfügung steht. Sobald mehr Leute ins Spiel kommen, die es zu organisieren gilt, stresst es mich enorm. Wenn es alleine zu Hause vor dem Laptop oder der Loop Station funktioniert – perfekt!

Dann waren Lockdown-Projekte ja wie gemacht für dich!

Ja, das schon. Wobei Romanschreiben auch schwer ging, eher für das Überarbeiten war Zeit. Zum Schreiben von Neuem gab es meistens zu wenig Input.

Wenn man sich deine bisherigen Romane so ansieht, dann passt für mich der Begriff „Aberwitz“ ganz gut, oder ein gewisses Maß an „Realitätsausdehnung“.

Ja, voll. Ich bin einmal draufgekommen, dass Kannibalismus sich durch all meine Bücher zieht! Nicht, dass das das bestimmende Thema wäre, aber aus irgendeinem Grund kam in jedem Buch Kannibalismus vor. Wahrscheinlich ist es das selbstreferenzielle Motiv des „Sich-Aufessens“. Metaphorisch im Sinne von Ende und Anfang, die sich treffen. Weniger geworden sind bei mir die Metaebenen, das ist inzwischen subtiler. Schreiben über Schreiben zum Beispiel, oder dass nicht ganz klar ist, welche Ebenen in der Geschichte ganz real sind und welche nicht. Was auch weniger geworden sind, sind Fußnoten. Die sind in diesem Buch jetzt ganz weg, im letzten waren sie noch eher Überbleibsel, davor war es aber exzessiv.

Ich bin gespannt, ob wir bald wieder ein Buch mit Fußnoten von dir lesen.

Ganz bestimmt. Bei dem, das gerade in Arbeit ist, sind dann wahrscheinlich alle drin, die ich mir bei „Salonfähig“ verkniffen habe.

In deinem neuen Roman „Salonfähig“ ist zwar Julius Varga kein realer Name, die Anspielungen aber sind zum Teil nicht zu verkennen. Etwa der Akademikerball, den du einbaust. Hat dich beim Schreiben gereizt, dich mal in die „andere Seite“ hineinzudenken, also in die Besucher/innen des Balles anstelle der Protestierenden? In die rechte Seite, die ja auch im Roman vorgibt, die Mitte zu sein?

Im Zentrum stand am Anfang wirklich die Hauptfigur. Die Grundidee dahinter war, einen Menschen zu konstruieren, der rein aus Projektion besteht, der absolut nur aus dem besteht, was er anderen Leuten von sich präsentieren will, und sich einredet, dass das wahnsinnig gut funktioniert, von dem Leserin und Leser aber absolut nichts wissen. Man weiß von seinem Innenleben nichts, was er nicht selbst mitteilen möchte. Das ist für mich einfach der Inbegriff von politischer Rhetorik. Es ist ein bisschen billig zu sagen „Die lügen alle“, aber ich finde diese eigene Sprachform, die sich da herausgebildet hat, total spannend. Es gibt Interviews mit Politiker/innen, bei denen man kein echtes Wort aus ihnen herausbekommt. Aus guten Gründen natürlich, aber ich finde diese daraus entstehende eigene Kunstsprache faszinierend, die es nur da gibt und sonst nirgends. Ich habe mir dafür ganz viele Reden österreichischer und deutscher Politiker/innen angeschaut und bin auch auf viele Parallelen etwa zu den Republikanern in den USA gestoßen.

Mit Buchkultur-Redakteurin Katia Schwingshandl.

Diese Politiker/innen sprechen in Floskeln, so wie dein Protagonist auch.

Genau, er spricht in Floskeln, in Lebensratgeber-Sprüchen, und in motivierenden Instagram-Posts. Mir ging es in dem Buch in erster Linie nicht um die wirklich Rechtsradikalen, sondern eher um völlige Opportunisten, die fest davon überzeugt sind, sich auf der richtigen Seite zu bewegen und die sich selbst nie als „rechts“ bezeichnen würden. Ich finde diese Menschen noch viel gruseliger als jene, die klar als „Nazis“ klassifizierbar sind. Bei denen weiß man wenigstens, woran man ist. Wenn da jemand ist, der die Balkanroute schließen will, aber dabei so tut als wäre das ein humaner Akt, dann kommt bei mir die Angst hoch.

In der Anfangsszene übt dein namensloser Protagonist das Lachen, auch das passt gut in das Bild, das du hier beschreibst. Doch diese scheinbare Emotionslosigkeit wird kontrastiert von der wiederkehrenden Beschreibung eines Bettlers. Der Erzähler belohnt sich jedes Mal, nachdem er ihm Geld gegeben hat, mit einer Sachertorte für die gute Tat. Oder auch das genaue Verfolgen der Anschläge in Afghanistan in den Nachrichten und das vorgebliche Mitleid mit den Kindern in Kabul.

Das sind für ihn dann Momente, in denen er glaubt, seine Rolle ist jetzt die des Betroffenen. So würde er erwarten, dass ein „normaler“ Mensch auf eine Situation reagiert. Die einzigen Momente, wo wirklich von ihm selbst etwas durchschimmert, sind die, in denen das Umfeld auf ihn reagiert. Etwa wenn seine Taktiken nicht aufgehen, oder er nur als sehr befremdlich wahrgenommen wird und Leuten Angst macht.

Ein Psychopath?

Genau, es sind ja auch extrem viele Anspielungen auf American Psycho zu finden. Ich wollte aber am Ende nicht den Twist Richtung „psychisch krank“ drehen, sondern eher diese Hülle an Rhetorik, hinter der nichts steckt, betonen.

Ansonsten wäre das Ende ziemlich hart.

Ja, genau. Da gleitet es ja auch in das Irreale ab.

Mit Realem und Irrealem spielst du ja auch schon vor dem Ende. Immer, wenn sich dein Protagonist in einer Wohnung aufhält, weiß man nicht: Ist es seine eigene? Ist es die Wohnung seines vergötterten Julius Varga, für die er sich die Schlüssel zum Blumen gießen ergaunert hat?

Das freut mich gerade sehr, dass das so rüberkommt und aufgeht! Man weiß ja wirklich nicht genau, baut er die Wohnung nur nach? Ist er selbst in der Wohnung? Ich finde, es ist eine absolut plausible Lesart, dass man nicht immer genau weiß, in welcher Wohnung er sich befindet.

Ich habe mich beim Lesen damit auch völlig abgefunden.

Ja, es könnte ja auch beides sein!

Hast du den Roman denn noch unter der Blau-Schwarzen/Türkisen Regierung geschrieben?

Genau, da ist der Text nach und nach entstanden. Ich habe auch kurz überlegt, ob ich auch Anspielungen auf die Ibiza-Affäre machen soll, mich dann aber dagegen entschieden, weil es im Roman ein eher „random“ Vorfall wäre und unabhängig vom Ibiza-Vorfall die politische Lage ähnlich aussieht. Ob das passiert wäre oder nicht.

Vor allem ist die „Mitte“ ja nach wie vor da, wo sie auch davor war.

Allerdings. Ein Faktor für das Buch war auch, ob sich die politische Lage bis zur Veröffentlichung noch so stark ändert, dass das alles nicht mehr relevant ist. Aber es schaut so aus als würde es gruselig lange halten.

Ich muss nachfragen: Ist der Nachrichtensprecher Walter Horn Armin Wolf?

Ja! Dem wollen wir sogar auch ein Exemplar zuschicken! Das wäre zu stark rausgestochen, wenn er die einzige nicht-fiktionale Person gewesen wäre im ganzen Salonfähig-Universum.

Hattest du am Anfang den echten Namen im Buch?

Ja, ich hatte Armin Wolf stehen. Das Einzige, das ich rausstreichen musste, war, dass er eine Hornbrille trägt. Sonst wäre er Walter Horn mit der Hornbrille gewesen.

Man erkennt ihn definitiv trotzdem. Der Protagonist will Walter Horn sprachlos sehen. Für mich ist das ähnlich, wie wenn man sich ein Theaterstück ansieht und darauf wartet, dass die Schauspieler/innen einen Texthänger haben.

Ja, absolut. Ich habe bei Armin Wolf noch nie erlebt, dass er einen Aussetzer gehabt hätte. Das ist dann wieder die angenehme Seite von Rhetorik und Eloquenz, da bewundere ich ihn sehr, wie klar und stringent er reden kann. Das ist absolut unverständlich für mich.

Und dadurch die extremsten Sachverhalte vermitteln kann. Dem Protagonisten fällt ja auch mehr auf, „wie“ Walter Horn spricht, viel weniger als „was“.

Wenn er zum Beispiel von den Terroranschlägen hört, dann sind ihm weniger die Hintergründe wichtig, sondern eher das Ritual, welche Reaktion er jetzt zeigen muss.

Eine Feststellung: Die Figuren in deinem Buch reden überdurchschnittlich oft komplett aneinander vorbei.

Ich habe 2017 für ein Stück vom Aktionstheater Ensemble ein bisschen mitschreiben dürfen. Und dann lagen bei mir eben noch sehr viele Monologe herum, die es da nicht reingeschafft haben. Diese Theatergruppe hat eine Dialogtaktik, die ich total spannend gefunden habe: Es ist gar kein Dialog, sondern es sind Monologe, die einfach verschränkt werden. Oder es sind zwei völlig unterschiedliche Situationen, die nichts miteinander zu tun haben, und man verschränkt sie narrativ. Dadurch clashen Bilder ganz komisch aufeinander und es entstehen Szenen, in denen ein Gespräch über eine Party und Nachrichten über Terroranschläge verschnitten werden.

Manchmal treffen sie sich ja dann wieder.

Ja, da gab es viele trial and error Versuche, wie das funktioniert. Ich habe dann geschaut, wo ergeben sich Bilder, wo passt es tatsächlich zusammen.

Das charakterisiert jeweils sehr pointiert deine Charaktere im Buch.

Ich liebe diese Technik, weil es ein extrem einfaches Mittel ist, es macht die Leute sofort unsympathisch und stellt jeweils das Verhältnis zwischen den beiden Personen klar. Man redet zwar formal miteinander, interessiert sich aber überhaupt nicht füreinander.

Sie haben ja auch nur einander. Recht viele Personen gibt es in dem Dunstkreis nicht.

Erstens das, zweitens sind sie auch extrem selbstzentriert.

Woher stammt die Obsession des Romans und des Protagonisten mit dem Anschlag in Shanghai? Da hat sich ein Mensch zu Silvester auf ein Hochhaus gestellt, Banknoten herunterrieseln lassen und eine Massenpanik ausgelöst.

Soweit ich weiß, ist das wirklich passiert. Ich war zwei Jahre später dort einen Freund besuchen und habe dann noch recherchiert. Es ist definitiv nicht genauso passiert, wie ich es geschildert habe, aber ähnlich. Seitdem finden dort nur beschränkt Silvesterfeierlichkeiten statt. Für mich war das einer der surrealsten Momente in meinem Leben: Es war ein Silvester ohne Feuerwerk, weder gab es einen Countdown noch haben die Leute gefeiert. Tausende Menschen sind an einen Ort gegangen, nur um nichts zu tun und sich dann wieder aufzulösen. Die Uferpromenade ist dort auch ziemlich eng und die Gefahr eben sehr hoch, dass bei einer Massenpanik da Menschen in den Fluss fallen.

Durch dieses Beispiel verwischst du die Definition von einem „Terroranschlag“.

Ja, es ist durchaus ein plakatives Bild. Es geht um die Frage, warum wird eine Situation als solche bewertet und warum anders. Wann hängt es davon ab, was passiert ist, wann von der Intention. In dem Fall auch, weil man mit ziemlich lockerer Zunge oft Politiker als Mörder bezeichnet. Das ist aber oft gar keine so banale Frage, wann bist du als Mensch für reale Todesfälle verantwortlich, wenn du Integrationspolitik betreibst? Im Falle von jemandem der Geldscheine von einem Dach wirft und damit eine Massenpanik auslöst, in der Menschen sterben, ist eigentlich eine recht einfache Kausalkette zu sehen, aber trotzdem ist die Schuldfrage extrem schwer zu entscheiden. Gleichzeitig geht es hier auch um das Versinken in der Menschenmenge, hier fällt der Protagonist nicht auf, hier muss er nicht auf Authentizität achten.

Hat das Schreiben dieses Buches für dich die Sichtweise auf das derzeitige Politikgeschehen beeinflusst?

Es gab tatsächlich zwei oder drei Mal die Situation, dass meine Lektorin mir geschrieben hat, was gerade zum Beispiel im Untersuchungsausschuss passiert und meinen Beschreibungen im Buch sehr ähnelt. Beispielsweise das ganze Zeug mit den Chatprotokollen. Es ist eher ernüchternd, dass so viel dem entspricht, wie ich es mir gedacht habe. Wenn man sich das Geschehen so anschaut … Oft hatte ich Szenen im Buch, bei denen ich mir gedacht habe: Übertreibe ich da nicht? Ist das nicht zu klischeehaft, wie ich diesen Menschentypus darstelle? Aber dann kommt Thomas Schmidt mit seinem „Pöbel“ und man denkt sich, eigentlich ist das fast lächerlich vorhersehbar schon, das Ganze, da sollte man etwas Besseres erfinden.


Nachgestirlt.

Dein Buch in einem Satz?
Austrian Psycho

Hast du einen Ort in Wien, an den du immer gern zurückkehrst?
Eher mehrere: Einer davon ist der Heldenplatz. Sonst sind es eher Lokale und Kinos, Café Anno, Café Jelinek, das Burgkino, das Filmcasino.

Zu unrecht unbekannte, oder zurecht bekannte Autor/innen aus Wien?
Katherina Braschel verdient, sehr viel bekannter zu werden als sie ist. Ihr erstes Buch hieß „Es fehlt viel“ und kam jetzt während dem Lockdown raus. Dafür habe ich im Falter eine Rezension schreiben dürfen.

Analog oder digital?
Je nachdem.

Zu welcher Tageszeit schreibt es sich für dich am besten?
Am Vormittag. Und am Abend dann nochmal drübergehen. Write sober, edit drunk.

Hast du Neuerscheinungen, auf oder über die du dich freust?
Der dezidiert politisch linke Katzenkrimi „Miez Marple und die Kralle des Bösen“ von Fabian Navarro.


Elias Hirschl wurde 1994 in Wien geboren, wo er als Autor, Bühnenpoet und Musiker lebt. 2020 erhielt er den Reinhard-Priessnitz-Preis. Ausgewählte Veröffentlichungen: »Meine Freunde haben Adolf Hitler getötet und alles, was sie mir mitgebracht haben, ist dieses lausige T-Shirt« (Milena, 2016), »Hundert schwarze Nähmaschinen« (Jung und Jung, 2017).