Die besten Krimis für den Sommer 2023:

Marc Elsberg
°C – Celsius
Blanvalet, 608 S.

Platz 1

Unterhaltende Untergänge liefert Marc Elsberg seit über zehn Jahren in regelmäßiger Folge: Seine neueste, emsig recherchierte Thriller-Dystopie beschäftigt sich mit dem Klimawandel. Foto: Lukas Ilgner.


Extreme Situationen erfordern extreme Maßnahmen. Das denken sich zumindest die fiktiven Machthaber Chinas in Marc Elsbergs neuem Wissenschaftsthriller »°C – Celsius«. Sie stecken nämlich hinter der Entsendung jener Luftflotte, die zu Beginn des Romans für ordentlich Aufregung rund um den Erdball sorgt: Anfangs steht noch der Verdacht im Raum, dass es sich bei diesen UFOs um Bewohner fremder Planeten mit feindlichen Absichten handelt. Als sich jedoch herausstellt, dass die Flugkörper sehr wohl irdischen, da chinesischen Ursprungs sind, sorgt das aber keineswegs für Beruhigung: Die Maschinen steuern nämlich auf Taiwan zu. Ist das der Auftakt für einen bewaffneten Konflikt im Pazifik, der womöglich einen Weltkrieg auslösen könnte? Es zeigt sich aber, dass die »Große Drachen« genannten Objekte in friedlicher Absicht am Himmel schweben: Sie sollen zum »Geoengineering« eingesetzt werden. Mit ihnen will Peking die Atmosphäre manipulieren, um die dramatischen Auswirkungen des Klimawandels abzumildern – die gestiegene Erdtemperatur soll so reduziert werden.

Wie ein Vulkanausbruch

Die Drohnen verteilen dazu in der Atmosphäre tonnenweise Sulfat- und Kalkpartikel. »Im Prinzip ahmen wir damit einen Vulkanausbruch und dessen Emissionen nach«, erklärt der chinesische Außenminister der geschockten Weltöffentlichkeit. »Die Partikel werden die Sonneinstrahlung auf die Erde wie ein gigantischer Sonnenschirm vermindern. Deshalb nennen wir das Programm auch den Großen Sonnenschirm.« Hat die Menschheit dem Reich der Mitte nun zu danken? Keineswegs! Denn das megalomanische Projekt ist schließlich ein Erstversuch: Die Welt wird zum gigantischen Versuchskaninchen in einem Experiment, das vor allem die Wissenschaft argwöhnisch beäugt. Fay, die als Wissenschaftlerin für das Weltklimasekretariat der UNO in der einstigen Hauptstadt der BRD, Bonn, arbeitet, schwant Böses: »Die Erde ist doch keine Wohnung, an deren Thermostat man einfach herumdrehen kann!« Die Forscherin ist eine von zahlreichen Figuren, die sich in diesem Roman tummeln – einschließlich US-Präsident, CIA-Direktorin und deutschem Bundeskanzler: Das Personenverzeichnis zu Beginn ist daher keine bloße Pose, sondern wird sich nützlich erweisen, da sich die zahlreichen Erzählstränge zu einer komplexen Handlung in 142 Kapiteln verweben, die sich immer wieder spektakulär überschlägt.
15 Jahre bewährt sich die Technologie zwar, aber dann ziehen dunkle Wolken auf. Es kommt zum GAU. Sämtliche Exemplare des Nachfolgemodells »Große Libelle« stürzen vom Himmel, der Sonnenschirm wird vollkommen zerstört. Schnell ist klar – das war kein Programmversagen, sondern irgendjemand steckt hinter dieser Sabotage. Bloß wer und was soll damit bezweckt werden? Die Welt steht nämlich jetzt am Abgrund: Im Schutz des Sonnenschirms produzierten die Industrienationen weiter wie bisher, wenn nicht gar intensiver. Ein umso ramponierter Planet steht vollkommen nackt da und ist den erbarmungslosen Strahlen seines Fixsterns ausgesetzt. Eine Häufung von Naturkatastrophen ist die Folge, Fluchtbewegungen nehmen massiv zu. Klimaaktivisten flüchten sich aus Verzweiflung in terroristische Anschläge, der globale Norden und Süden führen erbittert militärische Auseinandersetzungen um die verbleibenden Ressourcen. Russland schlittert in einen Bürgerkrieg, der auch in den USA kurz bevorsteht, da südliche Bundesstaaten eine erneute Sezession in Erwägung ziehen.

Fantasie im freien Lauf

Aber Elsberg, geboren 1967, der in Baden aufwuchs und in Wien lebt, beweist nicht nur viel Fantasie, sondern hat auch fundiert recherchiert und stellt daher den Leser/innen verpackt in eine Thriller-Handlung zahlreiche technologische und wissenschaftliche Ideen, die es im Zusammenhang mit dem Klimawandel längst gibt, vor. »Die Konzepte in diesem Buch wurden wissenschaftlich bislang theoretisch diskutiert und teilweise modelliert, jedoch so gut wie nie in der Praxis erforscht«, schreibt Elsberg im Nachwort. »Tatsächlich mögliche oder notwendige Maßnahmen, ihr zeitlicher mengenmäßiger und organisatorischer Umfang sind daher nur bedingt vorhersagbar, beziehungsweise gehen die Annahmen darüber weit auseinander, ebenso wie über die denkbaren Konsequenzen der Realität. Als Thriller-Autor konnte ich also meiner Fantasie freien Lauf lassen und habe das getan!«
Elsberg verfährt somit wieder nach demselben Schema, mit der sich auch bereits in seinen vorangegangenen alle bei Blanvalet erschienenen Bestsellern schon anderen dystopischen Zukunftsthemen widmete: »Zero« beschäftigte sich mit staatlicher Überwachung, Datenkontrolle und Informationsmissbrauch, während »Helix« Genmanipulation und künstlich modifizierte Viren unter die Lupe nahm. Sein bekanntester Roman ist aber wohl das Debüt als Thriller-Trommler Marc Elsberg, nachdem er sich zuvor noch unter seinem bürgerlichen Namen Marcus Rafelsberger in verschiedenen Genres wie satirischen Romanen und konventionellen Polizeikrimis weitaus weniger erfolgreich versucht hatte. Das Pseudonym wählte er, weil ihm zu Ohren kam, dass zahlreiche Bestsellerautoren einen dreisilbrigen Namen haben – z.B. Stephen King oder John Grisham.

Dystopien für die Couch

2012 ging dann Elsbergs Stern auf, als er den Strom abstellte: »Blackout« hieß dieser Schmöker, der sich seitdem über 1,7 Millionen Mal verkauft hat und in 15 Sprachen übersetzt wurde. Inzwischen wurde die Handlung auch als Serie mit Moritz Bleibtreu in der Hauptrolle verfilmt. Elsberg, der vorher in der Werbebranche tätig war, simulierte hier die Auswirkungen eines länger anhaltenden großflächigen Stromausfalls – seinerzeit ein bereits viel diskutiertes katastrophales Zukunftsszenario, das in der aktuellen Energiekrise noch mehr Realität angenommen hat. Warum aber erfreuen sich Elsbergs Bücher solcher Beliebtheit? Warum lassen sich zahlreiche Menschen von diesen Stoffen unterhalten, obwohl bereits viele von ihnen im eigenen Leben ständig verängstigt werden, weil diese Themen täglich in der Zeitung stehen? Der Autor selbst beantwortete diese Frage dem österreichischen Wochenmagazin PROFIL wie folgt: »Wenn mich eine Dystopie aus der Schlagzeile einer Zeitung anspringt, dann weiß ich, das ist leider tatsächlich so passiert. Das ist was anderes, als wenn das eine Fiktion in einem Buch ist, die ich auf meiner warmen, gemütlichen Couch lesen kann. Das ist immer so eine Mischung aus Eskapismus und Angstlust. Es ist wie ein Abenteuer mit Rückfahrkarte.«

Marc Elsberg wurde 1967 in Wien geboren. Er war Strategieberater und Kreativdirektor für Werbung in Wien und Hamburg sowie Kolumnist der österreichischen Tageszeitung DER STANDARD. Heute lebt und arbeitet er in Wien. Mit seinem internationalen Erfolgsroman »Blackout« etablierte er sich als Meister des Science-Thrillers.


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